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KARLSRUHE: BORIS GODUNOW

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Karlsruhe: „BORIS GODUNOW“ 19.07. 2014

 Als hoffnungsloser Ästhet aber auch sinnvollen, neuen Sichtweisen der Opernliteratur positiv zugeneigt, finde ich Auslegungen auf leerer Bühne, gepaart mit sensibler Personenführung, ansprechendem Lichtdesign sowie authentischen Kostümen, also in Wahrung der Materie durchaus legitim und erstrebenswert. Doch jene gewünschten Attribute erfüllten sich zur Neuinszenierung „Boris Godunow“ (Modest Mussorgsky) in dessen Urfassung am Badischen Staatstheater  nur ansatzweise.

 Der leeren, dunklen Bühne mit sparsamer Deko: variabler  Holzdecke, Tische, Stühle, Terrakotta-Figuren sowie den alltagstauglichen, phantasielosen, teils schäbigen Kostümen zeigte sich Christof Hetzer verantwortlich. Sorgte zwar Jung-Regisseur David Hermann hier am Hause für Furore, erfreute er heute mit wenig Spektakulärem.Mit guten Vorsätzen wollte Hermann diese politisch, hochbrisante Oper in die Gegenwart aktualisieren, jedoch spröde, eintönig erschien die Personenführung, den Protagonisten fehlte jegliche individuelle Persönlichkeit, die Chormassen wirkten eintönig starr und somit blieben  während der sieben Bilder lediglich die  beklemmende Klosterszene, dramatische Begegnungen von Boris-Schujski-Gottesnarr, sowie das wirkungsvolle Finalbild im Gedächtnis haften.  Weniger gelungen empfand ich den geschmacklosen Griff in die Kiste der Skurrilität (Wirthausszene), ebenso konnte ein zuweilen  halbnackter Boris nicht über die (un)gepflegte Langeweile hinweg täuschen. Unwillkürlich gedachte ich meiner zahlreichen davor erlebten, ausgezeichneten Inszenierungen. Das Karlsruher Premierenpublikum scheint inzwischen etwas abgeklärt oder war von den hochsommerlichen Temperaturen gelähmt, nahm die Produktion gleichgültig ohne Pro und Contra hin.

 Vermutlich vom spannungslosen Bühnengeschehen inspiriert wirkte Johannes Willig am Pult der bestens disponierten und klangvoll musizierenden Badischen Staatskapelle merkwürdig desorientiert. Bedingt durch viele Generalpausen wurde die Partitur ihrer immensen  Vitalität  beraubt, Willig begnügte sich eines lethargischen Musizierstils, minderte zudem die akustische Suggestion in spannungsloser Orchestrierung, entgegen aller bisherigen Hörgewohnheiten dieser eindrucksvollen, gewaltigen Komposition.

 In dramatischem Impetus erfüllte Ks. Konstantin Gorny die Attribute des absoluten Herrschers, machte die aufkeimenden Ängste welche Boris Godunow beschleichen,  sich allmählich in panisches Entsetzen wandeln, sehr eindringlich fühlbar. Sonor, voller Farben klang sein schlanker, voluminöser Bass und verlieh der Figur auch vokal die charakteristische Prägnanz. Noch mächtiger, fülliger, schwärzer vernahm man das Stimmpotenzial,  vom regielich  stiefmütterlich behandelten Pimen (Avtandil Kaspeli). Mit pastosem Altregister, intensiver Mimik schenkte Rebecca Raffell der Amme präsente Würde.

Mit hellen Mezzotönen gaben Dilara Bastar (Fjodor), Stefanie Schaefer (Wirtin) sowie   Larissa Wäspy (Xenia) mit klarem Sopran,  den kleinen Frauenrollen vokale Kontur. Blass, inkonsequent erschien die Figur des intriganten Bojaren Schujski, wurde jedoch von Matthias Wohlbrecht mit feinen Nuancen seines ansprechenden Charaktertenors interpretiert, doch verblasste zuweilen dessen Gefährlichkeit, bedingt durch weinerliche Mime-Töne. Sehr eindringlich in tenoraler Frische bot Ks Hans-Jörg Weinschenk eine großartige Studie des Gottesnarren  und sang die warnenden Visionen vor  geschlossenem Vorhang, während der Bilderwechsel teils a cappella. Glanzvolle Tenortöne brachte Andrea Shin (falscher Dimitri) mit ein, komische Züge sowie herrliches Bassmaterial verlieh Lucia Lucas dem Warlaam, schönstimmig ergänzten Max Friedrich Schäfer (Missail), Gabriel Urrutia Benet (Schtschelkalow), Nando Zickgraf (Leibbojar), Andreas Netzner (Mitjuch), Yang Xu (Polizist) das restliche Ensemble. Gewaltig, großformatig präsentierten sich die von Ulrich Wagner/Stefan Neubert bestens einstudierten Staatsopern- und Extra Chöre sowie der Cantus Juvenum Karlsruhe in dynamischer Klangpracht.

Leistungsgerechter Beifall für alle Mitwirkenden und Ovationen für Gorny und Kaspeli.

Gerhard Hoffmann

 

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