Zürich: Schlusskonzert des Internationalen Opernstudios (IOS) – 7.7.2014
Auf der Suche nach einem Timbre
Das Opernhaus Zürich präsentiert alljährlich zum Saisonschluss Sängerinnen und Sänger der jüngeren Generation, die sich während eines Jahres den letzten Schliff im IOS für eine Karriere geholt haben. Begleitet vom ordentlich spielenden Zürcher Kammerorchester (ZKO), das für einmal auf dem zugedeckten Orchestergraben quasi mitten im Haus und damit akustisch ungünstig platziert war, zeigten sich „die jungen Leut‘“ von ihrer besten Seite. Es war ein klug zusammengestelltes und sorgfältig vorbereitetes Konzert. Dafür ist der IOS-Leiterin Brenda Hurley ein Lob auszusprechen. Auch waren die Damen – mit wenigen Ausnahmen – in kostbare Abendroben gekleidet, sodass auch das Auge nicht zu kurz kam, und dieses ist ja heutzutage auch im Opernmetier ganz wichtig geworden. Manchmal sogar derart, dass man darüber vergisst, wie eigentlich gesungen wird. Nun war das aber gestern Abend nicht der Fall, denn alle IOS-Absolventen sangen gut bis hervorragend. Es ist schon ein Gedankenspiel, sich auszumalen, wer von diesen Sängerinnen und Sängern das Talent und Glück haben wird, Karriere zu machen. Und Karrieremachen bedeutet heutzutage, überhaupt an einem Theater zu landen, sich dort zu halten und dann weiterzukommen. Schön ist es schon, wenn man dann seinen Platz in der zweiten oder gar ersten Liga sichern kann. Dies wohl ein Ziel, „aufs Innigste zu wünschen“, wie Hamlet einst sagte. So zeigten sich auch an diesem Abend doch Unterschiede, was Stimm-Schönheit und –Kultur, was Ausstrahlung, alles, was eine Sängerin, einen Sänger letztlich ausmacht. Manchmal kann man sich aber auch täuschen, dass jemand keinen grossen Eindruck macht, sich aber plötzlich entwickelt und erstaunlicherweise dann doch seinen Weg macht. Das ist ja das Verrückte an einer Ausbildung zum Sänger, denn – wie Peter Hofmann einst sagte – ist das eine „Ausbildung ins Ungewisse“. Bewunderung für alle diese jungen Leut‘, die sich dem Wagnis unterziehen, diesen Weg zu gehen.
Nach einer etwas grob musizierten Barbiere-Ouvertüre – die Dirigenten Kanat Omarov und Thomas Barthel teilten sich den Abend- machte Sunnyboy Dladla mit der oft gestrichenen Arie „Cessa di più resistere“ aus eben dieser Rossini-Oper mit hellem Tenor und geläufigen Koloraturen auf sich aufmerksam, nachdem Dara Savinova die Unterrichts-Arie mit ebenso leichten Mezzo gesungen hatte. Gespielt haben die beiden diese Szene ganz süss. Aus „Evgenij Onegin“ hörten wir dann zwei Szenen mit dem gepflegt singenden russischen Bariton Oleg Laza, dem etwas eng geführten Tenor von Kristofer Lundin (Lensky) und einer ausstrahlungsstarken Olga von Judit Kutasi und Alexandra Tarniceru (Tatjana). Alexei Botnarciuc überraschte mit einer sonor gesungenen Szene des Königs René aus Tschaikowskys „Iolantha“, einem leider selten gehörten Werk Tschaikowskys. In der ersten Duett-Szene aus Gounods „Faust“ hörten wir nochmal die aufblühende Sopranstimme der aparten Alexandra Tarniceru (die uns schon als Einspringerin als Giulietta im „Hoffmann“ beeindruckt hatte). Leider konnte der spröde Tenor von Alessandro Fantoni in den hoch gelagerten Passagen des schwärmerischen Faust nicht überzeugen. Er sang ebenso steif wie er sich bewegte. Alexei Botnarciuc komplettierte als zynischer Mephisto. Nach der Pause übernahm dann der musikalische Leiter des IOS Thomas Barthel vom jungen Kanat Omarov den Dirigentenstab und zeigte allen, dass er der Chef ist. Deanna Breiwick , von attraktivem Äusseren, weiss dieses auch sehr erfolgreich einzusetzen, sang mit gut geführtem Sopran eine witzige Norina „Anch’io…“ (Don Pasquale). Die junge Dame muss man im Auge behalten! Ganz rollendeckend sang der Mexikaner Roberto Ortiz eine wahrlich Belcanto-gesungene Nemorino-Arie „Una furtiva lacrima“ mit feinem Stimmansatz und betörendem Timbre. Er kam dann später nochmal zum Zuge in der Liebestrank-Szene mit Roberto Lorenzi als schlitzohrigem Dulcamara. Das war köstlich gespielt und festspielreif gesungen. Dazwischen gab’s aus der „Bohème“ Musettas pfeffriges „Quando…“, von der temperamentvollen Hannah Bradbury recht gut gesungen. Roberto Lorenzi gab sich Mühe, die tiefe Lage der Mantelarie zu Klingen zu bringen. Dass er dabei nicht drückte, zeugt von seiner Musikalität. Der Österreicher Christoph Seidl sang und gestalte sehr überzeugend die Arie des Wassermanns aus Dvoraks „Rusalka“. Einen wahren Hit landete Susanne Grosssteiner mit der Szene und Arie der Frau Fluth aus Nicolais leider viel geschmähter Spieloper „Die lustigen Weiber von Windsor“. Was für ein entzückendes Werk und eine schwer zu singende Arie. Die höchst aparte Sängerin führte uns mit „Witz und Laune“, wie es in der Arie heisst, mit koloraturgewandtem Sopran – endlich eine richtige Soubrette mit Stimme und Höhe – mit viel Charme und Charisma wahrlich „an der Nase“ herum. Ein riesiger Applaus belohnte ihre fabelhafte Leistung. Mit dem Schwersten, was es gibt, nämlich Mozart, konnte Christoph Filler – ebenfalls Österreicher wie seine Kollegin Susanne Grosssteiner – mit der „Aprite“-Arie des Figaro seine wunderbare geführte Stimme und sein Bühnen-Temperament präsentieren. Noch toppen konnte dies Olivia Vote mit einem unglaublich gut gesungenen „Parto, parto“ des Sesto aus Mozarts „Titus“. Welch wunderbares Timbre, welch sichere, nicht spürbare Technik, welch klangvolle und leicht geführte Mittellage, welch aufblühende Höhe, welch Souveränität im künstlerischen Ausdruck! Dabei stand die Künstlerin einfach da – und wirkte. Kein Buhlen mit dem Publikum, kein Getue – fabelhaft! Mit der Kartenszene und –Arie konnte sich Judit Kutasi nochmals in Szene setzten. Sie spielte eine konventionelle Carmen, mit dem üblichen Hüftstütz, sang aber mit Ausstrahlung und voluminöser Stimme die tief liegende Arie. Dass sie dabei zuweilen arg brustig sang und ein paar hohe Töne bereits ein Vibrato aufwiesen, sollte dieser schönen Stimme auf die Dauer keine Probleme bereiten. Hannah Bradbury und Dara Savinova komplettierten als Frasquita und Mercédès. Zum Abschluss dieses gelungenen Abends durften alle 16 Sängerinnen und Sänger im „Barbiere“-Finaletto II des genialen Meisterwerks Rossinis mitsingen und sich so vom Publikum verabschieden. Wir wünschen Allen das Beste auf ihrem Weg. Wir werden Deanna Breiwick und Judit Kutasi weiterhin in Zürich erleben, während alle andern Künstler ihren Engagements an andern Häusern entgegensehen.
John H. Mueller