
Tanja Ariane Baumgartner (Die Amme) und Tamara Wilson (Die Kaiserin) Foto: Oper Frankfurt/Barbara Aumüller
Frankfurt: “DIE FRAU OHNE SCHATTEN”
9.11.2014 – Übermächte…
So geht’s auch: Obwohl das gigantische Strauss-Opus in der Inszenierung von Christoph Nel in heutiger Kleidung (Kostüme: Ilse Welter) gespielt wird, fehlt ihr nichts an Faszinationskraft. Die Drehbühne zeigt abwechselnd die Geisterwelt und die Menschenwelt, zwar beides mit hohen grauen Wänden, aber mysteriös die eine wie die andere aus dem Halbdunkel herausleuchtend und bevölkernd. Alle Stimmen, die normalerweise von draußen, aus dem Hinter- oder Untergrund zu hören sind, kommen von sichtbaren Gestalten, was den Wächtern der Stadt, den Ungeborenen wie den Dienerinnen eine ebenso geheimnisvolle Aura wie greifbare Nähe verleiht, zumal sie teilweise mit Masken auftreten, ebenso wie das Jagdgefolge des Kaisers. Wenn statt der Stimmen der Ungeborenen leibhaftige Kinder auftreten, versteht jeder, welches Versäumnis sich deren Eltern hätten zuschulden kommen lassen, wenn diese unschuldigen Wesen nicht gezeugt worden wären. Dieses Thema rückte hier in den Mittelpunkt und damit auch das Bewusstwerden, welch ein Segen für den Fortbestand der Menschheit liebende Paare sind.
Den Sängern der Hauptrollen wird durch eine hochsensible Personenführung die Identifizierung mit den Strauss-Hofmannsthal’schen Charakteren leicht gemacht.
Aus dem vortrefflichen Ensemble muss ein Sänger hervorgehoben warden – nicht nur, weil er mit dieser Frankfurter Aufführungsserie der Strauss-Oper seinen Bühnenabschied angekündigt hat, sondern weil die Figur des Barak einen Sängerdarsteller braucht, der an so viel menschliche Größe und Güte glauben lässt. Terje Stensvold verkörpert ihn in tief bewegender Weise. Der ungemein sympathische Norweger, der sich im Osloer Ensemble durch rund 80 Rollen seines Stimmfachs gesungen hat, ehe er mit 55 eine große internationale Karriere als Heldenbariton startete, beeindruckte einmal mehr nicht nur mit seinem großen, weichen, ebenmäßig geführten, sonoren und dennoch kernigen Bariton, sondern beglückte durch seine menschliche Ausstrahlung. Vom ersten Auftreten als schaffensfroher Färber an über alle Phasen schmerzlichen Liebesentzugs durch seine geliebte Frau bis zur hellen Verzweiflung, die ihn, seiner selbst nicht mehr mächtig, fast zur Tötung der Lieblosen treibt, ehe dann das finale “Nun will ich jubeln” aus dem von seiner Qual und Reue Erlösten geradezu herausbricht, bringt Stensvold uns diesen Menschen nahe, den Richard Strauss mit den schönsten Kantilenen gesegnet hat. Terje Stensvold bedarf dazu keiner großen Gesten – Haltung, Gesicht und Stimme sagen ja schon alles. Dass der Künstler sich trotz vollen Stimmbesitzes nach Vollendung seines 70. Lebensjahres von der Bühne zurückziehen möchte, um vermehrt seiner Rolle des mehrfachen Großvaters gerecht zu werden, ist in einem eindrucksvollen Merker-Interview mit Kerstin Voigt (siehe Heft 2/2014) nachzulesen. Leicht fällt uns der Abschied von diesem wunderbaren Künstler (und Göttervater!) nicht!
Gute Rollenporträts lieferten auch seine BühnenpartnerInnen ab. Sabine Hogrefe, die bisher vor allem als Brünnhilde von sich reden machte, beeindruckte dort wie hier durch eine eher introvertierte, dennoch empfindungsstarke Darstellung und Singweise. Ihre Färberin ist keine eigensinnige Zicke, sondern eine Frau, die mit sich selbst nicht klarkommt und darunter leidet. Sowohl ihr als auch der Kaiserin vonTamara Wilson hat man gelegenetliche Höhenschärfen vorgeworfen, aber die Damen, die den diesbezüglichen Zumutungen des guten Richard Strauss klaglos gewachsen sind, sind eher in der Minderzahl. Also freue man sich, wenn die Figuren glaubhaft über die Rampe kommen. Das war hier der Fall.
Überhaupt keine vokalen Einschränkungen gab es bei der Amme und beim Kaiser – auch das eine Rarität. Tanja Ariane Baumgartner überraschte nicht nur mit einem bruchlos geführten, mühelos und, damit verbunden, extrem wortdeutlich eingesestzten Mezzo, den sie nie hinunterdrückt , um mit Brusttönen zu imponieren, oder hinaufhieven muss in die Extremhöhen, sondern auch durch ihre ungewöhnliche Rollendarstellung: die schlanke, ansehnliche Dame mittleren Alters in schickem Kostüm und Hütchen , ist keine böse alte Hexe, sondern eine Frau zwischen zwei Welten, die um ihen Schützling besorgt ist und für die Kaiserin das Beste will. Den Kaiser, dem die Versteinerung erspart bleibt, singt Burkhard Fritz mit einer solch unerschütterlichen tenoralen Höhenstrahlkraft, dass man ihm das gönnt – weil wir ihn noch oft hören möchten!
Auch im übrigen Ensemble gab es keine Schwachpunkte. Ein pauschales Lob für die drei Brüder (Franz Mayer, Björn Bürger, Hans-Jürgen Lazar), den Geisterboten (Dietrich Volle), Falken (Brenda Rae), die Stimme von oben (Katharina Magiera) und alle anderen.
Doch hinter bzw. vor den Bühnenkünstlern waltete eine Großinstanz, die das eigentliche Ereignis des Abends war. Was der Frankfurter GMD Sebastian Weigle mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester nicht nur an purer Klangpracht bot. sondern an Ausdruckskraft zuwege brachte, kann schlichtweg als phänomenal bezeichnet warden. Nie ungebührlich grell oder knallig, konzentrierte der Dirigent alle Kraft auf das große Mysterium, das der Komponist hier hat Klang werden lassen. In feinster Detailarbeit brillierten die einzelnen Instrumente, sei es die Falken-Flöte oder das unendlich kantable Solo-Cello, und in den vielen oft geradezu angsteinflößenden tutti-Passagen konnte einen im bedrohlichen Blechbläser- und Schlagzeug-Einsatz “der Menschheit ganzer Jammer” erfassen. Und da waren zweifellos “Übermächte” im Spiel und es lief einem heiß und kalt über den Rücken. So ist das Straussische Meisterwerk komponiert. Und wenn es so wiederegeben wird, dann tobt das Publikum, um endlich seiner Erregung Herr zu werden.-
Liebe Opernfreunde! Wenn Sie Richard Strauss lieben, versuchen Sie doch, noch für die letzte Vorstellung dieser Serie, am 16.November (Beginn: 15,30 Uhr), Karten zu bekommen. Wir befinden uns ja noch im Strauss-Jubiläumsjahr. Das gilt es zu feiern!
Sieglinde Pfabigan