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DRESDEN/ Frauenkirche: YOUTH PHILHARMONIC ORCHESTRA JERUSALEM WEIMAR UNTER MICHAEL SANDERLING

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Dresden/Frauenkirche: YOUTH PHILHARMONIC ORCHESTRA JERUSALEM WEIMAR UNTER MICHAEL SANDERLING – 2.8.2013


Foto: Guido Werner

 Sie studieren an der Jerusalem Academy of Music and Dance und an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar, junge Musiker aus Israel und Deutschland. In Weimar, der Stadt, wo Geist und Ungeist deutscher Geschichte so dicht beieinanderliegen, Geisteskultur durch Goethe, Schiller, Wieland und Herder, dem Tastenvirtuosen Franz Liszt und dem Bauhaus mit seinen zukunftsweisenden Architekturbestrebungen, aber auch barbarischer Umgang mit Menschen im KZ Buchenwald, praktizieren sie ein menschliches Miteinander für intuitives Verstehen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit beim gemeinsamen Musizieren, gegenseitigen Zuhören, Diskutieren und Feiern.

 Seit August 2011 bilden sie das Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar und eröffneten damals mit ihrem ersten Konzert das Kunstfest in Weimar. Es folgten Konzerte zum Gedächtnis an Buchenwald auf der Wartburg bei Eisenach und in Berlin und wenig später in Jerusalem und Tel Aviv. Eine zweite Arbeitsphase mit anschließenden Konzerten folgte zum Jahreswechsel 2011 in Jerusalem. Das Orchester soll als ständige Einrichtung beider Hochschulen aller zwei Jahre zusammenkommen. Sie spielen Werke, die sie trennen und einen, in denen geschichtliche Brüche und Katastrophen aufscheinen, denen sie trotz Leugnen und Vergessen Gehör verschaffen wollen.

 Auf seiner Tournee von Weimar über Kloster Chorin, Berlin, Bayreuth nach Tel Aviv, Haifa und Jerusalem kam das Orchester nach Dresden und gab in der Frauenkirche ein viel beachtetes Konzert in der Reihe “Akzent ostwärts” mit ausschließlich Werken jüdischer Komponisten, darunter Berthold Goldschmidt (1903 -1996), der, geboren in Hamburg, mit seiner, unter den Fittichen von Franz Schreker komponierten und von Erich Kleiber uraufgeführten, “Passacaglia für Orchester” (op. 4), eine verheißungsvolle Karriere in Deutschland begann, die durch seine Flucht vor den Nazis nach England einen gewaltigen Knick erfuhr.

 Das junge Orchester spielte die, an der gemäßigten Moderne orientierte, freitonal organisierte, “Passacaglia” unter der Leitung von Michael Sanderling mit viel Engagement und ließ die ruhigen Abschnitte mit einem traurigen, leicht melancholischen, schmerzlichen Unterton bis zu den gewaltigen orchestralen Steigerungen in emotionalen Ausbrüchen sehr diszipliniert und mit auffallender Geschlossenheit eindringlich erstehen und gestaltete die Farbigkeit der Orchestrierung mit hoher Ausdrucksintensität.

 Der Solist der folgenden 4 Liedern aus “Des Knaben Wunderhorn” von Gustav Mahler war der, seit 2010 als Solist am Erfurter Theater engagierte, junge deutsche Bariton Florian Götz, Stipendiat des Richard-Wagner-Verbandes Weimar. Mit seiner samtweichen Stimme in Mittellage und Tiefe, fühlt er sich besonders zum Opern- und Oratorien-Repertoire der Barockzeit hingezogen und hat bereits bei Projekten renommierter Ensembles für Alte Musik mitgewirkt, vermochte aber auch die Mahler-Lieder überzeugend zu Gehör zu bringen, wobei ihm eine sehr klare Artikulation und sichere Stimmführung zugutekamen. Naturgemäß konzentrierte sich der junge Sänger zunächst auf die “technische” Seite der Ausführung und widmete sich erst in zweiter Linie dem Ausdruck, den er aber von Lied zu Lied zu steigern vermochte.

 Er kam mühelos über das mitgestaltende, die Singstimme untermalende Orchester und brachte nach dem Lied “Trost im Unglück” das bekannte “Rheinlegendchen” mit technischer Genauigkeit zu Gehör. Bei den beiden Liedern “Des Antonius von Padua Fischpredigt” und “Revelge” kam seine, in der tiefen Lage und in lyrischen Passagen gut klingende, weiche Stimme sehr schön zur Geltung (nur in der Höhe weist seine Stimme noch eine gewisse Härte auf, was sich aber noch ändern kann). In dem letzten der vier Lieder “Revelge” klang in der kurzen Passage “Ach, Brüder, ihr geht ja mir vorüber, als wär’s mit mir vorbei” der intensive Ausdruck an, zu dem er offenbar fähig ist. Zweifellos liegen seine Stärken in den tieferen, lyrischen Passagen, die vielversprechend künftig noch einiges erwarten lassen.

 Das Orchester begleitete sehr eindrucksvoll mit besonders klangschönen Streichern („Rheinlegendchen“) und sauberen Bläsern. Immer wieder waren sehr schöne Klänge bei den kurz solistisch hervortretenden Instrumenten zu hören, und auch die Pauke war trotz jugendlichem Temperament immer angemessen.

 Zum unbestrittenen Höhepunkt gestaltete sich Felix Mendelssohn-Bartholdys “Violinkonzert e Moll” (op. 64) mit der jungen Geigerin Sunny Tae. Sie ist eine Wanderin zwischen den Welten, zwischen ihrer Heimat Südkorea, wo sie den ersten Geigenunterricht bei ihrer Mutter erhielt, und Deutschland, wo sie an der Berliner Musikhochschule ihr Studium begann, das sie dann in Weimar fortsetzte.

 Melodiös fließend, mit herzhaftem Strich und leicht dunkel gefärbtem Klang, aber auch weichem, singendem Ton und viel Sinn für große Kantilenen und musikalische Bögen betonte sie vor allem die gefühlvolle, lyrisch-romantische Seite dieses Konzertes, dem sie einen besonderen Reiz verlieh. Hingebungsvoll, vertiefte sie sich in die Musik. Hier zeichnete sich bereits eine große künstlerische Persönlichkeit ab, die einiges für die Zukunft hoffen lässt. Es war eine reife, grandiose Leistung für eine so junge Geigerin.

 Das Orchester spielte, korrespondierend mit der Solistin und ließ sich auch von ihr inspirieren. Es nahm ihre musikalischen Linien auf und führte sie weiter, und es gab auch hier wieder viele schöne kleine solistische Passagen im Orchester.

 Trotz seiner temperamentvollen, jugendlich-frischen Auffassung brauchte Sanderling keine ausladenden Dirigierbewegungen. Er hatte alles “im Griff” und behielt immer alles im Blick, gab hier und da kleine wichtige Hinweise zu einer idealen Abstimmung und Koordinierung mit der Solistin und ließ ihr oft “freien Lauf”. So konnte sie das, anfangs sehr zügig vorgegebene, aber nicht zu schnelle Tempo auch mitbestimmen, um auszumusizieren.

 Sanderling “bändigte” manch jugendlichen Überschwang und sorgte dafür, dass alles zu einem einheitlichen Ganzen zusammengefügt wurde. Er koordinierte Solopart und Orchester mit sparsamen, zielgerichteten Gesten – und auch mal ganz ohne -, aber das Ergebnis war überzeugend und faszinierend zugleich. So konnten Solistin und Orchester einen vollen, sehr schönen Klang entwickeln.

 Durch gute Vorbereitung kennt Sanderling das Orchester genau und musizierte mit ihm gemeinsam, nicht als autoritärer Leiter, sondern als Freund und geistiger “Vater trotz seiner Jugendlichkeit.

 Bei allen jungen Musikern gab es erstaunlich reife, schon professionelle Leistungen, gepaart mit jugendlicher Frische und Begeisterung, resultierend aus Enthusiasmus und Leistungswillen.

 Ingrid Gerk

 

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