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STUTTGART/ Schauspiel Nord: SEYMOUR von Anne Lepper –“eine Art Dr. Mabuse”

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Stuttgart/ Schauspiel Nord: EINE ART DOKTOR MABUSE

Stuttgarter Schauspielstudenten brillieren mit Anne Leppers neuem Stück “Seymour” im Schauspiel Nord am 12. Oktober 2014/

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Carmen Witt, Mark Filatov, Lene Dax, Frederic Soltow,  Christian Czeremnych, Copyright: Julian Marbach

Zu Thomas Manns Meisterroman “Der Zauberberg” stellt die junge Erfolgsautorin Anne Lepper (sie gewann mit ihrem Debütstück “Sonst alles ist drinnen” den Münchner Förderpreis für deutschsprachige Dramatik und den Publikumspreis) bewusste Bezüge her. Auch hier wird das Publikum behutsam in ein Sanatorium in den Bergen entführt. Der stets abwesende und wohl auch tyrannische Arzt Dr. Bärfuss stellt die Regeln auf. Die dorthin abgeschobenen, übergewichtigen Kinder sollen vielleicht sogar wieder zu richtigen und brauchbaren Menschen werden. Allerdings ist der Weg dorthin steinig und schwer, denn die Kinder rebellieren. Es sind Studierende der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart, die hier eine ausgezeichnete schauspielerische Leistung bieten. Carmen Witt (Leo), Frederic Soltow (Robert), Lene Dax (Heidi), Mark Filatov (Oskar), Christian Czeremnych (Max) und Sheila Katharina Eckhardt (Sebastian) wachsen in einer beachtlichen dramaturgischen Steigerung zu wahren Leidensgestalten heran: “Man müsste doch wissen, dass wenigstens einer von uns einmal wieder dünn werden sollte…”

Wie bei Thomas Mann münden alle Ideen dieser großen “Kinder” zuletzt ins Leere, nicht einmal die Bundeskanzlerin kann helfen. Immer wieder werden symbolische Selbstmordversuche verübt. Heidi ist sich einmal sogar keineswegs sicher, ob sie nicht die Tote im Schwimmbecken war. Diese dicken Kinder wollen Gewinner in der Gesellschaft sein, aber in den meisten Fällen gehen die Ausbruchsversuche schief. Max erhängt sich sogar.

Die Inszenierung in der abwechslungsreichen und temperamentvollen Regie von Henner Kallmeyer arbeitet durchaus überzeugend mit einer gewissen Art von Situationskomik, die rasch ins Tragische übergeht. Vor allem die Tanzszenen werden immer wieder ironisch verfremdet und geraten zur witzigen Persiflage einer oberflächlichen Gesellschaft. Liebesbeteuerungen gehen oft ins Leere, die Betroffenen leiden unter Beziehungslosigkeit oder Liebeskummer. Bühne und Kostüme von Franziska Gebhardt spielen virtuos mit verschiedenen Stimmungen. Einmal sind die Protagonisten einem willkürlichen Schneetreiben ausgesetzt, ein anderes Mal erkennt man riesige Goldkugeln als vermeintliche Erbsen in einem Schwimmbecken aus Schaumgummi, in dem die einzelnen Kinder rettungslos ertrinken und von den Kugeln über und über bedeckt werden. Leo ist dann der erste, der die dort seit Ewigkeiten geltenden Regeln hinterfragt. Und trotzdem hält sich sein Aufbegehren und das der ganzen Gruppe in spürbaren Grenzen. Die Schauspielstudenten machen diesen wahrhaft verzweifelten Existenzkampf immer wieder in eindringlicher Weise deutlich. So entstehen berührende Szenen zwischenmenschlicher Begegnungen – mit teilweise satirischer Schärfe. Man merkt, wie stark dieser imaginäre und wie ein unsichtbarer Dämon wirkende Dr. Bärfuss (eine Art Doktor Mabuse) diese jungen Leute im Griff hat und sie auch zu manipulieren vermag. An einigen Stellen hätte die Handlung auch noch komprimierter sein können. Packend wirkt allerdings jener Moment, als die dicken Kinder vergeblich auf Dr. Bärfuss warten. Da kommen im Lichtkegel mit angsterfüllten Gesichtern zum ersten Mal unheimliche Elemente ins Spiel, die sich immer mehr auf der Bühne ausbreiten. Sogar ein “Homunkulus” im Reagenzglas wird beschworen. Man spricht vom Hitler-Stalin-Pakt. Insgesamt gesehen ist es also eine schauspielerisch intensive Leistung des Ensembles. Von diesen hoffnungsvollen jungen Schauspielerinnen und Schauspielern wird man sicherlich noch viel hören (Dramaturgie: Katrin Spira).  

 Alexander Walther

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