Gluck-Opern-Festspiele 2014 in Nürnberg: „Paride ed Elena“ (Premiere: 24. Juli)
Die polnische Sopranistin Aleksandra Zamojska war als Helena eine Idealbesetzung (Foto: Internationale Gluck-Opern-Festspiele)
Zum 300. Geburtstag von Christoph Willibald Gluck brachten die Internationalen Gluck-Opern-Festspiele 2014, die unter dem Motto „ReFORM und ReVISION“ stehen, sein nur selten gezeigtes Werk „Paride ed Elena“ im Opernhaus Nürnberg zur Aufführung. Es ist jene Oper, für die der große Reformator seine Vorstellungen vom Musikdrama der Zukunft am radikalsten verwirklichte. Der Gluck-Biograph Alfred Einstein bezeichnete das Werk sogar als Vorläufer von Wagners Tristan und Isolde.
Der Inhalt der Oper, deren Libretto Ranieri de’ Calzabigi verfasste und deren Uraufführung 1770 im Wiener Burgtheater stattfand, ist aus der Mythologie bekannt: Es beginnt mit dem Urteil des Paris, der Aphrodite von drei Göttinnen zur Schönsten erklärt, da sie ihm Helena, die schönsten Frau Griechenlands, verspricht. Nachdem Helena sich lange gegen Paris zur Wehr setzt, entführt er sie nach Troja, worauf Griechenland gegen Troja in den Krieg zieht und nach zehn Jahren besiegt. In Nürnbergs Produktion (in der Fassung von Christian Baier und Sebastian Hirn) ist Troja bereits gefallen. Brandschatzend ziehen die Sieger durch die in Trümmern liegende Stadt auf der Suche nach jenen beiden, deren Liebe den Krieg einst entfachte – nach Paris und Helena.
Das Dramma per musica in fünf Akten, das in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln gebracht wurde, inszenierte Sebastian Hirn, der auch für die Bühnengestaltung zuständig war, sehr realistisch und brutal– ohne Rücksicht auf die Sängerinnen. Seine Regiearbeit muss man als „Blendwerk“ bezeichnen, schafft er es doch, mit altbekannten Stilmitteln das Publikum sosehr zu blenden, dass es kaum mehr auf die Bühne sehen konnte (Lichtdesign: Jo Schramm). Dass ein Kameramann die Sängerinnen während der Aufführung filmte und sie dadurch auf einer Leinwand im Hintergrund der Bühne in Großaufnahme zu sehen waren, kann noch als Pluspunkt vermerkt werden. Viele seiner Regie-Ideen störten jedoch die Aufführung mehr, als sie nützten, wie beispielsweise die Tänzerinnen, die Soldaten darstellten, deren Schritte so laut waren, dass es auf nervige Art die Musik und den Gesang fast übertönte. Gegen Ende des ersten Teils der Aufführung hatten es viele im Publikum satt und buhten lauthals. Diese Störung reizte andere Zuschauerinnen und Zuschauer zu Beifall, der wohl kaum dem Regieteam gelten konnte. Es begann ein heftiger Streit im Publikum, bei dem einem das Sängerensemble leid tun musste.
Aleksandra Zamojska als Helena (rechts) und Anna Dennis als Paris (Foto: Internationale Gluck-Opern-Festspiele)
Es ist klüger, auf diese Inszenierung nicht noch näher einzugehen. Die Kostümentwürfe von Monika Staykova passten sich dem Niveau dieser Produktion an. „Gewinner“ des Abends waren neben dem Orchester das erstklassige Sängerensemble, allen voran die Darsteller der beiden Titelfiguren.
Exzellent die englische Sopranistin Anna Dennis in der Rolle des Paris, die ihre Liebesschwüre in den Arien mit Leidenschaft und Sinnlichkeit darbot. Auch schauspielerisch bot sie eine Glanzleistung – ebenso wie die polnische Sopranistin Aleksandra Zamojska als Helena. Durch ihre tolle Bühnenerscheinung und ihr ausdrucksstarkes Spiel darf man sie wohl als Idealbesetzung für die schönste Frau Griechenlands bezeichnen. Dass sie besonders viele Regieeinfälle über sich ergehen lassen musste, die einer Nixe kaum angenehm gewesen wären, soll nicht unerwähnt bleiben. So wurde sie des Öfteren auf der gefluteten Bühne ins Wasser geworfen und auch mit einem Schlauch von oben bis unten abgespritzt, in einer anderen Szene musste sie sich einen Kübel Wasser über den Kopf schütten. Nun, das waren noch die harmlosesten Dinge…
Das Liebesduett der beiden gegen Schluss war jedenfalls von betörend schönem Gleichklang der Stimmen. Allein diese Szene entschädigte das Publikum für vieles.
Gott Amor, dessen Intrigenspiel die verhängnisvolle Liebesgeschichte in Gang setzte, wurde von der russischen Sopranistin Anna Grechishkina gespielt und war in dieser Inszenierung mit weiblichen Attributen gesegnet, wenngleich die Sängerin versuchte, männliches Verhalten auf der Bühne darzustellen. Ihr Versuch, Paris zu vergewaltigen, war von eindringlichem Bemühen gezeichnet. Stimmlich hervorragend die deutsche Sopranistin Christiane Oelze in der kleineren Rolle der Pallas Athene.
Die Staatsphilharmonie Nürnberg brachte die meisterhafte Partitur des Komponisten, in der Gluck die Ästhetik seiner Zeit und ihre Konventionen in Frage stellte, unter der umsichtigen Leitung von Andreas Spering, der zu den führenden Spezialisten für Alte Musik zählt, in allen Facetten zur Geltung.
Am Schluss der Premiere starker Applaus für das Sängerensemble mit vielen Bravorufen für die beiden Protagonisten Anna Dennis und Aleksandra Zamojska sowie für das Orchester und seinen Dirigenten und viele lautstarke Buhs für das Regieteam, die auch anhielten, als es gemeinsam mit dem Sängerensemble und dem Orchester die Bühne betrat.
Udo Pacolt