Festival Retz:
JUDITHA TRIUMPHANS von Antonio Vivaldi
10.Juli 2014
Das Festival Retz feiert heuer sein 10-jähriges Jubiläum. Schon 2005, dem ersten Jahr dieses längst nicht mehr als Geheimtipp geltenden Festivals im Grenzland zwischen der Tschechischen Republik und Österreich, galt der Übertitel dem programmatischen Thema „Musik & Literatur – Offene Grenzen“. Gespielt wurde damals wie heute in Retz und im benachbarten Znojmo/Znaim. Lesungen und Konzerte umrahmen seit Beginn die szenische Produktion eines musikdramatischen Werkes, das nicht zum Standardrepertoire von Künstlern oder Veranstaltern zählt. Seit der Carinthische Sommer nicht zuletzt aus finanziellen Gründen von Musiktheaterproduktionen Abstand genommen hat, steht Retz einzigartig in Österreich für das Genre der Kirchenoper. Die Verleihung des Bank Austria Kulturpreis 2013 ist eine verdiente Würdigung des Gesamtkonzeptes.
Im Zentrum des heurigen Festivals steht eine szenische Produktion des Oratoriums „Juditha triumphans“ von Antonio Vivaldi in der Stadtpfarrkirche St.Stephan.
Vivaldi komponierte das von seinen vier Oratorien einzig erhaltene im Auftrag der Republik Venedig im Jahr 1716. Im Juli 1716 waren die Türken auf der zu Venedig gehörenden Insel Korfu gelandet. Die Bevölkerung leistete Widerstand, und nach einer Allianz mit dem Heiligen Römischen Reich wurde unter der Führung von Graf Johann Matthias von der Schulenburg die entscheidende Schlacht gewonnen und die Türken zogen ab. Die Geschichte der Judith, die den ihre Heimatstadt belagernden Feldherrn Holofernes besiegt, ist daher als Allegorie des Sieges der Venezianer zu verstehen. Die Uraufführung erfolgte im November 1716 durch Sängerinnen, Chor und Orchester des Ospedale della Pietà.
Dem Ort der Uraufführung ist auch die Besetzung geschuldet. Alle Rollen, die fünf Solisten und auch die der Soldaten, sind für Frauenstimmen komponiert. Das obligate Streichorchester wird in der Originalbesetrzung durch Timpani, Mandoline, Theorben, Viola da gamba und Viola d´amore, Blockflöten, Chalumneau, Oboen und Orgel erweitert.
Ewald Donhoffer (musikalische Leitung) und Monika Steiner (Regie) haben für das Festival Retz eine Spielfassung erarbeitet, die sich weitgehend an das Original hält, aber doch durchaus bedeutende – und für mich störende – Abweichungen beinhaltet. Gestrichen ist beispielsweise die Rolle des Hohepriesters Ozias und damit die komplette Eingangsszene zum zweiten Teil, in der er den Sturz von Holofernes vorhersagt und die Vernichtung des gottlosen Feindes fordert. Bietet die Verwendung eines Countertenor an Stelle einer Altistin für die Rolle des Holofernes eine mögliche Alternative, ist der Einsatz eines Tenors an Stelle eines Soprans für die Rolle des Vagaus nicht nur aus musikhistorischer Sicht nicht vertretbar (und schon gar nicht im Zusammenhang mit einem Originalklang Ensemble, wie es das sehr gut spielende Ensemble Continuum ist). Dass ein gemischter Chor (sehr gut das von Hannes Marek einstudierte LABYRINTHEvocalensemble) den original reinen Damenchor ersetzt, rundet das unausgewogene Bild ab.
Von diesen – nicht nur subjektiv geprägten – Einwänden abgesehen, bildet die musikalische Umsetzung einen ersten Höhepunkt des heurigen Festivalsommers. In der Titelpartie glänzt Adrineh Simonian durch Persönlichkeit und Stimme. Bravourös meistert sie die bis in tiefste Stimmregionen reichende Partie. Der durchaus kritische Zuhörer fragt sich einmal mehr, warum diese ausgezeichnete Sängerin auch an ihrem langjährigen Stammhaus Volksoper nicht häufiger zu hören war. Die zweite weibliche Rolle, Judiths Magd Abra, wird von Mara Mastalir durchaus rollendeckend und engagiert gesungen. Mit geschmeidigem Countertenor singt Nicholas Spanos den Holofernes und hält den Vergleich mit großen Namen dieser Stimmlage durchaus stand. Auch darstellerisch setzt er die Figur glaubwürdig um. Der Tenor Jan Petryka in der Rolle des Vagaus (in allen mir zugänglichen Unterlagen mit der Bezeichnung „Eunuch“ versehen) komplettiert das SängerInnenquartett kompetent.
Die Szene (Alexander Löffler) wird von baldachinartigen Netzen dominiert, die auch die Kirchenakustik verbessern; Military-Look überwiegt bei den Kostümen (Inge Stolterfoht).
Das Publikum war von den Darbietungen hörbar begeistert. Die Frage, ob ein– auch szenisches – Oratorium vom Podium eines Konzertsaales unbedingt auf eine Bühne transferiert werden soll, stelle aber nicht nur ich mir.
Michael Koling