POSEN: CARMEN – Eine Carmen sucht ihren Regisseur. Premiere am 15. Juni 2014
Helena Zubanovich in der Titelrolle. Foto: Theater Poznan
Es war schon ein Zufall, dass in den letzten fünf Monaten gleich drei Carmen-Premieren zu besuchen waren: Hamburg, Linz und nun am Teatr Wielki im polnischen Posznan (Posen). Und leider war man hier eben nur “dritter Sieger”, denn mit einer solchen Inszenierung wie sie der in Berlin lebende und in Tunesien geborene Franzose Denis Krief, der bisher viel in Italien unterwegs war, gewinnt man auch an mittleren Bühnen wie hier keinen Blumentopf. Dabei hätte sich die musikalische Umsetzung etwas Besseres verdient gehabt. Der libanesisch-polnische Dirigent Bassem Akiki hatte das Orchester des Hauses perfekt auf Vordermann gebracht und so störte es auch nicht, dass in der von mir besuchten Stagione-Vorstellung die blutjunge Patrycja Peiczara am Pult stand: Alle heiklen Passagen wurden von Flöten und Hörnern einwandfrei gemeistert, natürlich darf man keine Vergleichsmaßstäbe mit den ganz großen Häusern anlegen, aber der große musikalische Bogen stimmte.
Auch die vokalen Leistungen der Hauptprotagonisten konnten sich hören lassen. Allen voran der Don Jose von Piotr Friebe, der gleich zu Beginn im Duett mit Micaëla bewies, dass er über mehr als nur eine Lautstärke verfügt. In feinem piano ziselierte er hier seine Stimme heraus, schade, dass er in der Blumenarie dann in der Höhe so wie viele andere Tenöre auch zu einem anschwellenden Ton Zuflucht nehmen musste. Dennoch bot für mich Friebe die beste Einzelleistung. Im gleichen Atemzug muss Roma Jakubokska-Handke genannt werden, deren Micaëla zwar ganz so sehr berührte – was aber hauptsächlich der unzureichenden Regie anzulasten war, aber mit Ausnahme einer einzigen unkontrollierten Attacke zeichnete sie das Bild der verschmähten Liebenden zumindest in gesanglicher Hinsicht perfekt.
Leider muss man bei Helena Zubanovich, der Gestalterin der Titelpartie einige Abstriche machen. Vielleicht lag es an fehlender Probenzeit, dass man ihr diese Rolle so gar nicht abnahm, vielleicht war es wirklich die komplett fehlende Personenregie, aber so wenig wie diesmal berührte eine Carmen selten. Und das obwohl jeder Ton saß, obwohl ihre Stimme ausgereift scheint und kaum Tremolo besitzt. Aber die leere Vordergründigkeit, mit der sie versuchte sexy zu sein (etwa mit einer nackten Schulter), hatte etwas Peinliches an sich. Gepackt wurde man erst im letzten Bild bei ihrer Ermordung, aber das lag eher an der genialen Musik Georges Bizets.
Mit Jaromir Trafankowski konnte man als Escamillo wirklich zufrieden sein, denn wo gibt es heute schon einen Idealinterpreten für diese Rolle. Eine interessante entwicklungsfähige Stimme war bei ihm zu hören, auch im Auftrittslied, das vom Ballett delikat begleitet wurde (Choregraphie Paul Julius). Natürlich, als richtige Macho-Persönlichkeit kam er nicht wirklich rüber, da hat ihm die leitende inszenierende Hand gefehlt.
Und damit sind wir schon bei der wirklichen und leider dominierenden Schwachstelle dieser Carmen: Krief verwendete einige Versatzstücke als Kulissen, die – meist willkürlich und nicht immer logisch – verschoben werden: Ein rechteckiges Podest für die Haupthandlung, zwei Stockgerüste mit leeren Fenstern auf der Frontseite, eine Wand mit Carmen-Plakaten, Tische, deren Besteigen offenbar Verruchtheit vorgaukeln soll und zum Schluss keine Stierkampfarena, sondern Carmens Schlafzimmer. Dass in Zeiten wie diesen natürlich am Bühnenbild gespart wird ist ja durchaus ok, aber ein bisschen Fantasie darf schon noch gefragt sein.
Der sich wacker schlagende Chor darf nur herumstehen und mit Pseudogesten agieren, das (etwas unexakte) Ballett liefert Carlos-Saura-Zitate und die Sänger scheinen komplett auf sich allein gestellt. Ein kleiner Tipp für die Verantwortlichen: Engagierte Regieassistenten holen in so einem Fall mehr aus einem Stück als große Regie-Namen. Denn diesmal wirkte diese große Oper wie eine kleine Operette. Den Zweikampf Don Jose-Escamillo sieht man in jeder Konservatorium-Aufführung lebensechter und spannender. Und dass es bei Carmen in erster Linie um Sex geht merkte man auch erst im Finale, als Escamillo Carmens Schlafzimmer verlässt, bis dahin war es eher biederster “Hausfrauensex” (man verzeihe diesen Ausdruck), den man geboten bekam. Und dass es vielleicht gar nur ein “Stück im Stück” sei (dessen Bedeutung sich mir aber so überhaupt nicht erschloss) konnte man zu Beginn von Akt 4 erahnen, als das Volk mit den Programmheften ebendieser Carmen-Produktion herumwinkten.
Noch ein Wort zu den Nebenrollen: Hier hatten die Frauen die Hosen an, denn Natalia Puczniewska (Frasquita) und Magdalena Wilczyńska-Goś (Mercedes) gefielen wesentlich besser als die sängerisch grenzwertigen und darstellerisch fast peinlichen Karol Bochański (Remendado) und Tomasz Mazur (Dancairo). Rollendeckend hingegen Rafal Korpi und Andrzej Ogórkiewicz als Zuniga und Morales.
Feines Gespür bewies das Publikum, denn aus dem Höflichkeitsapplaus wurden Frieb und Jakubowska-Handke klar herausgehoben. Erfreulich der Altersschnitt des Poseners Publikums, der weit unter denen von deutschen und österreichischen Häusern liegen dürfte.
Ernst Kopica