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Fotos: Wiener Festwochen
Wiener Festwochen im Theater an der Wien:
COSI FAN TUTTE von Wolfgang Amadeus Mozart
Gastspiel des Teatro Real, Madrid
Premiere: 2. Juni 2014
Der „Bösewicht“ heißt Don Alfonso. Der Mann hasst die Frauen wirklich. So sehr, dass es ihn zu beuteln scheint. So sehr, dass der Hass ihm aus den Augen funkelt. Er muss etwas tun, um das auszuleben. Etwa, das Vertrauen anderer Männer in Frauen zerstören. Und sich dabei an allen Frauen der Welt zu rächen. Despina hat er schon geheiratet – aus Rache?
Pardon, man muss vielleicht erklären, dass „Cosi fan tutte“ bei Michael Haneke ganz anders aussieht als sonst, wovon man sich nun im Theater an der Wien überzeugen kann: Die Wiener Festwochen haben die viel gelobte Produktion des Teatro Real, Madrid nach Wien geholt. Volles Haus, auch wenn Opernfreunde sich die Aufführung längst im Fernsehen gegeben haben. Live ist doch etwas anderes. Und unser großer Filmregisseur - unser “oscar”-gekrönter aller Stolz – hat es tatsächlich geschafft, das Stück so zu drehen und zu wenden (zu verdrehen und umzuwenden), wie man vieles so noch nie erlebt hat.
Einiges muss er uns allerdings im Programmheft wissen lassen, denn aus dem Text ginge eigentlich nicht hervor, dass Alfonso eben Despina geheiratet hat. Die kann ihn nicht leiden, daran besteht auch kein Zweifel. Nun, es gibt ja auch Masochisten. Und es gibt „unnette“ Leute – eigentlich sind die Mädels Fiordiligi und Dorabella anfangs recht zuwider, man würde sich nicht wundern, wenn die jungen Männer sich einfach umdrehen und mit anderen flirten würden (wären sie von heute, sie täten es glatt). Aber nein, sie schnurren und bitten und betteln. Alfonso kann es nicht mitansehen…
Dieser Alfonso ist in Gestalt des Briten William Shimell die mit Abstand faszinierendste Figur des Abends (und dass er eine knochentrockene, überforderte Stimme hat, stört nicht, weil es zu dem gestörten Charakter passt, der da auf der Bühne steht). Offenbar gehört ihm ein wunderschöner alter Palazzo – er verfügt aber zweifellos über mehr Geld als Geschmack. Christoph Kanter schuf die Einheitsbühne (trotz gar keine Umbauten dauert der Abend übrigens ein Stück länger als üblich, aber aus anderen Gründen): Offenbar hat Alfonso in das schöne alte Gemäuer, dessen Terrasse sich unter Säulen im Hintergrund ins Freie erstreckt, gefühllos modernistisch hineinbauen lassen: Eine Glaswand eingezogen (darüber schaut das wie billiger Gips aus), modernes Sofa, als wichtigstes Möbelstück-„Requisit“ links ein riesiger Barschrank, der beim Öffnen durch Spiegelhintergrund hell erstrahlt und eine für manchen Herren vielleicht beneidenswerte Menge an Spirituosen offenbart. Im Hintergrund ist auch ein schmales Bücherregal, aber vielleicht steht da drin nur Coffeetable-Literature… man könnte es vermuten.
Hier findet ein Fest statt, und Haneke formuliert für uns die Frage: Warum macht er (Alfonso) denn für seine Freunde eine Housewarmingparty als Kostümfest? Ja, warum? Wenn Haneke es nicht weiß, wer dann? Das Thema des Festes scheint „Opernfiguren“ zu sein, jedenfalls meint man sicher eine Marschallin zu erkennen, viele „klassische“ Mozart-Kostüme auch. Alfonso erscheint im Gewand der Mozart-Zeit als käme er aus einer Aufführung der Met. Die jungen Leute hingegen sind heutig angezogen, nicht einmal sonderlich „party“-gerecht – ein rotes Fähnchen für Fiordiligi, ein Hosenanzug über einem weißen T-Shirt (wer der Mann darauf ist?) für Dorabella.
Das weiße Gewand, in dem Despina herumhüpft, ist eigentlich nicht zu definieren. Die ganze Frau auch nicht – nicht mehr Dienerin (denn die Handlung verlegt sich ja auch nie zu den Schwestern nach Hause), eine Frau, die ihre Arien unter Krämpfen zu singen scheint, offenbar ihrerseits von Männerhass geschüttelt, aber dann „spielt“ sie doch Doktor und Notar (man kann schließlich ein Libretto nur bis in gewisse Grenzen verbiegen), was in diesem Zusammenhang gar nicht logisch ist.
Auch nicht logisch – dass die jungen Männer, die sich nicht wirklich gern von Alfonso in das böse Abenteuer hetzen lassen, zwar einigermaßen „verkleidet“ (mit Bart und komischen Kostümnuancen) als die „Albaner“ erscheinen, aber über kurz oder lang ganz unverstellt sie selbst sind: Und da sollten die Damen sie nicht erkennen? Irgendwie bröckelt die Interpretation.
Und ist dennoch über weite Strecken genial, wenn sich Haneke mit der gnadenlosen Genauigkeit, die man von ihm kennt, dem Seelenleben seiner Figuren annimmt. Das Gefühlschaos ist ein totales, alles geht sehr weit (wenn sich Dorabella und Guglielmo bei ihrem Duett halb ausziehen, weiß man, dass sie nur abgehen, um im Bett zu landen), und die sinnlose Grausamkeit des Ganzen ist jede Sekunde evident. Humor wurde allerdings, das sei auch erwähnt, geradezu auf Null hinuntergefahren. Hervorragend das Schlussbild, wenn eigentlich keiner von ihnen seinen Partner heiraten will, Fiordiligi und Ferrando auf einander zustürzen und von den anderen auseinander gerissen werden – alle ziehen alle, die Zerreißprobe hat ihr signifikantes Schlussbild gefunden. Es fällt der Vorhang, aber man weiß: Da hält nichts mehr. Das tut nur noch weh.
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Um „Cosi fan tutte“ so, wie er es tut, nämlich als gnadenlosen Leichenbitter zu erzählen, musste Haneke so manches verändern, auch an der Musik – einige Rezitativ spricht Don Alfonso geradezu, dann werden sie mit den nötigen Veränderungen und Verzögerungen wie ein Dialog behandelt. Immer wieder stellen sich verstörend lange Generalpausen ein. Und seltsam – als ob sich diese quälende Atmosphäre schwer auf das Publikum gelegt hätte, es verharrte geradezu peinlich still nach so gut wie allen Musikstücken, im ersten Teil regten sich einmal ein paar Hände und verstummten schnell, als der Rest des Publikums Gefolgschaft verweigerte, im zweiten Teil gab es Applaus für eine Fiordiligi-Arie. Aber das Schweigen dürfte nicht Missbilligung gewesen sein, denn der Schlussapplaus war sehr groß. Es war – Unbehagen. Das zu erzeugen, schafft er doch immer und wie keiner sonst, unser Michael Haneke.
Das Ganze ist nicht nur bewusst quälend, schleppend ist es auch. Und musikalisch keinesfalls das, was man in Wien unter Mozart versteht und erwartet. Nicht, dass Sylvain Cambreling am Pult der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen irgendwelche schroffe interpretatorische Harnoncourt-Gelüste gezeigt hätte – es ertönte nur zu viel ungenau, unausgegoren, unausgewogen. Was dann auch wieder auf die Sänger zurückstrahlte oder auch mit ihnen zu tun hatte.
Sagen wir es im Kollektiv, dass es an diesem Abend keine wirklich schöne Stimme zu hören gab, keine mit echter Mozart-Kompetenz oder gar Kultur, wenngleich noch am ehesten Anett Fritsch als Fiordiligi in ihrem Kampf mit den furchtbaren Arien dieser Rolle einigermaßen reüssierte. Die äußerst attraktive Paola Gardina hat einen hellen, nicht sonderlich tönenden Mezzo und Andreas Wolf einen geradezu tenorhellen Bariton. Der „echte“ Tenor Juan Francisco Gatell klang hart und schroff, und von den zahlreichen stimmlichen Versagen der Kerstin Avemo als Despina will man gar nicht reden. (Übrigens klang auch der herbeigereiste Coro Titular del Teatro Real wenig schön.)
Und dennoch sah man ihnen allen, die wenig Ohrenschmaus bereiteten, fasziniert zu, weil sie Hanekes Konzept stellenweise atemberaubend exekutierten. Es mag dieses nicht der allein selig machende Weg zu „Cosi fan tutte“ sein. Vielleicht ist er für viele – und auch dafür hat man Verständnis – nicht im geringsten selig machend. Aber als Möglichkeit, was man aus dem Werk alles herausholen kann, ist der Abend faszinierend. Das fand wohl auch das Publikum, das Haneke umjubelte.
Renate Wagner