
Nadia Krasteva und Maria Pia Piscinelli
Wiener Staatsoper
“NORMA” von Vincenzo Bellini
17.Mai 2014
Konzertante Aufführung
Keine Frage, man kommt so ins Sinnieren, wenn man sich für gute zweieihalb Stunden in einen engen Sitz zwängt und Klängen zuhört, die aus der seligen Belcantoära stammen und denen sogar ein Richard Wagner höchsten Respekt zollte!
Die Antwort darauf, sich eine CD ganz gemütlich zu Hause anzuhören mit Produktionen, die an Qualität das Gebotene um Längen hinter sich lassen, bei dieser Antwort also, so las ich in der Zeitung, liese sich eine Verneinung durchaus mit dem “Gemeinschaftserlebnis” begründen. Erlebnis? Die Stimmung während einer solchen Darbietung gleicht der in einer überfüllten Bahnhofswartehalle: Man kann mit dem Handy spielen, fadisiert oder interessiert auf den Text starren, ein wenig dösen, ja das war alles zu beobachten! Eine ganze Menge der Galerie- und Balkonbesucher –so ab der zweiten Reihe bis ganz hinauf ist überhaupt irritiert, weil die Sicht auf die Künstler nicht gegeben ist.
Wer um Gottes Willen ist einst auf diese Aufstellungsvariante gekommen, bei der die Sicht für viele der Besucher nur auf Teile des Orchesters und dann auf den Chor möglich ist, nicht aber auf die Solisten? Doch nur ganz Gedankenlose, die keinen Sinn für die Leute da “ganz oben” hatten, sich selbst aber womöglich nur im Parterre breitmachten oder in der ersten Logenreihe! Ganz abgesehen davon, dass die akustischen Verhältnisse umgedreht wurden: diejenigen, die am lautesten können, die Choristinnen und Choristen, die stehen jetzt an der Bühnenrampe, die Solistinnen und Solisten allerdings mitten im hochgestellten Orchester ganz vorne, in den Saal gezogen neben bzw. – was ja für den Kontakt noch hinderlicher ist – hinter dem Dirigenten.
Nein, es gibt nur eine Aufstellung die für die akustische Qualität die einzig richtige ist, nämlich diejenige, die der baulichen Absicht dieses Hauses entspricht (wie ja alle alten Opernhäuser in italienischer Art d.h. als Logentheater errichtet wurden): Sänger an der Rampe, Chor dahinter auf der Bühne und das Orchester im Graben. So wurde derartiges ja auch früher, also in den Vor-Holender-Zeiten, gepflogen, aber das war offenbar nicht modisch genug.
So also lief die dritte von vier Vorstellungen einer Serie ab, welche die Fragwürdigkeit konzertanten Unwesens in einem Operngebäude durch den Beinbruch der geplanten Hauptattraktion so richtig bloßlegte. So wurde die gesangliche Darbietung durch das Fehlen einer herausragenden Leistung nivelliert weil in der kurzen Zeit eine Edita Gruberova ganz einfach nicht zu ersetzen war. Mit Maria Pia Piscinelli kam eine Sängerin zum Einsatz, die zwar bereits “geadelt” durch Zusammenarbeit mit Riccardo Muti sich in dieser Rolle beweisen konnte, letztlich aber weder stimmlich noch musikalisch annähernd überzeugte. Zu wenig markant im Timbre, zu schwach in den Attacken war sie erst im Schlußbild dem Tenor eine passende lyrische Begleiterin in den Tod, mit schön ausgesungener Phrasierung. Auch ihr tenoraler Gegenpart, Massimo Giordano, erinnerte sich erst im Schlußbild an seine vergangenen Zeiten als belkantesker Anfänger, ansonsten hat ihm stimmlich der Aufstieg ins dramatischere Fach nicht gut getan und man hatte den ganzen Abend das Gefühl, dass er ständig auf der Suche nach dem richtigen Stimmsitz wäre. Erfolglos natürlich. Die Gage für diese Auftritte war ihm offensichtlich auch zu gering, er sparte bei der Einstudierung seines Parts und schleppte andauernd den Klavierauszug mit sich herum. Spätestens seit dem Frühjahr 2013, zum Zeitpunkt der Programmvorschau hätte er Zeit gehabt, die Partie zu lernen und brüskierte damit seine Partnerinnen!
Dass Gegensatzpaar Norma-Adalgisa war bekanntlich bei der Uraufführung 1831 mit der eher als Mezzo geltenden Giuditta Pasta als Norma (die ja auch den Komponisten zu einer Transponierung der “Casta Diva”-Arie von G in F überredet haben soll) und Giulia Grisi, einem Sopran, als Adalgisa besetzt. Mit den erst nachfolgend herausgebildeten Traditionen mutierte die Norma im Wesentlichen zu einem dramatischen Sopran und Adalgisa eher zu den tieferen Regionen des Alts. Mit dem Ausfall der Gruberova waren die Gegensatzpartien, wenn man von dem falschen historischen Konsens absieht, jetzt auch ihres stimmlich reizvollen Gegensatzes beraubt, weil der Sopran der Einspringerin sich zu wenig vom Mezzo der Nadia Krasteva abhob. Diese vollbrachte an diesem Abend allerdings eine schöne Leistung: Eine Sacerdotessa mit großer Stimme und Statur.
Da Carlos Osuna seine Chance, sich als tenorale Nummer eins des Abends in der winzigen Rolle des Flavio zu placieren, nicht wahrmachte, war die Nummer eins unter den Männers eindeutig Dan Paul Dumitrescu als Oroveso. Er sang seine Auftritte tadellos und orgelte am Beginn des zweiten Aktes richtig drauf los. Und Simina Ivan assistierte in der Rolle der Clotilde unauffällig.
Der von Thomas Lang einstudierte Staatsopernchor sang ungestört von regielichen Mätzchen ganz hervorragend, Andriy Yurkevych leitete das Orchester der Wiener Staatsoper und entlockte ihm eher spätromantischen Klang ohne sich für straffe Tempi oder raffiniertere Dynamik entscheiden zu können. Ein Riccardo Muti, der vor siebenunddreißig Jahren die damalige Neuinszenierung leitete, täte dem Haus wieder gut.
Immerhin sechs Minuten zustimmender Applaus.
Peter Skorepa
MERKEROnline
Foto:Staatsoper/Pöhn
PS.:Danke für den Hinweis aus dem Kreis des MERKER-Forums: Ich habe habe die Transponierung, welche Giuditta Pasta der Überlieferung nach angeregt haben soll, fälschlich auf den gesamten Part als vorgenommen erwähnt. Tatsächlich wurde dies nur für den Bereich der großen Arie im ersten Akt von Bellini durchgeführt. Ich habe dies im Bericht entsprechend ausgebessert. P.Sk.