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SALZBURG / Großes Festspielhaus: IL TROVATORE

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Netrebko Trovatore x

SALZBURG / Großes Festspielhaus: 
IL TROVATORE von Giuseppe Verdi
Premiere: 9. August 2014,
besucht wurde die dritte Vorstellung am 15. August 2014 

Dies sollte die Vorstellung gewesen sein, die der ORF „live zeitversetzt“ sendete – von 16 Uhr auf 20,15 Uhr gelegt. Wie man weiß, wurde in vorangegangenen Aufführungen des „Trovatore“ schon viel „mitgefahren“, und der Verdacht liegt nahe, dass man vermutlich Material gemixt hat. Denn an diesem Nachmittag trat Alexander Pereira vor den Vorhang und entschuldigte auf Deutsch und Englisch Placido Domingo wegen einer Grippe und Atembeschwerden – aber er würde dennoch singen. Stürmischer Applaus, und damit hatte sich der große Sänger gleich aus der Kritik gezogen. Was der ORF gesendet hat, weiß man, wenn man während der Ausstrahlung im Zug nach Wien zurück sitzt, natürlich nicht, sofern man zu den iPad-Verweigerern gehört, die nicht jede Sekunde ihres Lebens auf ein Display starren müssen.

Für Liebhaber klassischer Kunst, zumal der alten Meister, hat die „Trovatore“-Inszenierung von Alvis Hermanis, der hier konzeptionell als sein eigener Bühnengestalter wirkte, auf der Bühne des Großen Festspielhauses einiges an Schauwerten zu bieten. Man wandert durch ein imaginäres Museum von zahlreichen der großartigsten Gemälde, die je gemalt wurden (und die man für die Bühne auf Übergröße aufblies): All das kann es in Realität nie auf einem Fleck geben. Da ist man anfangs mit Schwelgen und auch Identifizieren der Werke so beschäftigt, dass man kaum auf das Museums-„Personal“ blickt, sicher nicht auf die blau gewandete, bebrillte Dame, die da ihren Saal bewacht. Wenn die unscheinbare Hilfskraft (die man im Leben auch stets übersieht) allerdings singt, dann – ja dann ist es die Netrebko.

Die Bilder leben, bewegen sich, verändern sich, das Museum bleibt Hintergrund und zugleich Raum für eine Geschichte, die sich wie eine nächtliche Geisterstunde entwickelt. Hermanis, der gerne Welten aufeinander prallen lässt (seine Brüsseler „Jenufa“ konfrontierte extreme mährische Folklore mit kalter Realität), geht dabei nicht unbedingt nach strenger Logik vor. Dass Ferrando zu Beginn und dann auch Azucena bei ihrem ersten Auftritt als Fremdenführer agieren, die ihre Geschichten anhand von Bildern erzählen, ist sogar ganz witzig, auch Graf Luna erscheint zuerst als Nachtwächter mit großer Taschenlampe. Aber dann setzt sozusagen der Geist der Oper ein, die Akteure erscheinen in den historischen Kostümen, wie Gespenster behaupten sie ihren Platz, wenngleich gelegentlich immer noch Touristen herumgehen – und sich dann auch, vor dem Publikum, als „Chor“ umkleiden. Hermanis lässt die Welten ineinander gleiten und hat ein gutes Stück Absurdität ins Geschehen gemengt, und darauf kann man sich ohne weiteres einlassen.  

Warum auch nicht? Wie ermüdend sind für den Opernfreund die immer gleichen Überlegungen, dass die Geschichte des „Trovatore“ keinen Sinn macht: Hat man die nicht vorhandene  Dramaturgie des Werks mit Freunden nicht zahllose Male ausdiskutiert?  So ist es nun einmal. Da hat die Zigeunerin einmal anstelle des Grafensohnes das eigene Kind ins Feuer geworfen. Dennoch gibt es noch immer zwei Brüder – wenn auch auf der Bühne des Großen Festspielhauses in Salzburg der eine (Luna) gut der Papa (Opa?) des anderen (Manrico) sein könnte. Na und? Auch egal. Es ist große Oper, es ist geradezu ein „Fetzen“ des Genres, in dem sich die leidenschaftlichsten Melodien an einander reihen, Verdi at its best, Allerbest sozusagen…  

Was will man mehr? Sicher nichts. Hermanis zieht das Stück nicht ins Lächerliche wie Stölzl (in Wien und Berlin zu sehen) oder macht es wie Oliver Py in München (einst per Livestream zu besichtigen) zum reizlosen Psychokrampf. Auch wenn oft nicht mehr als Händeringen angesagt ist – wie könnten die Stars besser zu ihren Gesangsleistungen finden? Und was kommt heraus, wenn man den „Trovatore“ hinterfragen möchte, problematisieren, mit Aussagen belasten? Ist es nicht viel ehrlicher, die Stars einfach in schönem Ambiente singen zu lassen? Ehrlicher nicht nur für ein Salzburger Festspielpublikum, sondern auch für Verdi?

Die Leidenschaft brodelte zwar nicht  wirklich im Orchester, Daniele Gatti war am Pult der Wiener Philharmoniker mit einer nicht unbedingt mitreißenden Interpretation keinesfalls des Held des Abends. Die Heldin hieß Anna Netrebko, obwohl ihre Stimme in der Mittellage dermaßen nachgedunkelt ist, dass man da kaum mehr den „Sopran“ hört. Aber sie hat ihre Höhe behalten, die glanzvollen Spitzentöne, sie singt die Triller und Piani der Rolle so überzeugend wie die Ausbrüche. Dazu kommt ihre wirklich ungewöhnliche Bühnenpräsenz, die gegen Ende des Abends atemberaubend wurde und die sie tatsächlich zur Assoluta unserer Tage macht.

Man kann auch einem schlecht disponierten Plácido Domingo seinen Respekt nicht versagen, nicht nur für einstige Größe, sondern auch für den Totaleinsatz, den er immer bringt, wenn er auf die Bühne geht. Francesco Meli wirkte in den lyrischen Passagen der Rolle überzeugender als in den dramatischen, die Kraft, mit der Stretta tenorales Feuer anzuzünden, fehlt ihm. Marie-Nicole Lemieux war eine Azucena, die sich von Szene zu Szene steigerte.

Was ist das Fazit dieser Produktion? Es war ein lohnender Museumsbesuch – und Anna Netrebko ist anbetungswürdig.

Heiner Wesemann

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