WIEN / Akademietheater:
MICHAEL HELTAU liest Texte zu “Liebelei”
15. Mai 2014
Es war kein runder Geburtstag für den 1862 geborenen Dichter Arthur Schnitzler, aber das exakte Datum: Der 15. Mai. An diesem Abend wurde im Akademietheater anlässlich des Erscheinens der Historisch-Kritischen Ausgabe rundum an des Dichters „Liebelei“ erinnert, das Stück, das den Autor 1895 nach seiner Uraufführung im Burgtheater berühmt gemacht, das ihn aber auch – wie er in einem Brief an Rilke schrieb – „in ein Kastl gesteckt“ hat. Vieles zu „Liebelei“ konnte man nun erfahren, wobei es eine große Ein-Mann-Schau des großen Schnitzler-Schauspielers Michael Heltau wurde, den Peter Michael Braunwarth optimal mit passenden Texten versorgt hat.
Burgtheater, Regiebuch 1895 (Foto Burgtheater)
Die historisch-kritische Gesamtausgabe Schnitzlers macht es dem Leser nicht leicht – nicht nur, weil es überdimensional große „Wälzer“ sind (das Format ergibt sich aus der Faksimile-Wiedergabe der Handschriften), sondern weil der Preis in die Hunderte von Euros geht. Aber Liebhaber werden schon tief in die Tasche greifen. Nach den Novellen „Leutnant Gustl“ und „Sterben“ sind nun nach „Anatol“ die beiden Bände über „Liebelei“ erschienen, herausgegeben von Peter Michael Braunwarth, Gerhard Hubmann und Isabella Schwentner.
Zuerst Musik, im Hintergrund projizierte Noten: Schnitzler war nicht „auch“ Komponist, weil er einen „Liebelei“-Walzer geschrieben hat, aber tatsächlich war er musikalisch gebildet und inspiriert genug, um ein wirklich „süßes“ Stück Wiener Musik zu schaffen, das den Abend im Akademietheater quasi „authentisch“ umschmeichelte.
Liebelei-Walzer im Bühnenhintergrund
Dennoch ließ Braunwarth nicht mit dem Stück, sondern, sehr zielgerichtet, mit Schnitzlers Bemerkungen zum Burgtheater beginnen: Hat er doch in einem Interview 1931 nicht nur das Statement „In Wien liebt man das Burgtheater“ abgegeben (eine Liebe, die sich in den letzten Jahrzehnten, vor allem nach der Zerstörung des Ensembles, etwas zerbröselt hat), sondern nahm auch zu Problemen Stellung, die es damals gab wie heute: Ein Staat, der den letzten seiner Beamten bis zu seinem Tode versorge, könne nicht Mitarbeiter des Burgtheaters abbauen… Szenenapplaus!
Schnitzlers „Liebelei“, das schon der 19jährige als „Volksstück“ überlegt hat (noch unter dem Titel „Das arme Mädel“), war ursprünglich ganz anders angelegt. Es gab einen ersten Akt, der in einer Tanzschule spielt, wo Christine und Fritz, Mizi und Theodor sich kennenlernen. Michael Heltau las diesen ersten Akt, der fast eine Dreiviertelstunde umfasste, „in verteilten Rollen“, nämlich alle er, und es war ein Meisterstück, wie hier aus einer Stimme und vielen Tonarten eine ganze Welt erstand. Schnitzler hat in diesem Akt, den er später wegwarf, weil er fühlte, dass die Konzentration des Stücks auf wenige Leute zielführender war als das wienerische Genrebild, das er hier geschrieben hatte, schon seine ganze Meisterschaft des Dialogs in verschiedenen sozialen Ebenen ebenso gezeigt wie seine „Milieu“-Kenntnis und seine dramaturgische Geschicklichkeit. Und doch war ihm das „Volksstück“ mit diesem Tanzschulakt wohl zu „volkstümlich“ (also vielleicht auch zu billig in der Wirkung), und es ist interessant, wie wenige Textpassagen eigentlich in die Endfassung übernommen wurden. Und auch an der Motivik hat er einiges geändert, etwa dass Christine im „Armen Mädel“ nach einer Beziehung „sitzengelassen“ war, als sie Fritz kennen lernte, während es zum Wesen der „Liebelei“ gehört, dass sie noch keinen anderen „lieb gehabt“ hat – und daraus die Unbedingtheit ihres Liebesanspruchs erwächst…
Nach der Pause gab es kurzweilige Variationen zum Thema „Liebelei“ – etwa die Erinnerungen der Olga Schnitzler, die berichtet, wie wichtig dieses (die Gesellschaft damals skandalisierende) Stück für junge Leute war, die sich nicht mehr den Konventionen fügen wollten. Michael Heltau – einst selbst ein idealer Interpret des Fritz – las auch (in beiden Rollen) die große Szene zwischen Christine und Fritz im 2. Akt, die so ungeheuer berührend ist, weil man genau spürt, dass dies Geschöpfe aus zwei Welten sind, die sich in dieser Welt nicht finden können.
Michael Heltau als Fritz, Marianne Nentwich als Christine, Josefstadt 1968
Dann gönnten Braunwarth und Heltau dem Publikum nach der Beklemmung noch Comic Relief: Da Adele Sandrock (die junge Sandrock, nicht der alte Drache des deutschen Films) damals nicht nur die Christine in der „Liebelei“-Uraufführung im Burgtheater war, sondern auch Schnitzlers listige, lästige Geliebte, die er in ihrer unverwechselbaren Art mehrfach auf die Bühne brachte, las Heltau noch den Dialog „Halbzwei“, dem Leben abgeschrieben (wie man aus Schnitzlers Tagebuch weiß), die Szenen, die die Diva dem Dichter regelmäßig machte, wenn er nach einer Liebesnacht versuchte, nach Hause zu gehen, um noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen (damals übte er ja auch noch seinen Ärzteberuf aus). Der Einfallsreichtum, mit der die Sandrock stichelte und sekkierte, stellt der Dame als Unikum das beste Zeugnis aus…
Michael Heltau ist, wie auf dem sorglichen Programmzettel bestens zusammengestellt, ein Schauspieler, den Arthur Schnitzler im Lauf seiner Karriere lebenslang begleitet hat. Kein Wunder, dass das Publikum dessen Kunst, Kompetenz, Humor und Liebe zur Sache stürmisch feierte.
Renate Wagner