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LUZERN: Lucerne Festival 2014: ADLER, ROUSTOM UND WAGNER MIT DEM WEST-EASTERN DIVAN ORCHESTRA unter Barenboim

LUCERNE FESTIVAL 2014:  Adler, Roustom und Wagner mit dem West-Eastern Divan Orchestra unter Barenboim – 17.8.2014

Wagners Tristan – immer ein Ereignis

Daniel Barenboim hatte 2001 in Jerusalem Wagners Tristan-Vorspiel dirigiert und damit hitzige Diskussionen, auch im Saal selbst, entfacht. Inzwischen hat er das West-Eastern Divan Orchestra gegründet und geht mit dem 2. Akt Tristan auf Tournee. Soeben aus Buenos Aires zurückgekehrt, wo das ganze Ensemble noch zwei Auftragswerke für dieses spezielle Orchester uraufgeführt hat. Dieses ganze Programm gelangte nun in Luzern am 17.8. nochmals zur beeindruckenden Aufführung. Zuerst hörte man Resonating Sounds des Israeli Ayal Adler, die vor allem durch eine fast sinnliche Klangfülle – so der Titel – vom ganzen Orchester auch entsprechend umgesetzt wurden. Das 12 Minuten dauernde Stück überzeugt durch Klang-Cluster, die so neu auch wieder nicht sind, und könnte, wenn das Stück länger wäre, vielleicht etwas eintönig wirken. Daran anschliessend wurde Kareem Roustoms Ramal aufgeführt, ein Komponist, der zwar in der arabischen Musiktradition aufwuchs, dessen musikalische Aus- und Bildung aber eindeutig westlich, wenn nicht amerikanisch, ist: Er schrieb verschiedene Filmmusiken. So war auch sein hier aufgeführtes Werk Ramal raffiniert im Klang und hatte einen rhythmischen Sog, der einen erfahrenen Musiker westlicher Prägung verriet. Beiden Werken liess Barenboim professionelle Sorgfalt und Hingabe angedeihen. Die Komponisten waren anwesend und konnten den Applaus des Festival-Publikums entgegennehmen. Schon hier zeigte das aus jugendlichen Musikerinnen und Musikern gebildete West-Eastern Divan Orchestra, dass es den Vergleich mit renommierten Orchestern wohl kaum zu scheuen hat. Das wurde auch beim Herzstück dieses Konzertes deutlich, nämlich dem konzertant dargebotenen zweiten Aufzug von Wagners Tristan und Isolde. Barenboim, der schon immer ein grosser Wagner-Dirigent war und dem diese Musik eine wahre Herzensangelegenheit ist, wird im Programmheft mit seiner Aussage zitiert, wo er sich ganz konkret zur Problematik von Wagners Antisemitismus äussert: Wagner war antisemitisch, seine Musik aber nicht.

Und daran wollen wir uns auch halten, wenn wir die geniale Tristan-Partitur hören dürfen. Mit grossem Schwung und in voller Lautentfaltung beginnt Barenboim das kurze Vorspiel zum 2. Aufzug, die Hörner erklingen auch werkgerecht off stage und schon traten Waltraud Meier (Isolde) und Ekaterina Gubanova (Brangäne) auf. Bei Waltraud Meiers Isolde wurden gleich die Erinnerungen an ihre Isolde in Heiner Müllers Bayreuther Tristan-Inszenierung wach, die ebenfalls Barenboim dirigiert hatte. So stellte sich auch gleich eine Übereinstimmung im musikalischen Ausdruck zwischen Dirigent und Sängerin ein. Waltraud Meier, die nie auf Stimmprotzerei setzte, gestaltet die Isolde mit ihrem gesund gebliebenen Wagner-Mezzosopran aus, wobei ihr die exponierten Spitzentöne nicht vollkommen gerieten oder gar ausblieben (hohe C’s zu Beginn des Duetts). Das fällt aber bei einer Künstlerin von Format wie Waltraud Meier überhaupt nicht ins Gewicht, die so wunderbar musikalisch und stimmlich ausgewogen die Partie der Isolde so gar nicht heroinenhaft angeht. Als ihr Partner hatte Peter Seiffert einen unglaublich guten Abend, denn er passte sich stimmlich ganz seiner Partnerin an und sang schlank und ohne jedes störende Vibrato seinen Part sympathisch und wohltuend unheroisch. Man fühlte sich an Wolfgang Windgassen erinnert! Wunderbar, nachdem sich die aufgeregten Wogen der Begegnung im ersten Teil des Duettes gelegt hatten, dann von beiden Künstlern der Mittelteil mit dem wahrhaft atemberaubend schön gesungenen und vom Orchester höchst subtil musizierten „O sink hernieder, Nacht der Liebe!“ Da war das jugendliche Orchester ganz „Wachs in den Händen“ des Dirigenten, es war ein einziges Geben und Nehmen. Das Orchester wuchs hier über sich selbst hinaus. Die jungen Künstler haben sicher etwas dabei erfahren, das für sie nicht alltäglich und daher wunderbar war, ganz im Sinn der Aussage Barenboims über Wagners Musik. – Ekaterina Gubanova sang eine stimmlich gute Brangäne, es fehlt ihr aber noch das Eindringen in diese Partie und im an und für sich schön gesungenen Wachtruf – welche herrliche Musik! – liess eine nicht ganz perfekte Technik ein allzu grosses Vibrato konstatieren. Und dann trat René Pape mit der Kraft seiner ganzen Persönlichkeit als König Marke auf und gestaltete eine Klage, die erstens fabelhaft gesungen war – man verstand zudem jedes Wort – und zweitens so edel vorgetragen war, dass bei Pape keine Gefahr bestand, dass der König zu einem „Jammerlappen“ wurde. Und das West-Eastern Divan Orchestra konnte mit seinen Bläsern – Englischhorn, Kontrafagott, Bass-Klarinette, Hörner – dieser unglaublichen Musik in ihrem Ausdrucksgehalt mehr als gerecht werden. Es wurde mir hier noch nie so bewusst, wieviel Berlioz in der Marke Klage enthalten ist! – Stephan Rügamer sang die paar Sätze des Melot prägnant, während man aus unerfindlichen Gründen auf Kurwenal mit seinem „Rette dich, Tristan!“ verzichtet hatte. Ein Schönheitsfehler leider, weil dramaturgisch wichtig. – Grosser Applaus für die Solisten, das Orchester und natürlich den Dirigenten, der ja als der Initiator dieser grossartigen Idee des Friedensausgleichs – zumindest auf musikalischer Ebene – einiges vollbringen konnte.

John H. Mueller

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