Linz/ Musiktheater: TOSCA. Premiere am 12.9.2014
Oper in drei Akten; Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica, nach einem Schauspiel von Victorien Sardou, Musik von Giacomo Puccini
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Tuomas Pursio, Marcelo Puente, Sonia Gornik.Foto-Copyright: Linzer Musiktheater/Patrick Pfeiffer
Es gibt wenige Opern, die so klar in ihrem historischen Zusammenhang und den Handlungsplätzen verortet sind wie dieses aufwühlende Meisterwerk Puccinis – immerhin spielt die große Geschichte unmittelbar und datumsmäßig in die Handlung hinein, und zwar in Form des Widerstreites der französischen Revolution mit den Kräften der anciens régimes. Warum also die Handlung in eine andere Zeit verlegen, wenn man damit doch nur Brüche und Lücken in der dramaturgischen Logik erzeugt? So ähnlich mögen die Überlegungen von Intendant Dr. Rainer Mennicken gewesen sein, als er die erste Premiere der zweiten vollen Spielzeit des neuen Linzer Musiktheaters konzipierte.
Wie auch immer, er lässt die Oper in der vorgegebenen Zeit spielen, in einer freilich leicht abstrahierten, nichtsdestoweniger die Ära und die realen Orte klar repräsentierenden Ausstattung, die auch den Sängern entgegenkommt (Bühne Stefan Brandtmayr, Kostüme Cornelia Kraske). Besonders beeindruckend der Kirchenraum des ersten Aktes, als Scarpia die Messe seiner Macht feiert – Anleihen bei Rene Margritte dürften eine Rolle spielen, nur bevölkern hier nicht Männer in Schwarz die Bühne, sondern himmlische und irdische Kirchenfiguren – ein sehr kraftvolles Bild! Mennicken lässt die Personen lebendig und emotionell glaubwürdig agieren, weit weg von einem statischen Rampentheater, ohne sie (die allerdings sämtlich einen körperlich sehr fitten Eindruck machen) zu überfordern. Wenn man unbedingt beckmessern will, könnte man als einzige Diskrepanz finden, dass die Heldin ihren Peiniger mit einer Schere und nicht textgemäß mit einem Messer erledigte (spielt da eine Idee Hitchcock mit? Der suspense im zweiten Akt spricht jedenfalls dafür, dass der Regisseur dieses Prinzip beherrscht) – aber andererseits bringt das Schneidewerkzeug so eine schöne Illustration des Scarpia, wenn der fast versonnen damit die Kerzendochte zuputzt, während er sinniert, wie viele Frauen er demnächst – nebst Tosca – in seine Gewalt bringen könnte. Vom Original abweichend ist auch der Beginn des dritten Aktes, wo der Hirtenknabe (ganz vorzüglich bei Stimme: Jakob Reiter vom Kinder- und Jugendchor des Landestheaters) zum jungen Zeichner mutiert, der die Nachfolge Cavaradossis andeutet, auch im Zeichen der revolutionären Tricolore.
Gemeinerweise hat sich Puccini vor Ouverturen gedrückt, was naturgemäß die heutige Mode des bildlich ausgeschmückten Vorspiels torpediert – Mennicken lässt sich (ironisch?) da sozusagen seine eigene Ouverture einfallen, indem er eine kurzen Ausschnitt aus der Gluck’schen „Alceste“ einspielt: das Opferungsmotiv einer liebenden Frau, an das sich Mario Cavaradossi zu Beginn seines künstlerischen Arbeitstages erinnert, der so entsetzlich enden wird. Dann: eine Granate schlägt durchs Kirchendach – wir sind ja im Krieg! Und noch ehe man sich von dem Schreck erholt hat diese grausamen Akkorde des Scarpia-Motivs, und schon sind wir mitten in der Handlung – und in der passenden Stimmung! Der Mesner (Franz Binder – sängerisch wie komödiantisch mit Leichtigkeit rollendeckend) räumt die Trümmer weg und bringt das später so verräterische Fresspaket.
Mario Cavaradossi wird von einem argentinischen Gast, der schon an der Met und in Salzburg als back-up für keinen geringeren als Jonas Kaufmann gewählt wurde, gegeben: Marcelo Puente. Der körperlich wie stimmlich schlanke und bewegliche Tenor besticht mit vorzüglicher Intonation und sicheren Höhen, kann auch den nötigen Schmelz zeigen, und das alles wird unterlegt von einer ebenso guten schauspielerischer Leistung; das „E lucevan…“ wird in seiner Interpretation zu genau dem traurig-resignierenden, bewegenden Abschied vom einfachen zufriedenen Leben, wie es der Text sagt. Seine Stimme hat aber auch für die dramatischeren Teile der Partie genug Durchschlagskraft, ohne dass der Dirigent die „sängerschonende Dynamikbremse“ ziehen muss. Mitunter kann er leicht gepresst klingen, und zumindest zu Beginn ist sein Vibrato etwas hektisch, was sich aber im Laufe des Abends legt. Insgesamt eine höchst zufriedenstellende Leistung.
Der gebürtige Finne Tuomas Pursio, künstlerisch in Leipzig beheimatet, bringt einen stimmlich im Prinzip ausgesprochen schönen (Anklänge an Željko Ljučić!) und druckvollen Scarpia auf die Bühne, der aber genauso gut auch die gebotene Kälte, Heimtücke und Grausamkeit in Spiel und Stimmodulation vermitteln kann; dies alles ohne in Grobheit zu verfallen – er überschreitet kaum einmal die Grenzen einer gewissen bedrohlichen Eleganz; nur wenn er wirklich drauf und dran ist, Tosca zu vergewaltigen, kommt das Tier zum Vorschein. Eine vorzügliche Besetzung!
Tuomas Pursio, Sonia Gornik. Foto: Linzer Musiktheater/ Patrick Pfeiffer
Floria Tosca wird von Sonia Gornik einerseits als die elegante Diva (hat man die Art, die Seidenstola zum Kopftuch zu machen, nicht in den 1960ern bei Persönlichkeiten wie Maria Callas oder Faye Dunaway gesehen?), andererseits als die tief empfunden Liebende gespielt und herausragend und in allen menschlichen Facetten in höchster Qualität gesungen, von zartester Lyrik bis zum erschütternden, dabei aber niemals schrillen Schrei der Gequälten. Das „Vissi d’arte“ lässt den Zuhörer atemlos zurück, so intensiv und ehrlich bringt Frau Gornik dieses Haupt- und Zentralstück der Oper. Übrigens: mit Stolz kann Intendant Mennicken darauf verweisen, daß alle drei Besetzungen der Titelrolle mit fähigen Stimmen aus dem Ensemble erfolgen (zu anderen Terminen zu hören: Myung Joo Lee und Brit-Tone Müllertz).
Lobende Erwähnung verdienten sich auch Ulf Bunde (Angelotti), Hans-Günther Müller (Spoletta), Ville Lignell (Sciarrone) und Johann Gruber (Schließer).
Mitunter standen 70 Personen auf der Bühne – Chor und Kinderchor (Leitung Georg Leopold bzw. Ursula Wincor) waren wieder einmal stimmlich und im Bühnenauftritt hervorragend vorbereitet worden.
Das Bruckner Orchester musizierte unter der dramatisch perfekt abgestimmten Leitung von Dante Anzolini technisch präzise und mit ebenso tief empfundener Lyrik wie beunruhigender Bedrohlichkeit, und natürlich präziser attacca, ließ die ganze Farbenpalette des Meisters aus Lucca leuchten – nun endlich in voller Besetzung und damit Dynamikumfang. Eine großartige Leistung von Dirigent wie Orchester!
Schon zu den Aktvorhängen gab es großen Applaus, von dem Herr Puente, und mehr noch Frau Gornik und Tuomas Pursio eine lautstarke und begeisterte Extraportion abbekamen, der aber auch Dirigent und Orchester und dem leading team uneingeschränkt gezollt wurde.
Eine wirklich großartige Produktion!
H & P Huber