LES BALLETS RUSSES – Les Biches (Bronislawa Nijinska – 1924) / L’Après-midi d’un faune (Vaslav Nijinsky – 1912) / Shéhérazade (Mikhail Fokine – 1910) – Musik. Francis Poulenc / Claude Debussy / Nikolai Rimski-Korsakow - 8. Juni 2014 / 15.00 / Nationaltheater
Ursprünglich mit Terence Kohlers „Once upon an ever after“ (Musik: Tschaikowsky) kombiniert (12/2008), hat man in der Wiederaufnahme (30.4.14) nun Vaslav Nijinskys L’Après-midi d’un faune von 1912 zu den beiden anderen Stücken hinzugefügt, ein weiteres genuines Stück Ballets Russes in der Original-Ausstattung von Léon Bakst, von dem auch die Szenerie der Shéhérazade stammt.
Von Paris im Jahre 1909 ausgehend eroberte sich die Tanzavantgarde in Gestalt der Ballets Russes die Welt. Das “Tanzland Deutschland” hieß die Bewegung mit offenen Armen willkommen. Bereits 1912 tanzte Vaslav Nijinsky, choreographische und tänzerische Gallionsfigur der Compagnie, im Münchner Nationaltheater. Die stilistische Vielfalt der Werke, ihre rätselhafte Mischung aus kühnster Gegenwärtigkeit und Vergötterung einer opulenten Exotik, haben bis heute ihre Faszination nicht verloren. Auch hier blieb das Bayerische Staatsballett seiner Konzeption einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Tradition treu. Penible Rekonstruktion einer überbordenden Bildwelt, die fast schon verloren schien, in Shéhérazade, einer tragischen Episode von Liebe und Tod. Federleichter Witz der zwanziger Jahre im Ambiente einer idealischen Côte d’Azur. Hier treiben allzu kecke Backfische (Les Biches, wie es auf Französisch heißt) ihre Scherze mit einer dazu mehr als bereitwilligen männlichen Jugend. Und der Nachmittag eines Fauns, dessen selbstverliebte, unverschämt zur Schau gestellte Sexualität bei der Uraufführung 1912 einen Skandal hervorrief. Auch hier liegt der Wert der Rekonstruktion im Detail. Claudia Jeschke und Ann Hutchinson-Guest haben die zerbrechliche Miniatur durch penible Dechiffrierung der Nijinskischen Aufzeichnungen mit äußerster Delikatesse wieder zum Leben erweckt. Sie haben dafür gesorgt, dass weder Vulgarität noch Flüchtigkeit in den Bewegungsnuancen das subtile Geschehen trüben. (STB)
Im spritzig witzigen Teenager-Ballet von Bronislawa Nijinska (Bühne und Kostüme Marie Laurencin) zur frechen Musik von Francis Poulenc amüsierten sich 16 „Biches“ mit 3 „Athleten“, Kraftlackeln, die bei ihrem Auftritt „vor Kraft kaum laufen“ konnten. Mit Spaß an der Freud: Cyril Pierre, Jonah Cook und Adam Zvonař. Elegant und ein bisschen etepetete die Dame in Blau von Séverine Ferrolier, mit wunderschön langem, schlankem Bein. Ganz vortrefflich präsentierte sich Stephanie Hancox als Dame des Hauses mit deren diffiziler Bein- und Fußarbeit. Die übrigen 14 Mädels zeigten sich als ganz entzückende kichernde Backfische, wie man hierzulande früher zu sagen pflegte.
L’Après-midi d’un faune
Lukáš Slavický ist ja ohnehin ein kräftig gebauter Tänzer, in Baksts großfleckigem Kostüm wird die Muskulatur noch betont. Dazu die ziegenbockartige Haltung dieses Sexprotzes – Spitze! Die ihn umgebenden Nymphen bewegen sich im Schreittanz, während der Faun der Ober-Nymphe Daria Sukhorukova „interessiert“ näher tritt.
Für Mikhail Fokines Choreographie hat seine Enkelin Isabelle Fokine die choreographische Rekonstruktion übernommen. Und mit Lucia Lacarra als Zobéide und Marlon Dino als Der Goldene Sklave steht wohl ein kaum zu übertreffendes Traumpaar für die beiden Hauptpartien zur Verfügung, das dieses Stück zum besonderen Highlight dieser Ballets-Russes-Kombi macht. (Während der Probenzeit hatten sich die Tänzer erst an Baksts mit Perlen reichbesetzte Kostüme gewöhnen müssen, die besonders bei Sequenzen am Boden recht oft drücken und zwicken.) Es ist einfach zum Dahinschmelzen schön, mit welcher unvergleichlichen Geschmeidigkeit und Hingabe diese Beiden tanzen, und dies ganz besonders erfüllend wiederum bei Liebes-Pas-de-deux. Das steigert sich schließlich bis zu Zobéides tränentreibendem, vergeblichem finalen Flehen um Gnade. Cyril Pierre strahlt als gebietend schreitender König Shahriar große Persönlichkeit aus, der sich dennoch letztlich dem Gebot seines gestrengen Bruders (Norbert Graf) beugt. Mit dezentem Humor verkörperte Vittorio Alberton den Großeunuchen, der sich ob seiner Gier nach Schätzen von den Haremsdamen bestechen lässt, in Abwesenheit des Königs die Tore für die Liebhaber zu öffnen, womit dann nach der vergnügten Orgie das Unheil seinen Lauf nimmt.
Die allenthalben herrliche Musik von Francis Poulenc / Claude Debussy / Nikolai Rimski-Korsakow spielte das Bay. Staatsorchester unter Valery Ovsianikov, häufiger Gast vom Mariinski-Theater St. Petersburg. Leider fehlte dem Solo-Violinisten Markus Wolf für das großartige Shéhérazade-Solo einiges an verführerischem Samtton, wie er für dieses erotisch aufgeladene Werk unerlässlich ist.
DZ
Fotos © Tandy und Hösl/STB >
Programmbuch-Cover – Lucia Lacarra/ Shéhérazade / Zobéide
Les Biches – Ensemble
Faun – Gruppe mit Faun
Shéhérazade – Marlon Dino / Goldener Sklave
Weitere Vorstellungen:
Samstag, 21. Juni 2014, 19.30 Uhr
Sonntag, 22. Juni 2014, 18.00 Uhr
Montag, 14. Juli 2014, 19.30 Uhr (Lacarra/Dino)