Kammersängerin Barbara Dobrzanska (Amelia); Andrea Shin (König Gustav III. von Schweden) Foto: Jochen Klenk
Die subtile Regie von Aron Stiehl (Bühne: Friedrich Eggert) beschreibt in ausgesprochen gelungener Weise den seltsamen Zauber einer zweigeteilten Welt. Und die Liebe wird hier auch optisch zum Fallstrick, denn das fürstlich-klassizistische Gebäude spaltet sich in zwei Hälften, der riesige Riss geht mitten durch die Bühne. Auf dem Bühnenvorhang sieht man einen großen Totenkopf mit Königskrone. Über dieser Liebe und verborgenen Leidenschaft, die ihn mit Amelia (souverän: Barbara Dobrzanska), der Frau seines besten Freundes Graf Anckarström (facettenreich: Seung-Gi Jung) verbindet, zerbricht der von Andrea Shin wandlungsfähig verkörperte König Gustav III. von Schweden. Er wird schließlich auf einem Maskenball von diesem und den übrigen Verschwörern ermordet. Für diese Schlussszene, die zu den stärksten Eingebungen dieser an Einfällen reichen Inszenierung gehört, hat sich auch Doey Lüthi (Kostüme) eine gute Idee einfallen lassen. Denn alle Protagonisten erscheinen plötzlich schwarz gekleidet mit Halskrausen und Königskronen. So wird der Maskenball schließlich zur schauerlichen Beerdigung des Königs. Die zweigeteilte Welt bricht bei seinem Tod endgültig auseinander. Da gibt es kein Zurück mehr.
Einen starken und grandiosen Auftritt hat auch Ewa Wolak als Wahrsagerin Ulrica, die von einer frechen Matrosengruppe ungestüm bedrängt wird. Dem König ist hier laut Stiehl eigentlich alles gleichgültig, er spielt ganz bewusst mit dem Tod – eine Art Don Giovanni. Alles steuert bei dieser insgesamt überzeugenden Inszenierung rasant auf den Maskenball im Finale zu. Gustav III. will hier nicht begreifen, dass ein König eine besondere Verantwortung hat. Er ist ein aufgeklärter König, aber eben leider auch ein Lebemann, der an sich selbst zerbricht. Dieser Aspekt kommt bei dieser nuancenreichen Aufführung gut zum Vorschein. Ein besonderer Pluspunkt von Aron Stiehls Inszenierung ist die tänzerische Musik, er stellt die Verschwörer choreografisch dar, was ausgesprochen spannend ist. Im Lichtkegel konzentrieren sich wiederholt elektrisierende Momente. Da wachsen Musik und Optik ganz zusammen. Gewaltige Akzente besitzt auch der von Ulrich Wagner ausgezeichnet einstudierte Chor, der sich im Laufe dieses Abends immer mehr steigert. Bei diesem “Maskenball” folgen die Szenen wirklich Schlag auf Schlag, die künstliche Welt wird vom Regisseur nicht verleugnet. Auch der geheime Humor, mit dem Verdi beispielsweise Ulrica schmückt, kommt nicht zu kurz.
Der Dirigent Justus Thorau unterstreicht, dass Ulrica über Kräfte verfügt, die wahrhaft übermenschlich sind. Man kann dann auch nachvollziehen, warum Anckarström so grausam wird, denn er ist der vernünftigste Mensch an diesem Hof. Barbara Dobrzanska als Amelia ist hier eine starke Frau, die auch stimmlich über sich hinauswächst. Da kommt es zu dynamischen Steigerungen, die das Publikum zutiefst berühren. Auf der anderen Seite lassen die Frauen bei dieser Aufführung echtes Gefühl zu, übertreffen darin eindeutig die Männer. Gustav ist zwar ein aufgeklärter König, aber er hat auch verrückte Visionen wie Ludwig II. Der fehlende Bezug zu Staat und Volk wird ihm schließlich zum Verhängnis. In Aron Stiehls Inszenierung nimmt das Bühnenbild konsequent diese Zweiteilung auf. Der linke Raum ist der alte, konservative und nicht renovierte Teil. In der linken Hälfte ist der Stuck abgeschlagen und es steht der rohe Raum da. Man meint das Neue Museum Berlin zu erkennen. Altes und Neues treffen in eigenartiger Weise aufeinander. Auch musikalisch hat diese Aufführung viel zu bieten, Justus Thorau gewinnt als Verdi-Dirigent im Laufe des Abends immer mehr Profil. Der Verschwörer-Rhythmus mit dem Scherzando-Charakter und den spöttischen Sechzehnteln sowie die sarkastischen Auftritte der unheimlichen Verschwörer-Truppe gehören zu den stärksten Szenen dieser besonderen Wiederaufnahme. Und das Sympathiemotiv des Volkes sticht deutlich hervor. Die kontrapunktische Gestaltungsweise arbeitet der Dirigent mit der mit glühender Emphase musizierenden Badischen Staatskapelle ausgezeichnet heraus. Und die ariosen Partien besitzen stets einen beglückend-strömenden Fluss. Ina Schlingensiepen vermag dem Pagen Oscar den Zauber der Opera buffa zu verleihen, während Johannes Eidloth als Oberrichter sowie Lucia Lucas als Graf Ribbing und Luiz Molz als Graf Horn vielschichtiges Profil gewinnen. Gerade die Obergerichtsszene steht in scharfem Kontrast zum glühend-leidenschaftlichen Liebesduett. Den differenzierten A-cappella-Klang arbeitet Justus Thorau mit dem Ensemble auch bei den Szenen mit Ulrica und Oscar plastisch heraus. Gabriel Urrutia Benet als Seemann Cristiano und Jan Heinrich Kuschel als ein Diener Amelias fügen sich nahtlos in die famose Gesamtleistung dieses Ensembles ein. Die Liebe steht im Mittelpunkt. Man begreift, dass der “Maskenball” mehr noch als “La Traviata” ein reines Liebesgedicht ist. Gustav und Amelias gemeinsames C-Dur-Allegro gerät nicht nur gesanglich, sondern auch szenisch zu einem überwältigenden Gefühlsausbruch. Sie haben trotz ihrer hoffnungslosen Lage genügend Zeit, sich ihre Leidenschaft zu gestehen. Interessant ist ja, dass Verdi sich zur Zeit der “Maskenball”-Entstehung mit Shakespeares “König Lear” beschäftigte. Er wollte eine Oper komponieren, aber es ist nicht dazu gekommen. Doch die Wucht der Shakespeare-Tragödien ist auch bei dieser Inszenierung in Karlsruhe deutlich zu spüren. Höfische Eleganz, Charme und Witz stechen immer wieder musikalisch präzis hervor, unterbrochen von monumentalen Ausbrüchen. Wie hier der Theaterkönig bei einem Maskenball ermordet wird, ist wirklich sehenswert. Das Stück des Pariser Kolportage-Dramatikers Eugene Scribe reizte Verdi von Anfang an – so sehr, dass er schließlich mit dem Teatro San Carlo in Neapel in heftigen Streit geriet, der zu einem Prozess führte.
Nun, das Karlsruher Publikum war von der Aufführung, die nur selten kleine szenische Schwächen besaß, jedenfalls begeistert. Es gab viel Jubel für die wunderbaren Sängerinnen und Sänger.