Arena di Verona: Aida, 17. August; Nabucco, 18. August 2013
Was wäre die Arena di Verona ohne „Aida“? Zum 100-Jahr-Jubiläum der Festspiele hat man sich zwar eine „Aida“-Neuproduktion von La Fura dels Baus gegönnt, aber im August wird die inzwischen zum Klassiker avancierte Produktion von Gianfranco de Bosio in Kooperation mit dem Bühnenbildner Rinaldo Olivieri aus dem Jahr 1982 gespielt, die sich stark an der Inszenierung von 1913 orientieren soll. Die Szene erfüllt jedenfalls ihren Zweck, beeindruckende Statistenmassen, vier weiße Pferde, eine hübsche Ballettchoreographie, ein stimmungsvolles Bühnenbild im Nilakt sowie ein riesiger Baldachin und ein mächtiger Tempel für das Finale.
Die Aufführung blieb aus meiner Sicht allerdings hinter den Erwartungen zurück. Das lag vor allem Orchester unter Daniel Oren, das für wenig Spannung sorgte. Marco Berti war für die Arena als Radames eine ideale Besetzung: er sang markig und mit guter Höhe, allerdings weniger um die Finessen der Partie bemüht. Ambrogio Maestri gab einen grimmigen Amonasro – und die beiden Herren waren an sängerischer Ausstrahlung den Damen eindeutig überlegen. Fiorenza Cedolins verlieh der Aida einigen Liebreiz, aber ihr Soprans vermittelte mir schon zu wenig an aufblühender Wärme. Violeta Urmana hat sich der Amneris angenommen – wobei mir die satten Farben fehlten, um den Charakter der Figur auszuschmücken und zu konturieren. Für die Arena war diese Darstellung deshalb eine Spur zu blass. Solide Orlin Anastassov als Ramfis, die Priesterin: Antonella Trevisa.
Aber die „Aida“ war in diesem Fall ohnehin nur die „Vorspeise“, der „Nabucco“ mit Placido Domingo der eigentliche Zweck der Reise nach Verona. Domingo gab der Aufführung das erhoffte gesangliche und darstellerische Format, stimmkräftig, mit Nachdruck, aber auch mit viel Feingefühl. Domingos Nabucco hat mich in der Gesamtanlage ein wenig an seinen Simon Boccanegra erinnert: er entdeckt in diesen Figuren eine ungekünstelte Humanität, die Zuhörer unmittelbar anspricht. Die dunkleren Seiten von Nabucco wurden nicht so deutlich herausgestrichen, die Hybris eines babylonischen Gottkönigs, der vom „Saulus“ zum „Paulus“ wird, wurde weniger betont. Domingo wirkte ein bisschen väterlich, durchaus energisch, jedoch mit einem Schuss altersweiser Abgeklärtheit versetzt. Vielleicht hat dieser Eindruck auch mit seiner Stimme zu tun, die nach wie vor von tenoraler Helle umflort wird.
Eine starke Leistung bot der amerikanische Bass Raymond Aceto als Zaccaria: eine kräftige Stimme, mit sonorer, tragfähiger Tiefe, plus einiger Schwärze und etwas „körnig“. Aceto hat bereits 2005 und 2007 an der Wiener Staatsoper gesungen (Ramfis und Escamillo) und dürfte sich in den letzten Jahren als Verdi-Bass einen guten Namen gemacht haben. Ebenfalls positiv anzumerken: Geraldine Chauvet als lyrische Fenena und Giorgio Berrugi, eine aufstrebende italienische Tenorhoffnung, als Ismaele. Amarilli Nizza war eine „resche“ Abigaille, nicht wirklich stimmschön, mit scharfer Spintohöhe und einer für meinen Geschmack schon zu „vibratoreichen“ Stimme, aber recht energiegeladen. Als Bühnenerscheinung verkörperte die Sängerin die Figur mit viel Einsatz. (Die weitere Besetzung – Hohepriester des Baal: Gianluca Breda, Abdallo: Cristiano Olivieri, Anna: Francesca Micarelli.)
Der Gefangenenchor wurde wiederholt und so gefühlvoll und hymnisch vorgetragen wie man ihn wahrscheinlich nur in Italien zu hören bekommt. Julian Kovatchev am Pult ließ etwas feuriger spielen als Daniel Oren am Vorabend, das Orchester klang differenzierter. Die Inszenierung des Nabucco stammt aus dem Jahr 1991, auch hier hat Gianfranco de Bosio mit dem Bühnenbildner Rinaldo Olivieri zusammengearbeitet. Die Gesamtkonzeption ist der „Aida“ ähnlich, mit einigen guten Effekten, etwa wenn sich die Kulissenelemente des mächtigen Turms zu Babel plötzlich verschieben, um seinen Einsturz anzudeuten.
Placido Domingo ist erfreulicher Weise kommende Saison für den Nabucco an der Wiener Staatsoper angesetzt, leider in der missglückten Günter-Krämer-Produktion von 2001.
Dominik Troger