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Rossini in Wildbad 2014: IL VIAGGIO À REIMS / HOMMAGE À NOURRIT

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 Königliches Kurtheater Bad Wildbad_Foto Elias Glatze~1
Gerettet – das königliche Kurtheater Bad Wildbad / Foto: Elias Glatze

ROSSINI IN WILDBAD 2014

Teil I – 11.-13.7. 
Belcanto-Freuden und Raritäten-Schätze

„IL VIAGGIO À REIMS“ 12.7. in konzertanter Aufführung

Als für einen bestimmten feierlichen Anlass geschriebenes Werk eröffnete Rossinis „Cantata“ von 1825 nicht nur das Zehnjahr-Jubiläum des kleinen Festivals im Nordschwarzwald – es lag auch nahe, mit diesem einst als nicht überlebensfähig eingeschätzten Stück das in mehrjähriger Restauration wieder spielbar gemachte Königliche Kurtheater damit endgültig seiner Bestimmung zu übergeben. Wie in der Vergangenheit schon mehrfach geschehen, versammelte sich für eine CD-Aufnahme ein hochqualitatives Ensemble zu einer konzertanten Aufführung (von der szenischen Einstudierung mit Nachwuchskräften ist später zu berichten). Zum ersten Mal wurde die einaktige Komposition in seiner ursprünglichen Form vorgestellt, d.h. zwei kurze Ballettmusiken sowie ein gemischter Chor im Bankett-Finale wieder eingefügt, aber auch einige Hinzuerfindungen Claudio Abbados, des Dirigenten der 1984 von Pesaro aus ihren Siegeszug durch die Welt angetretenen Produktion, wieder eliminiert.

Obwohl in der Enge des kleinen Kurtheaters dicht an dicht hinter die Notenständer gedrängt, nutzten die allermeisten Solisten so gut es nur ging die Gelegenheit sich mit Blickkontakt die Bälle zuzuspielen und ermöglichten so trotz der Einschränkung eine von viel Lust und Animation getragene Entfaltung der Ereignisse rund um die mangels Pferden scheiternde Fahrt einer illustren Hotelgesellschaft zur Krönung Kaiser Karl X. nach Reims.

Il Viaggio a Reims_konzertant_Bad Wildbad 12.7.14_Foto Elias Glatzle~1 Foto: Elias Glatze

Spiritus rector dieses von verschiedenen Liebes-Rivalitäten angereicherten turbulenten Geschehens war Wildbads musikalischer Direktor Antonino Fogliani. Bei aller Liebe zu den isntrumentatorischen und oft ironische Zeichen setzenden Details verlor er nie den Überblick über das Ganze und hielt die Spannung sowohl über die einzelnen Nummer als auch den Gesamtablauf. Auch dank der schon vielfach bewährten Virtuosi Brunensis funktionierte das Räderwerk immer wieder crescendierender Streicher und leicht atmender Bläser-Fiorituren bis auf minimale Verwischungen reibungslos.

Aus dem insgesamt niveauvoll besetzten Ensemble ragten vier SängerInnen besonders heraus. Bei den Damen glänzte die mädchenhaft zarte Sofia Mchedlishvili als Contessa di Folleville mit einem erfrischend liebreizenden Sopran, der koloratursicher und mühelos in den Spitzenbereich geführt wird und durch ausdrucksvoll nuancierte Phrasierung und mimischer Spiellaune der modeverrückten jungen Witwe höchst beeindruckende Glaubwürdigkeit verlieh.

Die weiteren Trümpfe kamen von der Herrenseite: zwei gleichermaßen hochwertig höhenstrahlende, vokal wie äußerlich attraktive Tenöre sind auch im heute reicher denn je bestückten Rossini-Fach eher die Ausnahme, aber eben das, was sich für Festspiele geziemt. Der blonde Maxim Mironov mit passend metallisch unterlegtem, substanzreichem Timbre als eifersüchtiger Graf Libenskof und der dunkelhaarige Bogdan Mihai mit weicher und eleganter Klinge sowie schwebend leicht vollführten Verzierungen als wendiger Cavalier Belfiore.

Die vierte Totalerfüllung bot Mirco Palazzi mit breit strömendem und durch alle Register beweglich und rund im Ton bleibendem Bass als schüchtern verliebter Lord Sidney.

Dicht gefolgt von Laura Giordano, deren kräftiger lyrischer Sopran den poesievollen Gesängen der Dichterin Corinna eine teils bewegend schöne, harfenumglänzte Atmosphäre gab, und Marianna Pizzolato als patenter polnischer Witwe Marchesa Melibea mit bestechend fließend ausgeglichenen Mezzo-Farben. Etwas dahinter zurück stand Alessandra Marianelli, deren teilweise scharf werdender, resonanzreicher Sopran für die lebensfrohe Hotelwirtin Madame Cortese etwas an Charme vermissen ließ und auch im konzertanten Spiel eher reserviert wirkte.

Bruno De Simone gelang das Kabinettstück des in verschiedenen Sprachen schnatternd parodierenden Altertümer-Sammlers Don Profondo auch im schnellsten Parlando mit gestochener Deklamation seines Basses, dem höchstens phasenweise noch mehr Tiefe und Wärme zu wünschen wäre. Im Konstrast dazu stand Bruno Praticòs schnarrend markanter Bariton, dessen humoristische Ader dem deutschen Major Baron Trombonok viele Pointen sicherte. Gezim Myshketas Don Alvaro strotzte nur so vor baritonal männlicher Pracht, Baurzhan Anderzhanov empfahl sich als Arzt Don Prudenzio mit sämigem Bass für größere Aufgaben, ebenso der in der Tiefe volle, in der Höhe hell aufblühende Mezzosopran von Olesya Chuprinova als Hausdame Maddalena.

Unter den Stichwort gebenden kleinen Rollen ließen Artavazd Sargsyan kultiviert weicher Tenor, Carlos Cardosos kernigerer Fachkollege als Don Luigino, Yasushi Watanabes fülliger Tenor als Gelsomino sowie Lucas Somoza Osterc als Antonio mit angenehm rundem und sauber geführtem Bariton mehr aufhorchen als die beiden noch ungeschliffener wirkenden Sopranistinnen Guiomar Cantò und Annalisa D’Agosto als Delia bzw .Modestina aufhorchen.

Der Camerata Bach Chor Posen (Einstudierung: Ania Michalak) füllte die Ensembleszenen hinreichend auf.

Wenn sich im kurios angelegten Concertato für 14 Stimmen oder im finalen Preisgesang nach dem Defilée der Nationalhymnen alle Beteiligten der Freude und Ausgelassenheit hingeben, kannte auch der Jubel des Publikums kein Halten mehr. Ein würdevolles musikalisches Fest zur endgültigen Wiederbelebung dieses Theater-Kleinods.

 

„HOMMAGE À NOURRIT“ 11.+13.7.
Lehrstunde mit Juwelen

Außer der konzertanten „Viaggio“ erwies ein ganz besonders, wenn nicht gar einmaliges Projekt der Eröffnung des geretteten Theaterbaus alle Ehre. Physiognomische Ähnlichkeiten zwischen dem legendären Tenor der Pariser Opéra Adolphe Nourrit und dem heutigen Tenor-Spezialisten Michael Spyres brachten den unermüdlichen wissenschaftlichen Mitarbeiter Reto Müller auf die Idee dieser Hommage. Als der in Wildbad bereits mehrfach hervor getretene amerikanische Barytenor ein dahingehendes CD-Unternehmen starten wollte, wurden trotz bereits knapper Ressourcen alle Hebel in Bewegung gesetzt, um diesem Aufnahme-Projekt ein Konzert während der Festspiele zugrunde zu legen. Und weil sich die Auswahl der Stücke, die speziell für Nourrit und seine Gesangskunst entstanden waren, als so reichhaltig und für einen Abend konditionell zu überfordernd herausstellte, wurde daraus ein auf zwei Abende verteiltes Programm, ergänzt durch einige Ouvertüren von Rossinis Zeitgenossen.

Michael_Spyres_02_©Darcey_Borghardt~1 
Sympathischer meisterhafter Stilist: der Barytenor Michael Spyres
Copyright: Darcey Borghardt

Adolphe Nourrit hatte von 1821-1837 maßgeblich den Gesangsstil der französischen Oper geprägt, der zugunsten einer feinen sprachlichen Deklamation weitgehend auf überbordenden Zierrat verzichtete, stattdessen auf weit gespannte Tonbögen, beständige Hell- und Dunkel-Schattierungen, ein leicht geführtes exorbitant hoch notiertes Spitzenregister sowie eine stark ausgeprägte Mittellage setzt. Mit dem glücklosen, weil letztlich stimmschädigenden Versuch sich bei Donizetti auch den ganz anders gelagerten, koloraturreicheren italienischen Gesangsstil anzueignen, ging Nourrits bis dahin beispiellose Karriere abrupt zu Ende, was ihn mit gerade mal 37 Jahren in den Selbstmord trieb. Dieses Schicksal wird dem Anfang-Dreissiger Michael Spyres ganz sicher erspart bleiben, denn er beherrscht beide Stile gleichermaßen, was er hier vor Ort bereits vor einigen Jahren mit Rossinis „Otello“ und jetzt als Abschluss des Programms mit einer Arie des „Poliuto“, also jener Oper bewies, an deren Entstehung Nourrit selbst noch mitgewirkt hatte und einen neuen Schritt in seiner Karriere begründen sollte.

Am Beginn des ersten Abends stand jene Arie aus Rossinis „Le Comte Ory“, deren Melodie wie einige andere aus „Il Viaggio à Reims“ in diese französische Oper gerettet bzw. transponiert wurde. Mit jugendlicher Emphase und Animo sowie hellem und frischem Tonansatz stürzte sich Michael Spyres in die Koloraturgirlanden und zahlreich abzuschießenden Höhenfeuerwerke des Schürzenjägers, die eins so schön wie das andere zündeten.

Ein herausragendes Paradestück wie Raouls Auftritts-Arie aus Meyerbeers „Les Huguénots“ mit seiner phasenweise nur von einer Viola gestützten Melodie ließ dann buchstäblich den Atem anhalten ob der ebenso feinen Linienführung, zahlreichen farblichen Nuancen und flexiblen Melismen, die Spyres zu einem homogenen Ganzen und mit einer voller Energie getragenen Schlusssteigerung zu Ende führte. Im Hinblick auf den CD-Mitschnitt gelang offensichtlich nicht alles ganz nach Wunsch, worauf die Arie am zweiten Abend als Draufgabe in der Tat noch besser  wiederholt wurde.

Arnolds zweiteilige Arie aus Rossinis „Guillaume Tell“ gab ihm dann Gelegenheit seine Fähigkeiten heraus zu stellen, daraus ein Minidrama in sich mit gleichzeitig sensibelster wie expressiver Note zwischen leidvoller Verzagung und Entschlossenheit zur Rache über mühelos bewältigte Klippen mehrerer hoher Cs zu formen.

Ebenfalls von Rossini folgten Gebet und Arie des Néocles aus „Le siège de Corinthe“, wo Spyres von Mitleid erweckendem seelenvollem Flehen zu mitreißender Tragik wechselt. Höchste Intensität erzielte er sodann in an der an die Grenzen emotionaler Durchdringung führende große Szene des Eléazar aus Halévys „La Juive“. Sypres’ für einen Tenor auffallend fundierte Mittellage und Tiefe kommt hier ganz besonders zur Geltung, ehe in der abschliessenden Stretta die Qualen des zerriebenen jüdischen Vaters in aufregend glutvollen Spitzenausbrüchen ihren Niederschlag finden.

Der zweite Abend gehörte den Raritäten und begann mit Rezitativ und Romanze des Nadir aus Cherubinis „Ali Baba ou les quarante voleurs“, die ins Bewusstsein rief, wie virtuos dieser Komponist im Rahmen seines klassizistischen Stils doch für die Stimme geschrieben hatte. Große Beweglichkeit innerhalb eines Registerbereiches sowie die fast durchgehend hohe Notierung zeigten Michael Spyres von Anfang an in sehr guter Form.

Eleganz und große Noblesse legte Spyres rollengerecht in die Arie des Gustave aus Aubers Vertonung des „Maskenball“-Stoffes, gepaart mit einem unendlich erscheinenden Atem, der ihn mit strahlender Höhe makellos linear durch dieses Solo führte.

Von Auber durfte natürlich Arie und Cavatine des Masaniello aus der als Revolutionsoper in die Geschichte eingegangenen „La muette de Portici“ nicht fehlen. Auch hier wechselte der Barytenor spannungsvoll von entflammter Schilderung der Ereignisse zu sanft eingehüllten Lyrismen. Als Vorläufer von Donizettis „L’Elisir d’Amore“ war es besonders wertvoll die Arie des Guillaume aus Aubers „Le philtre“ kennen zu lernen, wo bereits die Orchester-Begleitung die Einnahme des Liebestranks anschaulich nachzeichnet und vokal von Spyres mit Schmelz, Hingabe und Klangschönheit ausgekostet wird.

Ein Glanzstück für Tenöre müsste die Barcarole des Stradella aus der gleichnamigen Oper des völlig unbekannten Louis Niedermeyer sein, wenn das zweistrophige Couplet mit seinem bewegten Grundrhythmus nicht mehrfach das hohe C sowie eine Haltung von Adel und ein beständiges Wechselspiel aus Geschmeidigkeit und Feuer verlangen würde. Spyres zeigt auch hier vorbildlich, worin die Kunst seines berühmten Kollegen-Ahnen bestanden hat.

Den passenden Schluss bildete der bereits erwähnte „Poliuto“ Donizettis als Endstation von Nourrits Laufbahn, für Michael Spyres dagegen ganz sicher ein weiterer Triumph seines breiten Könnens, der Robustheit und gleichzeitigen (auch sprachlichen) Wandlungsfähigkeit seiner Stimme, die ihren Höhepunkt selbst im Hinblick auf das bewundernswerte Niveau dieser Konzerte sogar noch nicht einmal erreicht haben dürfte.

Die Begleitung oblag dem in Belcanto-Raritäten erfahrenen David Parry, der mit den Virtuosi Brunensis auch in drei Instrumentalbeiträgen, den Ouvertüren zu Aubers „Le philtre“ und Pacinis „Stella di Napoli“ sowie der erst letztes Jahr publizierten Orchesterphantasie Saverio Mercadantes „Omaggio all’immortale Rossini“ mit immer wieder kurz aufflackernden Motiven aus dessen Opern, gekleidet in ein teils feierliches, teils ausgelassenes musikalisches Gewand, die musikalischen Qualitäten des Orchesters herausstrich.

Dieses Unternehmen verdient nicht zuletzt deshalb das Prädikat der Festspielwürde und Einmaligkeit, weil das Zustandekommen nicht nur eine Frage des finanziellen Aspekts, sondern zuallererst der Beschaffung des oft nur mühsam über Umwege zusammenstellbaren Notenmaterials war.

Einziger Mangel war das an beiden Abenden trotz ziviler Preise bei weitem nicht ausverkaufte Kurtheater; bei einem Belcanto-Liebhaber-Publikum, das sonst problemlos die wesentlich größere Trinkhalle füllt, ein unerklärbarer Fakt. Des Jubels der Anwesenden konnte Spyres für seine in dieser Form konkurrenzlose Stellung jedoch sicher sein.

Udo Klebes

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