
Luisa Miller plausibel ins Mafia-Milieu versetzt. Foto: Theater Aachen/Carl Brunn
Aachen: Luisa Miller
Premiere am 9. November
Nachdem die letzte Aachener Verdi-Produktion („Don Carlo“) szenisch ein ziemlicher Reinfall war, gelang jetzt mit „Luisa Miller“ ein Publikumserfolg, der so vehement kaum erwartet gewesen sein dürfte. Zunächst sollte betont werden, dass die Musik der frühen, selten gespielten Verdi-Oper bei dem farbigen GMD KAZEM ABDULLAH in denkbar guten Händen liegt. Wenn man sich in die etwas trockene Akustik des Hauses eingehört hat, wirkt der klare, leicht kantige Tonfall angemessen und überzeugend, die dramatischen Akzentuierungen sinnfällig. Verdi selber hob sich nicht von ungefähr den Einsatz der „weichen“ Harfe bewusst für den hymnischen Schluss auf.
Friedrich Schillers Schauspiel „Kabale und Liebe“ schildert den willkürlichen, despotischen Umgang von Herrschenden mit Untergebenen, was Verdis Oper ungeschmälert übernimmt. Die soziale Fallhöhe des 18. Jahrhunderts lässt sich heute freilich kaum noch darstellen. Es ist also sinnvoll, dass die Opernadaption beispielsweise die Figur des Kammerdieners ausspart, welcher gegenüber Lady Milford Kinderdeportationen anklagt. Diese Lady hat in der Oper als Federica, Gräfin von Ostheim, fraglos viel von ihrer einstigen noblen Kontur verloren, aber das ist den Zensurvorschriften der damaligen Zeit zuzuschreiben.
Bei einer inszenatorische Modernisierung historischer Stoffe wird es freilich nie ganz ohne Blessuren abgehen, selbst wenn modernisierte Übertitel als Verständnishilfe eingesetzt werden. Auch die Entscheidung MARIO CORRADIs, die Opernhandlung im Mafia-Milieu anzusiedeln, hat ihre Fallstricke, doch wirkt die Idee generell sehr plausibel, und Kongruenzdefizite werden mehr und mehr zweitrangig. Bereits während der Ouvertüre ist eine wilde Verfolgungsjagd bewaffneter Killer zu sehen, welche in jenem Mord endet, dessen Aufdeckung „Graf von Walter“ dann so sehr fürchtet und Rodolfo ein Mittel zur Erpressung seines Vaters in die Hand gibt. Dass Luisa am Ende im Krankenhaus landet (psychiatrische Abteilung?), ist nach allem zuvor Geschehenen durchaus folgerichtig. Dass für ihre Betreuung der gesamte Chor mobilisiert ist, gehört dann wieder zu den „Anpassungsschwierigkeiten“.
Corradi setzt die Personen der Oper so natürlich wie möglich ins Bild, die von Verdi musikalisierten Emotionen werden nicht infrage gestellt, zwischenmenschliche Beziehungen bleiben glaubwürdig und behalten ihre Würde. Mitunter tut die Regie des Guten zu etwas viel, wenn etwa Wurm in der Szene des Briefdiktats die fromme Inbrunst Luisas ununterbrochen karikiert. Und die Figur der Federica vermag sie nicht aufzuwerten. Spektakulär hingegen das Finale. Wurm stirbt unter einem herunter gerissenen Vorhang, getroffen von einer Kugel aus Rodolfos Pistole. Dieser schießt sich schließlich selber in den Mund – Menetekel für den Vater.
Eine geschickte Bühnenausstattung liefert ITALO GRASSI. Gleichbleibend ein säulengestützter, diagonal verlaufender Plafond; Gleitwände geben immer wieder neue Räume frei. Das Mafia-Milieu wird durch Filmsequenzen auf mehreren Bildschirmen unterstrichen. Ihre Motive: Geld und Spiel.
Die Blässe der Fedrica-Figur vermag YAROSLAVA KOZINAs Gesang nicht ganz vergessen zu machen, und auch JACEK JANISZEWSKI überzeugt als Wurm mehr darstellerisch als vokal. Ansonsten aber vermag das Aachener Haus die Verdi-Partien nicht nur adäquat, sondern ausgesprochen triftig zu besetzen. WOONG-JO CHOI, äußerlich freilich alles andere als ein Widerling, porträtiert den „Grafen von Walter“ mit machtvollem Bass, HRÓLFUR SAEMUNDSSON war noch nie so gut wie jetzt als Vater Miller. Der aus Chile stammende FELIPE ROJA VELOZO besticht als Rodolfo mit Bühnentemperament und einer Stimme, die selbst extreme Höhen mühelos meistert, hier freilich auch ein wenig eng und schneidend wird. Wirklich glorios ist CAMILLE SCHNOOR in der Titelpartie: gut focussierter Sopran, in allen Lagen ausgeglichen, vorbildliche Phrasierung, warmes Timbre. Vielleicht nur hier und da ein paar Piani mehr … Das natürliche Spiel der Französin berührt. Ihre nächste große Partie in Aachen wird die Agathe sein. Da kommt schon jetzt Vorfreude auf.
Christoph Zimmermann