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CHEMNITZ: RICHARD III. Premiere

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Chemnitz: “Richard III.” – 4. 10. 2014

 “Immer doch schrieb der Sieger die Geschichte des Besiegten. Dem Erschlagenen entstellt der Schläger die Züge.” (Bertolt Brecht)

 Historisch gesehen, stand Richard III. dem Einheitsgedanken des Grafen von Richmond (später Heinrich VII.) im Wege. Um England außenpolitisch Gewicht zu verleihen, musste der mörderische Zwist zwischen den Häusern Lancaster und York mittels einer starken Zentralgewalt beigelegt werden. Richard diesem Ziel zu opfern, erwies sich als geschichtliches Erfordernis. Dabei wurde keine der ihm vor allem von Thomas Morus angelasteten Missetaten  jemals nachgewiesen, selbst im Falle der Ermordung der beiden Neffen, sind sich die Gelehrten uneins.

 Shakespeare, der die Abgründe der menschlichen Seele bis ins Detail sezierte, musste natürlich eine solche von den Ideologen der Tudors (der Schändung des Leichnams folgte die des Rufs) entstellte Figur faszinieren,erlaubte sie es ihm doch, mittels eines Protagonisten von nahezu perfidem Intellekt politische Machenschaften, ihr blutiges Ränkespiel beim Kampf um die Macht auf die Bretter, die ihm die Welt bedeuteten, zu stellen. Seiner Königin Elisabeth, einer Enkelin des siebten Heinrich, dürfte die lediglich als Aufhänger dienende Verteufelung des bösen Buben Richard zupass gekommen sein. Das eigentliche Anliegen des Dichters hat bis heute nichts an Aktualität eingebüßt.

 Nach 1945 vom hiesigen Schauspiel konsequent ignoriert, feierte “Richard III.” nun in einer Inszenierung von Malte Kreuzfeldt seine von einem interessierten, den Vorgängen auf der Bühne atemlos folgenden Publikum dankbar angenommene Auferstehung. Die die Szene dominierende Schräge mit eingefügter Drehscheibe (Bühnenbild: Nikolaus Porz) symbolisiert, wie nahe sich die Figuren am Abgrund befinden, Hinter- und Vorderbühne verdeutlichen einerseits die Königsebene wie sie andererseits den direkten Kontakt Richards zum Betrachter ermöglichen. Die dezent heutige Bezüge andeutenden Kostüme entwarf Katharina Beth. Und wenngleich das Herrenensemble durchaus in der Lage sein dürfte, hierfür einen geeigneten Mimen aus seinen Reihen zu rekrutieren, landete Kreuzfeldt einen besonderen Coup, indem er sich bei der Besetzung der Hauptrolle für Susanne Stein entschied. Nun, auch weiland Asta Nielsen (“Hamlet”) oder in jüngerer Zeit Marianne Hoppe (“Lear”) haben schon als Shakespeare-Helden für Furore gesorgt. Frau Stein geht die ungewohnte Aufgabe mit einer faszinierenden Energie an, fesselt mit beispielhaftem körperlichen und geistigen Einsatz, spart nicht an Honigseim bei ihre späteren Opfer umschmeichelndem Girren, das in hohnlachende Verachtung mündet und in erregten Momenten des Ordinären nicht enträt. Die unverhohlene Ansprache des Publikums, die Anbiederung beim Betrachter, das Überreden zur unfreiwilligen Komplizenschaft erfolgt dabei mehr indirekt, gleicht eher Momenten der inneren Einkehr, des Nachsinnens über bereits Erreichtes bzw. noch zu Bewältigendes. Und obwohl die Regie der Aufführung das ihr gebührende Tempo keineswegs verweigert, gewährt sie solchen Momenten auch bei den anderen Figuren den erforderlichen Raum, huscht nicht in einer Allerweltshatz über sie hinweg. Da berührt Marko Bullack (Clarence) in seiner kreatürlichen Todesangst (der bei seiner Ermordung hinzugezogene Farbeimer entpuppt sich allerdings als entbehrliches Zugeständnis an im Mode gekommene Regiemarotten), gewinnt der sich einschleimende Buckingham Philipp Ottos in der Todesstunde an tieferer Dimension. Gleiches wäre von Wolfgang Adams beklemmendem Kindsmörder Tyrell zu vermelden. Mit durchweg Gültigem wartet ferner die verbleibende Damengilde auf, so Lysann Schläfkes leidenschaftliche, dem Werben Richards erliegende und schließlich von ihm per Plastiktüte gemeuchelte Lady Anne, die würdevolle, ihrer Emotionen schließlich nicht mehr Herr werdende Elisabeth Maria Schuberts, die dem Wahn verfallene Margaret Florence Matouseks und last but not least die mit sprechtechnischer Brillanz bestechende Christine Gabsch als Richards Mutter. Wie überhaupt am Chemnitzer Haus seit der Direktion Carsten Knödlers auf die Sprache gesteigerter Wert gelegt wird. Verwunderlicherweise verweigert Kreuzfeldt dem Richmond (überzeugend männlich Gregoire Gros) dem übrigen Personal zugestandene ironische Brechungen – ein seltsam anmutendes Verfahren im Widerspruch zur übrigen Sicht des Regisseurs, das zugegebenermaßen vom wirksamen Schlusstableau mit dem an einem Ensemble aus Leuchtstoffröhren hängenden Leichnam Richards übertüncht wird.

Joachim Weise

 

 

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