WIEN / Scala:
THÉRÈSE RAQUIN von Paris Kosmidis nach dem Roman von Èmile Zola
Premiere: 20. September 2014,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 24. September 2014
Manchmal hat man das Gefühl, ein paar Romane zu viel auf der Bühne gesehen zu haben – muss man denn alles dramatisieren? Allerdings hat Èmile Zola seinen dritten Roman, die „Thérèse Raqiin“ von 1867 sogar selbst in ein Theaterstück umgewandelt, aber darauf greift das Theater Scala nicht zurück. Doch zugegeben – die in jeder Hinsicht knappe Fassung von Paris Kosmidis, oft geradezu lapidare Szenen von starker Aussagekraft, Reduktion auf sechs Figuren, hat ihre Qualitäten. Und Regisseurin Babett Arens nützt sie für eine Inszenierung, die ziemlich unter die Haut geht.
Zola selbst hat das Problem dieses Romans erkannt: Es gibt absolut keine Sympathieträger. Man mag sie nicht: nicht Madame Raquin, so „liebevoll“ sie scheinbar ist, aber es geht ja doch nur um Besitzergreifung von Sohn und Schwiegertochter; nicht Camille, den Sohn, verwöhnt, knieweich, ein Ungustl; und am allerwenigsten Thérèse, die unbefriedigte, mürrische Schwiegertochter.
Dass es kommt, wie es kommen muss – ein ehemaliger Jugendfreund des Gatten zeigt der abweisenden Thérèse, was sexuelle Leidenschaft ist, und um dieser ungestört zu folgen, bringen die beiden den störenden Gatten um. Würden damit glatt davon kommen – wenn der Roman nicht zu einer großen „Schuld und Sühne“-Variation würde: Denn abgesehen davon, dass zwei schwache Persönlichkeiten mit einer Tat, die ihnen leicht gemacht wurde (sie mussten Camille ja nur in die Seine stürzen, er konnte nicht schwimmen), nicht leben können – im Alltag, der mit Sex nicht immer kalmiert werden kann, kommen die schlechten Eigenschaften von beiden noch schärfer heraus. Gnadenvoll, dass der gemeinsame Selbstmord auf der Bühne fast wie ein Liebestod herauskommt…
Im übrigen hat Babett Arens in einem hervorragend gegliederten, mit irrealen Elementen versehenen Bühnenbild von Marcus Ganser anfangs ganz die Abgründe der Bürgerlichkeit desavouiert: Man sieht zu, wie die selbstgefällige, ihres Geldes wohl bewusste Madame Raquin mit den hier tatsächlich wie klassische komische Figuren gestalteten „Verehrern“ Domino spielt und peinlich flirtet. Wie ein junger, mieser Macho-Bourgeois als Ehemann eine missmutige, innerlich erstickende junge Frau langweilt (ohne dass hier ein emanzipatorisches Befreiungsstück angedeutet würde – das hat Zola auch absolut nicht geschrieben). Und dann erscheint noch ein durch und durch schäbiger, monetär berechnender Außenseiter, der sich holt, was da alles geboten wird. Das gibt bis zur Pause Szenen aus einem Alltag, in den man nicht geraten möchte.
Dann, nach der Tat, wird es wirklich interessant – da gewinnt die Geschichte die gespenstische Dimension, die im Roman so stark ist, und man merkt auch, welch riesigen Anteil an der starken Stimmung der eine Musiker hat, der im Hintergrund sitzt und vor allem Geräusche produziert: Fritz Rainer ist ein integraler Bestandteil des Abends, der seine „Täter“ immer dringlicher in den Tod hetzt. Das wird nachgerade spannend, auch wenn man weiß, wie es ausgehen wird…
Foto: Bettina Frenzel
Der Abend ist durch die Bank vorzüglich gespielt, aber die größte Leistung kommt doch von Sylvia Eisenberger als alter Madame Raquin, die anfangs sogar noch jugendliche Koketterie hat und ihre egozentrische Sorge um Sohn und Schwiegertochter tatsächlich glaubhaft bemäntelt. Wenn sie dann, nach ihrem Schlaganfall, wie ein Gespenst herumgeschleppt wird, alles weiß und nichts sagen kann, könnte sie nicht wirkungsvoller sein, wenn Hitchcock sie selbst in ihren Lehnstuhl gesetzt hätte…
Aber es ist auch Johanna Elisabeth Rehm in der Titelrolle, die den Abend sehenswert macht – von der verbiestert herumschleichenden, geradezu reizlosen jungen Frau des Beginns wandelt sie sich zur exzessiven Liebhaberin (ohne Scheu vor kompletter Nacktheit, aber man hat diese dramaturgisch selten begründeter eingesetzt gesehen) und dann zur Gehetzten, Gejagten, am Randes des Nervenzusammenbruchs, die stellenweise atemberaubend wirkt.
Die Männer „stimmen“ – Christian Kainradl als der egozentrische Schmalspur-Liebhaber, Florian Lebek als der ebenso egozentrische Schmalspur-Gatte, und
Florentin Groll und Hermann J. Kogler als zwei lächerliche Bürger, die tatsächlich wie Clowns das tragische Geschehen durchwirken und ihre eigenen Abgründe offenbaren.
Nun sollte man Prosa immer noch lesen (am besten in Buchform im stillen Kämmerlein) – aber hier ist einmal wirklich packendes, „echtes“ Theater daraus geworden.
Renate Wagner