Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
WIEN / Staatsoper:
DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN (Príhody lisky bystrousky)
von Leos Janáček
Erstaufführung an der Wiener Staatsoper
Premiere: 18. Juni 2014
Wo Otto Schenk draufsteht, ist Otto Schenk drinnen, das wusste man, wer das nicht will, soll gar nicht erst hineingehen. Man sieht also, erstmals an der Wiener Staatsoper (die Volksoper hat schon 1956 danach gegriffen), Janaceks „Das schlaue Füchslein“, 90 Jahre nach der Uraufführung in Brünn, und mit Hilfe von Schenk wird diese wohl doch hellste Oper von Leos Janáček hier absolut nicht problematisch. Muss ja auch nicht um jeden Preis sein.
Janáček „Szenen aus dem Waldleben“ (die stellenweise durchaus mit einem Waldweben Hand in Hand gehen, das ferne Wagner-Anklänge hören lässt), bieten zwar viele Ansätze der Interpretation. (Bis zur Sodomie – Förster liebt Füchslein, so wie bei Albee eine Ziege geliebt wird – muss man natürlich nicht gehen.) Natur-, Tier-, Kinder- oder Märchenoper, alles drin, je nachdem, wie man die Schwerpunkte setzt. Man könnte auch in diesem Mensch / Tier-Vexierspiel eine hintergründige Parabel finden, die hier unbeachtet bleibt. Aber einfach „schöne Szenen im Wald“ zu inszenieren, wie Otto Schenk es tut – das geht natürlich auch.
Die Frage stellt sich, wie „zeitgemäß“ es ist, aber die Gegenfrage heißt natürlich: Was ist heute zeitgemäß, wo das Theater und Musiktheater der Spielplatz für alles geworden ist, was sich der menschliche Geist nur ausdenken kann. Wenn also ein 84jähriger an seinen einstigen Prinzipien des Guten, Wahren und Schönen, des menschlich Echten, des psychologisch Nachvollziehbaren und auch des Verspielten festhält – warum nicht? Es ist doch wirklich alles möglich heutzutage.
Wenn da Amra Buchbinder einen „Wald“ auf die Bühne stellt, wo sich sogar die Baumstämme bewegen (einmal sogar, wenn man recht gesehen hat, als sie es noch gar nicht sollten), dazu eine Kostümpracht, die atemberaubend ist, dann denkt der ältere Zuschauer, der Jahrzehnte mit dem Schilling verbracht hat: Zehn Millionen! Dann weiß man nämlich erst, welche Summen da – ja was? verschleudert wurden? Verwendet halt für einen märchenhaften optischen Eindruck – und wenn der kleine Junge vor mir ganz verwirrt seine Mutter ansah, als das Füchslein erschossen wurde, dann kann man nur sagen: Auch das gehört zum Märchen, Bambis Mutter stirbt auch, basta, und dass Tiere sich wie Menschen verhalten, wissen wir von Walt Disney. Also. Und der Staatsoperndirektor wird schon wissen, wofür er sein Geld ausgibt. Seltsam nur, dass die vielen Orte der Handlung eigentlich nur minimal differenziert werden…
Freilich, wenn all die reizenden Viecherln so exakt trippeln, mit den Flügeln schlagen, mit dem Hinterteil wackeln und possierlich durch den Wald krabbeln, dann muss das nicht jedermanns Sache sein (meine ist es nicht, es ging mir eigentlich schrecklich auf die Nerven, weil diese Detailarbeit eine artifizielle Überflüssigkeit ist), aber man soll Schenks Triumph nicht kleinreden oder –schreiben: Das Publikum feierte ihn, als hätte er ihm geliefert, was es lange vermisst hat. Und vielleicht war es auch so.
Chen Reiss und Gerald Finley
„Interpretiert“ wurde an dem „Füchslein“ eigentlich nur, dass alle nett sind. Selbst der Harašta, der „böse“ Wilderer, der das Füchslein erschießt, darf so gemütlich vor sich hinorgeln, dass man ihm nicht wirklich böse ist (Wolfgang Bankl tut es sonor). Der Förster ist hier ohnedies der reinste Poet, und eigentlich wirkt der durch und durch sympathische Gerald Finley viel zu jung, als dass man ihm die dauernden Reminiszenzen an die Jugend glaubt. Wenn er am Ende des Füchsleins Tochter in die Arme schließt, möchte man vor Glück und Rührung über so viel Harmonie fast heulen: Liebe und Verklärung vor magischem Licht. Einen gewissen Hang zur Sentimentalität hatte Schenk ja doch immer.
Chen Reiss ist Füchslein Schlaukopf mit äußerst schmaler Stimme (aber es gibt ja Leute die meinen, Welser-Möst sei immer zu laut), und man sieht ihr zu, wie sie alles tut, was Schenk ihr aufgetragen hat – wie ein genuines darstellerisches Talent, das mit Selbstverständlichkeit in eine Rolle schlüpft, wirkt sie nicht. In zwei wichtigen Fällen fragt man sich, ob die Wiener Staatsoper nicht hätte besser hinhören sollen – Hyuna Ko ist ein Fuchs mit quälend schrillen Höhen, und auch der Hund der Ilseyar Khayrullova hätte stimmlich gefälliger ausfallen können.
Heinz Zednik
Nur noch ein Tier, weil eben Heinz Zednik jener Hahn war, der – schlechtweg prächtig gekleidet – nach ein paar Tönen schon den Tod erleiden musste, aber welch ein Luxus! Die übrigen Tiere aufzuzählen, entbehrt der Sinnhaftigkeit: Da piepsen die vom Komponisten verlangten Kinderstimmen mal mehr, mal weniger gelungen. Vielleicht wird in 20 Jahren ein Sänger, eine Sängerin auf diesen Programmzettel zeigen und sagen: „Ich habe als Kind der Opernschule angefangen, und heute bin ich ein Star.“ Man möchte allerdings nicht prophezeien, wer das sein wird.
Das etwas zerfranste, impressionistische Libretto, das ja keine wirkliche Geschichte, sondern nur Momentaufnahmen zeigt, bietet noch ein paar „Menschenrollen“ – Donna Ellen als schlecht gelaunte Förstersfrau, James Kryshak als wankender Schulmeister, Andreas Hörl als gutturaler Pfarrer. Das alles fügt sich brav und gut zusammen, ist ein Bilderbogen ohne weitere Höhepunkte, sobald man sich an Wald und Getier satt gesehen hat (erstaunlich, wie schnell das geht).
Franz Welser-Möst, der deklarierte Janáček-Fan und –Verkünder steht am Pult. Neulich schon hat er bei der „Ariadne“ extreme Freude an orchestraler Ziselierarbeit gezeigt, und hier findet er wahrlich genügend Gelegenheiten, denn der Komponist hat sich (angeblich nach dem Studium von Tierstimmen und Naturlauten) mit Wonne darauf eingelassen, einzelne Instrumente und das Orchester zu raffiniertesten Kombinationen zu bringen, manches geradezu erstaunlich anzuhören, und in den „impressionistischen“ Szenenzwischenspielen schwelgt der Dirigent geradezu. Das ist nicht nur die Entsprechung zur Inszenierung, sondern auch die Bekenntnis zu einem Werk, das einmal nicht ganz so hart und tragisch ist wie Janáček gemeiniglich in seinen anderen Opern.
Jubel für alle, die noblerweise den glücklichen Regisseur in den Vordergrund schoben. Noch einmal Schenkomania. Schöner Kitsch ist auch schön.
Renate Wagner