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NÜRNBERG / Staatstheater : DIE HUGENOTTEN

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NÜRNBERG / Staatstheater :
DIE HUGENOTTEN von Giacomo Meyerbeer

20. Juli 2014 

Moment. Sind wir in der falschen Oper? Auf der Bühne öffnet sich ein Maleratelier, der Blick aus den Fenstern lässt ein dunstverhangenes Paris erkennen. Ist das nicht Puccinis „La Bohème“? Ist es nicht, aber Tobias Kratzer (Regie) und Rainer Sellmaier (Bühne) zitieren für Giacomo Meyerbeers „Die Hugenotten“ nicht ohne Hintersinn Puccinis sentimentreiche Künstlertragödie. Im einzigen szenischen Beitrag zum Meyerbeer-Jahr 2014 im deutschsprachigen Raum hat das Staatstheater Nürnberg die einst sensationell erfolgreiche „grand opéra“ in einer intelligenten Version auf die Bühne gebracht, die den Erzählstrang beziehungsreich aufbricht, ohne ihn an selbstverliebtes Ideen-Regietheater zu verraten.

Meyerbeer will zeigen, wie sich Konflikte entzünden und zur Katastrophe steigern. Die „Hugenotten“ behandeln – verdichtet auf einen Tag – Vorgeschichte und Ausbruch der „Bartholomäusnacht“ des Jahres 1572, eines beispiellosen Pogroms, dem Tausende protestantischer Franzosen zum Opfer fielen. Meyerbeers Libretto, von Eugène Scribe entworfen und von Gaetano Rossi gemeinsam mit dem Komponisten überarbeitet, stellt die hugenottische und die katholische Partei in einer meisterhaften Exposition gegenüber, personifiziert die politischen Richtungen – radikaler Glaubensfanatismus und Bereitschaft zu Versöhnung und Koexistenz – zunächst in den Hauptpersonen des hugenottischen Edelmanns Raoul de Nangis und seines alten Kampfgefährten Marcel, und exemplifiziert die Folgen des politisch-religiösen Konflikts dann am Schicksal des Liebespaares Raoul und Valentine, der Tochter des katholischen Edelmanns und Hugenottenhassers St. Bris.

Wenn in Nürnberg die Erregungskurve im Orchester einen ersten Peak erreicht, verzweifelt ein Maler an der Szene des Brudermords von Kain an Abel: Der Graf Nevers, im Konflikt zwischen Katholiken und Hugenotten eine nach Ausgleich trachtende Figur, ist in Kratzers Deutung ein Künstler, der mit „Bildern des Friedens“ zur Versöhnung beitragen will. Statisten versorgen sich aus Pappkartons mit Kostümen, um für ein Gemälde ein repräsentatives, an Rembrandt erinnerndes Tableau nachzustellen. Der Maler baut seine Staffelei auf für ein Bild des Friedens und der Festesfreude.

Kratzer nimmt so kreativ die bildfreudige Tableau-Idee der französischen „grand opéra“ auf. Er macht die Kunst zur Trägerin von Ideen, Idealen, Utopien. Hier ist es das lustvolle, versöhnende Fest; im zweiten Akt wird es die Konflikte ausblendende Idylle am Hofe Marguerites von Valois sein: eine Szene, in der die weißen Täubchen fliegen und die Regentin ein Schwert zerbricht. Der Bezug zu „La Bohème“ ist so ferne nicht: Auch das Atelier der Freunde um Rodolfo ist ein Versuch, sich von der grauenvollen sozialen Realität nicht überwältigen zu lassen.

Kratzer inszeniert Meyerbeers „Hugenotten“ von dieser Exposition ausgehend als eine zunehmende Störung der in der Kunst repräsentierten Friedens-Idee. Schon Raoul, der zum Versöhnungsfest geladene Hugenotte, bleibt ein Fremdkörper; mehr noch Marcel, sein Mentor, ein fanatischer Anhänger der neuen Konfession: Er führt sich sofort als Eiferer ein, wettert gegen der „Gottlosen Festmahl“, gegen Papisten und Fleischeslust, akzeptiert Gesten der Versöhnung nicht.

Der Gegensatz zwischen sinnenfrohem Katholizismus und strengem, rigiden Protestantismus spielt in der Bilder- und Zeichenwelt der Inszenierung eine wesentliche Rolle. Das Wechselspiel der Provokationen schaukelt sich auf, bis im dritten Akt die Konfrontation offen ausbricht: Kratzer verweist im Intermezzo der zukunftsprophezeienden Zigeunerinnen mit zurückhaltenden Videos (Boris Brinkman) auf die Gegenwart in arabischen Ländern. Er bedient sich aber keiner platten Aktualisierung, sondern findet ein verstörendes Bild für den endgültigen, unaufhaltsamen Einbruch des Bösen: Die Wasserspeier von Notre-Dame werden dämonisch lebendig, besetzen als geflügelte Teufelswesen das Atelier.

Später verheizt der Maler im Ofen die erotischen Zeichnungen, die er von seiner Geliebten Valentine angefertigt hat: Abschied von der Hoffnung auf eine einstige Liebe, die unmöglich ist in einer historischen Situation, in der die Individuen mitgerissen werden in den Mahlstrom mörderischer Ereignisse. Aber wohl auch ein Abschied von Idealen, die der Künstler vor der anrollenden Lawine mörderischer Gewalt nicht mehr bewahren kann. Das Feuer, das sie verzehrt, wird später von draußen hereinlohen: Auch im brennenden Paris gehen die Werte eines auf Respekt und Ausgleich bedachten gesellschaftlichen Lebens unter. Kratzer zeigt, wie die Katholiken um St. Bris die Mordnacht planen: ein Verweis auf die historischen Ereignisse, denn auch das Pogrom der Bartholomäusnacht brach nicht spontan aus, sondern war sorgfältig vorbereitet.

Meyerbeer lässt seine Liebenden dennoch nicht wehrlos untergehen. Zwar wirft der ernüchterte Marcel am Ende auch seine Bibel ins Ofenloch. Doch der Entschluss Valentines, Raouls protestantischen Glauben anzunehmen und mit ihm in den Tod zu gehen, setzt ein Zeichen: Er löst die politische Ohnmacht nicht auf. Aber er insistiert auf der freien Unverfügbarkeit der persönlichen Entscheidung. Der Einzelne rettet seine Würde – nicht im vergeblichen Widerstand gegen das Unabwendbare, sondern im Bekenntnis für das, was er für sich selbst als existenziell entscheidend erkannt hat. Eine völlig unpathetische Szene, die dem Zeitalter ideologischer Heroisierungen des 20. Jahrhunderts nicht gepasst haben dürfte. Solche Konzepte gehören wohl auch zu den Gründen, warum der jüdische Kosmopolit Berliner Herkunft von den Bühnen verschwunden ist. Für ein „postheroisches“ Zeitalter jedoch eine prophetische Vision: Genau deswegen ist Meyerbeer aktuell.

Das Nürnberger Theater setzt mit dieser Inszenierung von „Les Huguenots“ die – immer noch rudimentäre – Wiederentdeckung Meyerbeers für das Musiktheater der Gegenwart fort. Andere Häuser, die sich bedeutender wähnen, haben das bisher verschlafen, obwohl schon John Dews nicht unumstrittene Inszenierungen von „Le Prophète“ (1985/86 in Bielefeld) und „Les Huguenots“ (1990/91 in Berlin) auf das Potenzial der Opern Meyerbeers für die (Post-)Moderne verwiesen haben. Die Inszenierung der „Hugenotten“ in Brüssel durch Olivier Py (2011) hat das nochmals bestätigt. Tobias Kratzer hat in Nürnberg vertieft, was bei Py auf eine eindrucksvolle, letztlich aber erzählerische Dimension beschränkt war. Zu hoffen ist, dass der geplante Meyerbeer-Zyklus an der Deutschen Oper Berlin diese Impulse weiterführt.

Musikalisch bleibt die Nürnberger Aufführung hinter der in Brüssel und Strasbourg zurück. Das liegt nicht an den engagierten und großenteils vorzüglichen Solisten, sondern an der verwendeten Strichfassung, die Meyerbeers Kunst des Aufbaus musikalischer Sinn-Einheiten immer wieder stört. Guido Johannes Rumstadt animiert das Nürnberger Orchester zu grob geschnittenem Spiel mit schmetternden Tutti und steifer Phrasierung. Erst im Lauf des Abends gewinnen die Klangerfindungen Meyerbeers Kontur, die solistisch exponierten Momente expressive Raffinesse.

Der strak geforderte Chor von Tarmo Vaask singt frei und konzentriert – was vor allem differenzierte Dynamik und Präzision in den Einsätzen bedeutet. Unter den Solisten sind so brillante Solitäre wie Uwe Stickert, der in Nürnberg schon Rossinis Arnoldo in „Wilhelm Tell“ gesungen hat: ein Tenor, der Spitzentöne klangschön und bruchlos in eine Linie einbinden kann, der auch heldisch-kraftvolle Töne beherrscht und der sich vom krähenden Timbre hochgelobter „Spezialisten“ wohltuend unterscheidet. Glück für Nürnberg, dass große Häuser und gierige Agenturen diesen Sänger bisher offenbar überhört haben.

Auch mit den Frauenstimmen muss sich das mittelfränkische Staatstheater nicht verstecken: Leah Gordon sang in der Premiere die brillanten Koloraturen der Marguerite glanzvoll, drückt stimmlich die Aspekte der Figur zwischen königlicher Noblesse und warmer Empathie aus. Eine Allergie ließ sie allerdings verstummen; Laura Aikin, die Marguerite der Straßburger Aufführung, musste ihr die Stimme leihen und tat das vom Bühnenrand aus mit Nachdruck und – von tosendem Applaus belohntem – Einsatz. Hrachuhí Bassénz kleidet die seelischen Qualen Valentines mit einer dunkel timbrierten, weich intonierenden Stimme in intensiv gestaltete Klänge. Judita Nagyová macht als Urbain einen der „Schlager“ der Oper, „Nobles Seigneurs“, zu einer beglückenden Demonstration ihres präsenten, abgerundeten Mezzosoprans.

Unter den männlichen Hauptpartien ist der Stimmglanz weniger verbreitet: Martin Berner ist als Darsteller der Herausforderung gewachsen, seine Rollen als Maler und als Graf Nevers ineinander zu verschränken. Er pflegt einen nicht ganz ebenmäßig gebildeten, aber ausgeglichen geführten Ton, dem nur hin und wieder der dramatische Impetus fehlt. Nicolai Karnolsky hat die sauber fokussierte Stimme mit den schwarzen Farben für den abgebrüht kalkulierenden Fanatismus des gewaltbereiten Politikers St. Bris. Randall Jakobsh als Marcel hat seine stärksten Szenen in den Momenten verbissener Polemik. Die andere Seite, die des frommen Glaubenden und treuen Freundes, bleibt blass – auch, weil wichtige Aspekte des Charakters den Kürzungen zum Opfer gefallen sind. Nebenrollen sind niveauvoll besetzt; so etwa die Zigeunerinnen Christiane Marie Riedl und Gunta Cēse oder der Nachtwächter Javid Samadov aus dem Internationalen Opernstudio, der wie ein Quasimodo die Dämonen beruhigt.

In Nürnberg hat sich erneut erwiesen: Meyerbeers große Werke gehören ins moderne Repertoire; es wird Zeit, sich an diesen Giganten der Oper des 19. Jahrhunderts nachhaltiger als bisher zu erinnern.

Werner Häußner

Wiederaufnahme in der Spielzeit 2014/15 am 14. Oktober, 19.30 Uhr.

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