Baden-Baden: „DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL“ konzertante Gala als wahre Verführung, 24.07.2014 (2. Aufführung)
Schlussapplaus. Copyright: Manolo/Festspielhaus
Zuletzt großer Jubel im Festspielhaus Baden-Baden. Wer seine „Fahrkarte“ am Schalter im ehemaligen, perfekt umgestalteten Bahnhof gelöst hatte, hat einen Mozart-Ausflug sondergleichen erlebt, zunächst einmal dank des Dirigenten. Denn Yannick Nézet-Séguin liefert keinen süßlich-sanften Wolfgang Amadeus, der er garantiert nicht war. Der athletische Kanadier bringt – gemeinsam mit dem Chamber Orchestra of Europe und dem Vocalensemble Rastatt (einstudiert von Holger Speck) Mozarts „Entführung aus dem Serail“ knackig und großartig modern, besitzt aber auch den Atem für die lyrischen Partien.
Hat er vor Jahren noch jeden Taktteil auf dem Pult mitgetanzt, so ist seine Körpersprache inzwischen etwas ruhiger geworden, doch einprägsam ist sie geblieben. Daher reißt seine sicht- und hörbare Begeisterung die Instrumentalisten sofort mit. Und anders als manch langjähriger Kollege betreut er die Sängerinnen und Sänger auf Allerbeste, gibt in dieser konzertanten Aufführung jeder und jedem den Einsatz und singt den oft leise mit spürbarem Engagement mit. Vielleicht hat er dieser Hochbegabte sogar alle Partien im Kopf.
Und da ist Franz-Josef Selig als Osmin mit seinem volumigen Bass, der auch in der tiefsten Tiefe noch klingt. Ein Kraftprotz, dem „Gift und Dolch“ aus der Stimme spritzt. Der nicht nur Verstand hat, wie er behauptet, sondern auch die raumfüllendste Männerstimme an diesem Abend.
Der Wagnersänger, der er seit einiger Zeit erfolgreich ist, überzeugt auch mit dem angeblich leichteren Mozart. Womöglich ist es dieses Training, dass er den Osmin singt, als wäre dieses Singspiel ein Kinderspiel. Wenn er die Martern aufzählt, die er den Fremdlingen angedeihen lassen möchte, unterstützt er seine finsteren Gelüste auch mit lebhafter Mimik und hat als ein der Versuchung erlegener, betrunkener Weinfreund sofort die Lacher auf seiner Seite.
Der junge Paul Schweinester als Pedrillo – Ensemble-Mitglied der Wiener Volksoper – ist sozusagen perfekt gecastet, ist figürlich und mit schlankem Tenor das genaue Gegenteil des stattlichen und stimmgewaltigen Osmin. Dass er es seiner Rolle gemäß faustdick hinter den Ohren hat, kann er bei der „Weinverkostung“ beweisen und lässt dann auch Humor erkennen, was beim Publikum gut ankommt.
Pedrillos Geliebte, genau so in Bassa Selims Reich verschleppt wie ihre Herrin Konstanze, wird von der spritzigen Anna Prohaska, ein junger Stern im Ensemble der Deutschen Staatsoper Berlin, fabelhaft gesungen und ebenso fabelhaft gespielt. Eine heutige Großstadtpflanze mit frechem Charme und Esprit, die alle Männer (einschließlich des Dirigenten) bezaubert und um die zarten Finger wickelt. Nie lässt die sich die Butter vom Brot nehmen, nie gibt sie auf und wird für ihr „positive thinking“ belohnt. Darüber hinaus stimmt bei ihr jeder Ton bis in die höchsten Höhen, jede Geste, jeder schnell wechselnde Gesichtsausdruck. Eine Idealbesetzung dieser Rolle.
Bei Diana Damrau als Konstanze bleibt schließlich nur noch Bewunderung. Die „weltbeste Koloratursopranistin“, wie sie die New York Sun lobte, bietet jedoch weit mehr als „nur“ perfekte, völlig intonationsreine Töne in mehreren Registern. Als melancholisch Trauernde legt sie ganz innig und im allerfeinsten Piano ihr Herz nicht nur ihrem fernen Geliebten Belmondo zu Füßen, sondern auch dem atemlos lauschenden Publikum.
Zum absoluten Höhepunkt wird ihre „Trotzarie“, mit der sie Bassa Selim nach dem misslungenen Fluchtversuch die Stirn bietet, mal als überaus Tapfere, die Tod und Marter nicht fürchtet, mal als eine, die an das Gute in diesem Herrscher glaubt, die an seine Menschlichkeit appelliert und damit Erfolg hat, obwohl ihr Belmondo der Sohn von Selims Todfeind ist. Begeisterungsstürme nach dieser Glanzleistung. Von den Herausforderungen der langen Arie ganz zu schweigen. Thomas Quasthoff gibt diesen Selim und macht selbst in dieser Sprechrolle Liebesleid, Zorn und schließliche Großmut deutlich.
Die Herausforderung dieser anspruchsvollen Mozart-Partien muss auch Rolando Villazón als Belmondo meistern. Einer, um den man/frau nach seiner Stimmkrise immer zittert. Er hat sich zurückgekämpft und genießt hier volle Unterstützung. Schon nach der allerersten Arie, die noch recht matt klingt, erhält er vom beifallsfreudigen Publikum Applaus. Auch Nézet-Séguin lächelt ihm aufmunternd zu, bewacht freundlich seinen Gesang und drückt ihm danach die Hand.
Seine Kolleginnen und Kollegen tragen ihn ebenfalls durch diese lange, äußerst anspruchsvolle Partie, bei der er schließlich alle Schonung vergisst und sich in Rage singt. Nun entfaltet sich seine Stimme, und dass dabei mal ein hoher Ton wegrutscht oder ihm der deutsche Text mitunter Schwierigkeiten bereitet – geschenkt. Der Gesamteindruck zählt, zumal der Mexikaner ein begnadeter Schauspieler ist, der der konzertanten Darbietung Leben einhaucht. Nach seiner Liebesarie – nach den anfänglichen Zweifeln über Konstanzes Treue – gibt ihm Frau Damrau sogar einen Kuss. Dieses Einstehen „Alle für den Einen“ ist für mich eine besondere und sehr berührende Erfahrung.
Und so bricht nach vielfach vergebenem Zwischenapplaus zum Schluss der Jubel aus. Alle werden gefeiert, aber doch mit unterschiedlicher Phonstärke. Verdiente Ovationen für Diana Damrau, die Gesangsweltmeisterin dieses schönen Abends.
Weitere Aufführungen am 27. Juli und im Herbst.
Ursula Wiegand