Riga: Ausstellungen im Kulturhauptstadtjahr 2014, 15.07. 2014
Blick von der Petrikirche auf Altstadt und Dom. Foto: Ursula Wiegand
Als diesjährige Europäische Kulturhauptstadt bietet Riga neben viel Musik auch bemerkenswerte Ausstellungen.
Jugendstilausstellung in der St. Petrikirche. Foto: Ursula Wiegand
Im Kirchenschiff von St. Petri ist noch bis zum 7. September eine gut gemachte Internationale Wanderausstellung „Die Natur im Jugendstil“ zu sehen. Eigentlich wirkt sie gerade dort wie „Eulen nach Athen tragen“, ist aber ein Impulsgeber, um sich sogleich in Riga – ohnehin Europas Jugendstil-Hochburg – intensiv umzuschauen.
Jugendstilhaus von Paul Mandelstamm in der Altstadt. Foto: Ursula Wiegand
Zunächst in der Altstadt, wo das Haus in der Kaleju iela 23 (iela heißt Straße) mit dem blumenumkränzten Eingangsportal, konzipiert von Paul Mandelstamm, zum echten „Hingucker“ wird. Dann aber weitergehen ins eigentliche Jugendstil-Viertel, wo sich in den Straßen Alberta, Elizabetes und Strelnieku spektakuläre Fassaden wie „Bilder einer Ausstellung“ aneinander reihen.
Jugendstil von Michael Eisenstein. Foto: Ursula Wiegand
Am tollsten – mit dekorativen Details in Rekordzahl – trieb es dort Michael Eisenstein (1867-1921), der Vater des Filmemachers Sergej Eisenstein („Panzerkreuzer Potemkin“).
„Riga2014“ besitzt jedoch noch weitere steinerne „Ausstellungsstücke“ und bringt dabei voller Mut auch Licht in die dunkle Vergangenheit.
Gemeint ist die Öffnung des leeren, seit 2008 verschlossenen KGB-Gebäude an der Brīvības iela (Freiheitsstraße) Nr. 61. „Manche wechseln noch immer die Straßenseite, wenn sie sich diesem Eckhaus nähern,“ weiß meine Begleiterin Anna Muhka. Nun kann man es bis zum 19. Oktober besichtigen. Was künftig aus dem denkmalgeschützten Bau wird, ist noch ungeklärt.
Früheres KGB-Gebäude. Foto: Ursula Wiegand
Dieses großartige neoklassizistische Gebäude mit Säulen und Schmuckgiebeln – 1912 als Wohnhaus von Aleksandrs Vanags (1873-1919) errichtet – wurde als KGB-Zentrale während der Sowjetzeit zum Ort des Schreckens. Vor allem die Horrorjahre 1940/41 sind unvergessen.
Holzbriefkasten im KGB-Gebäude. Foto: Ursula Wiegand
Erhalten ist der Holzbriefkasten, in den die Menschen ihre Schreiben mit der Bitte um Auskunft über den Verbleib ihrer Angehörigen steckten. Eine Antwort blieb stets aus. Die abgeschabten Tische und Stühle in den Verhörräumen sind ebenfalls vorhanden. Bei Führungen durch den Keller, wo gefoltert und erschossen wurde, sowie beim Blick in einige der 44 engen Zellen graust es selbst die Besucher.
Ein älterer Herr hat sich von seiner Gruppe getrennt, geht nachdenklich durch die kahlen Gänge und beginnt mit Anna auf Lettisch ein Gespräch.
Ex-KGB-Häftling Gunars Vitmanis ( 82). Foto: Ursula Wiegand
Vor 60 Jahren, so übersetzt sie, war er hier vier Monate inhaftiert und wurde zu 10 Jahren Lager in Sibirien verurteilt. Tränen treten in die Augen des 82-Jährigen bei solchen Erinnerungen. Gunars Vitmanis heißt dieser tapfere Zeitzeuge, ein Überlebender von insgesamt 35.000 Deportierten.
Bereits 1941 waren es rd. 23.000, und ihre Namen sind bekannt. Als plötzlich die Deutschen anrückten, warfen die KGB-Leute alle Namenslisten zum Verbrennen in den Hof. Dazu kam es nicht mehr, denn sie flohen Hals über Kopf. Mitglieder einer Jugendorganisation schrieben die Listen ab. Nach Kriegsende wurden diese Dokumente in den Westen geschmuggelt und 1990 an Lettland zurückgegeben. Sie füllen ein dickes Buch, eine Kopie ist ausgelegt. Lauter klein gedruckte Namen, lauter Schicksale.
Gang der Gefangenen zum Arbeitseinsatz. Foto: Ursula Wiegand
In den oberen Stockwerken künden „richtige“ Ausstellungen von einem „Dennoch“. So einige, während der Lagerhaft gestrichelte, kleinformatige Porträts. Ein großes Bild schildert den Gang der Gefangenen zum Arbeitseinsatz in Sibirien.
Anderes stimmt nachdenklich und fröhlich zugleich, hat doch die Bevölkerung ganz persönliche Erinnerungsstücke jedweder Art ausgeliehen, begleitet von den dahinter steckenden Geschichten.
Berührend die roten Kinderschühchen, mitgebracht von einer Reise nach Paris. Die Mutter verzichtete auf jeden Restaurantbesuch, um der kleinen Tochter diese Schuhe schenken zu können.
Fagott eines Emigranten: Foto: Ursula Wiegand
Ein weiteres Thema ist „Der lettische Koffer“. Was haben die Emigranten aus der Heimat mitgenommen? Die einen ihr Handwerkszeug, andere das Familiensilber, Erde vom Grab der Mutter. Auch Goethes Werke und Gebetbücher begleiteten die Auswanderer. Einem Musiker war sein Fagott das Wichtigste für die Zukunft.
Lettlands neue National-Bibliothek. Foto: Ursula Wiegand
Ihre Zukunft müssen die Letten nun nicht mehr in der Fremde suchen. Das kündet Lettlands nagelneue Nationalbibliothek und setzt am Daugava-(Düna-)Ufer ein Zeichen der Zuversicht. Ein fantasievoller moderner Bau, entworfen vom mehrfach preisgekrönten US-Architekten Gunnar Birkerts, einem gebürtigen Letten.
163 Millionen Euro ließ sich das kleine Land dieses 68 m hohe, 13-geschossige Haus kosten, denn die Letten sind Leseratten. Hier finden sie nun 6 Millionen Bücher, freien Zugang zu 350.000 Publikationen, Seminarräume und einen Konzertsaal.
Mit einer Menschenkette wurden die Bücher im Januar bei klirrender Kälte von diversen Standorten in ihre neue Bleibe befördert. Eine Erinnerung an die gegen die russischen Besatzer gerichtete, 650 km lange Protestkette am 23.08.1989 durchs gesamte Baltikum.
Erstes, 1514 in Europa gedrucktes Buch auf Arabisch. Foto: Ursula Wiegand
Den Start machte am 2. Juli die interaktive Ausstellung „The Book 1514-2014“ mit kostbaren Leihgaben von 18 Bibliotheken, davon zahlreiche aus Wien. Der Österreichische Bundespräsident Heinz Fischer kam zur Eröffnung nach Riga. Noch bis zum Jahresende sind dort Perlen der Buchdruckerkunst durch 500 Jahre zu sehen, u.a. Text und Noten eines Kanons oder das erste in Europa in arabischer Sprache gedruckte Buch. Elektronisch lassen sich überall weitere Seiten aufblättern und Details abfragen.
Blick aus der National-Bibliothek auf die Türme von Riga. Foto: Ursula Wiegand
Doch eines bleibt dauerhaft faszinierend: der Blick durch die großen Bibliotheksfenster über den Fluss auf die Altstadt mit den Türmen von Riga. Eine gelungene Verzahnung von einst und jetzt.
Ursula Wiegand
Infos über die Lettische Nationalbibliothek, auch auf Englisch, unter www.lnb.com, über Ausstellungen, Musik, Theater, Kino usw. unter www.riga2014.org/gramata.com
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