EHRENFRIEDERSDORF – Greifenstein-Festspiele: GASPARONE am 20.8. 2014 (Werner Häußner)
Fakten, Fakten, Fakten? Mitnichten! Wir stellen uns so wunderschön pragmatisch und materialistisch vor, unsere Einstellungen, Entscheidungen und Handlungen würden nur von klaren Tatsachen bestimmt. Was wir denken und tun, sei doch alles so logisch, so begründbar, so nachvollziehbar. Dass es mit diesem rationalistischen Ideal der menschlichen Psyche nicht weit her ist, macht uns Carl Millöckers Operette „Gasparone“ mit Charme und Witz deutlich: Das ganze Getriebe der Handlung wird von einer bloßen Vorstellung angeworfen und in Gang gehalten: Den Räuber gibt es nicht, er ist ein Phantom, geschickt erfunden, um einen – hier natürlich edlen – Plan so durchzusetzen, dass ihm die Opfer auch noch aus voller Überzeugung zustimmen. Die großen Manipulatoren des unglücklichen 20. Jahrhunderts lassen grüßen. Und die Welt, um Schopenhauer ein wenig persiflierend zu zitieren, ist eben doch Wille und Vorstellung …
„Gasparone“ hat sich im Zuge des Niedergangs der Sparte Operette rar gemacht; die Greifenstein-Festspiele im Erzgebirge gaben ihm wieder einmal seine virtuelle Existenz zurück. Auf der romantischen Felsenbühne bei Ehrenfriedersdorf spielte das Ensemble des Eduard-von-Winterstein-Theaters aus dem nahen Annaberg-Buchholz Millöckers Operette in einem auf Gefälligkeit getrimmten Arrangement des früheren Annaberger Intendanten Hans-Hermann Krug.
Bei der Aufführung sind zugunsten des malerischen Schauplatzes einige Kompromisse zu machen: Das Orchester tönt vom Band, der Dirigent (Dieter Klug) gibt den Sängern aus der ersten Reihe die Einsätze. Deren Stimmen sind verstärkt und klingen manchmal recht aufdringlich aus den Lautsprechern. Das ist vor allem peinlich, wenn stimmliche Defizite damit monströs verstärkt statt durch Raumklang gemildert werden.
Dafür erhält der Zuschauer eine bezaubernde Wald-Atmosphäre, geprägt von den hoch aufragenden Steinformationen, die aussehen, als hätten Riesen ihre Sofakissen aufeinandergestapelt. Die Gebilde, die man etwa auch in Tschechien und in der Gegend um Oybin findet, sind geologisch entstanden, als sich Magma in ältere Gesteinsschichten drückte und erkaltete. Die weicheren Gesteine erodierten, der harte Granit blieb stehen. Die Form der Steine hat die Fantasie seit jeher angeregt und spielt in zahllosen Volkssagen eine Rolle.
Bei den Greifensteinen, schon im 19. Jahrhundert als Theaterkulisse genutzt, sitzt man auf dem Gelände eines ehemaligen Steinbruchs und hat die mächtigen Türme, umstanden von Wald, vor seinen Augen. Ein idealer Schauplatz für Schmuggler und Banditen, für Überfälle auf Kutschen und andere nervzehrende Operetten-Katastrophen, der in „Gasparone“ weidlich genutzt wird. Wolfgang Clausnitzer steckt die Schmuggler in schwarze, weite Mäntel, mit denen sie garantiert beim ersten Aufstieg auf einen Saumpfad hängenbleiben würden. Für die Diva, die Gräfin Carlotta, öffnet er die Schatulle des Operetten-Chiques; den Podestá Nasoni wirft er samt seiner Truppe in bunte Uniformen. Viel zu schauen also – genau richtig für ein Publikum nach der Kaffeestunde.
Dem kommt auch das Ensemble entgegen, in dem Jana Büchner eine hübsche, leuchtende Stimme für die Carlotta einsetzt, während Christian Härtig seinen Schlagern wie „Dunkelrote Rosen“ oder „O dass ich doch ein Räuber wäre“ wenig Glanz geben kann. Leander de Marel verkörpert als Nasoni den klassischen Operetten-Komiker und hat die Lacher ebenso auf seiner Seite wie Bettina Corthy-Hildebrandt, die gräfliche Erzieherin Zenobia, für die der Räuber leider kein Lösegeld aussetzt. Alte Operetten-Seligkeit mit all ihren harmlosen Späßen und weniger harmlosen Ärgerlichkeiten also: Glanz und Elend des Genres lassen sich unter den Greifensteinen besichtigen, als lebten die fünfziger Jahre unverdrossen weiter.
Werner Häußner