Philharmonie/ Musikfest Berlin: Mahler Chamber Orchestra, 2.9.2013
Angela Denoke. Foto: Johan Persson
Der gestrige Konzertabend beim Musikfest Berlin brachte Besonderes. Nach Dmitri Schostakowitschs kurzem, recht belanglosem Jugendstück „Präludium und Scherzo für Streichoktett“ op. 11, ließen die folgenden beiden Werke aufhorchen.
Zwei Kompositionen, die genau zueinander passen und sich ergänzen, aber sonst wohl kaum nacheinander zu hören sind: Benjamin Brittens „Phaedra“, Dramatische Kantate für Mezzosopran und kleines Orchester op. 93, sowie Schostakowitschs „Symphonie Nr. 14“ G-Dur für Sopran, Bass und Kammerorchester op. 135.
In beiden Fällen geht es um den Tod, ein oft gemiedenes Thema. Doch in seiner Wertung gibt es deutliche Unterschiede zwischen den beiden Komponisten, die lange Jahre miteinander befreundet waren. Vieles verband sie: das Anderssein, manch unerfüllte (unerlaubte) Liebessehnsucht und die daraus resultierenden Schwierigkeiten. Bei Schostakowitsch kam noch der politische Druck hinzu.
Beide nahmen Gedichte zu Hilfe, um ihre Gefühle, Erfahrungen und Ängste kundzutun. Britten vertonte „Phèdre“ (1975) von Jean Racine, das Robert Lowell mit einem englischen Text versehen hatte.
Der altgriechische Mythos wird jedoch an einem entscheidenden Punkt abgewandelt: Zwar verliebt sich auch hier Phaedra haltlos in ihren Stiefsohn Hippolytus, denunziert ihn aber nicht als ihren Verführer. Vielmehr nimmt sie alle Schuld auf sich und sühnt sie durch ihren Freitod. Der Tag, der nun folgt, ist ein reiner. Der Tod als Erlösung und Start zu einem schuldfreien Neubeginn.
Britten hat diese Phaedra in ein raffiniert-schlichtes Gewand gekleidet. Es ist ein Stück voller Resignation mit nur gelegentlichen Ausbrüchen. Das Mahler Chamber Orchestra unter dem engagierten Dirigat von Teodor Currentzis bietet es verblüffend farbenreich dar. Genau so singt es auch Angela Denoke, seit 2009 Kammersängerin der Wiener Staatsoper.
Ihr klarer Sopran besitzt viele Facetten für all’ ihr Unglück und ihre Ausweglosigkeit. Mal flüstert sie, mal lässt sie die Stimme genau so changieren wie Phaedra ihre Gefühle. Nur selten darf sie nach des Komponisten Willen ihre Verzweiflung dramatisch kundtun, nimmt sich dann aber gleich wieder zurück, verebbt schließlich, von eigener Hand vergiftet. Die bereits erwähnte, letztendliche Erlösung jubelt sie dann beinahe hinaus. Eine ganz dem Stück entsprechende Gestaltung.
Wesentlich härter geht Schostakowitsch zur Sache. Der glaubt nicht an die Erlösung oder ein seliges Leben im Jenseits. Für ihn ist mit dem Tod alles aus, daher fürchtet und hasst er ihn. Auch die Folterungen und millionenfachen Morde unter dem Diktator Stalin (1879-1953) ruft er in dieser 1969 fertig gestellten Symphonie in Erinnerung. Er tut es nicht in den üblichen vier Sätzen. Stattdessen reiht er Gedichte unterschiedlicher Autoren aneinander und nimmt diese Szenenfolge als Basis für sein musikalisches Statement.
Federico Garcia Lorca, Guillaume Apollinaire, Wilhelm Küchelbecker und Rainer Maria Rilke sind seine „Librettisten“. In Lorcas turbulenter Taverne „Malagueña“ kommt der Tod mit knackigen Kastagnetten daher. Und Apollinaires kleiner Sturmsoldat, vor dessen unausweichlichem Tod sich die Geliebte herausputzt, wirkt auch musikalisch makaber.
Der nackte Mann in Einzelhaft lässt den Zuhörer ebenfalls frieren, und erst bei den verzweifelten Rufen nach Gottes Erbarmen kann Petr Migunov beweisen, das in seinem Bass auch Kraft und Ausdruck steckt. Noch mehr gilt das bei den Vorwürfen an den schlimmen Sultan von Konstantinopel, mit dem sicherlich Stalin gemeint ist. Hier trumpfen auch Dirigent und Orchester gehörig auf.
Ansonsten bestimmt Tragik und Todesfurcht diese Symphonie, die nur dem Künstler im Gedicht „An Delwig“ Chancen des Nicht-Vergessenwerdens einräumt. Diesem Werkscharakter unterwerfen sich Angela Denoke und Petr Migunov. Sie beeindrucken durch Zurückhaltung. Als letzte Aussage hat Schostakowitsch Rainer Maria Rilkes bekanntes Schlussstück gewählt: „Der Tod ist groß, wir sind die Seinen…“ Die beiden Solisten singen es gemeinsam, leise und innig.
Nach diesem ungewöhnlichen und ungewöhnlich schönem Konzert sollte eigentlich Schweigen geboten sein. Doch die zahlreichen jungen Besucher (mit Kaufkarten!) reagieren anders. Für sie ist der Tod noch kein Thema, und so reichern sie den ohnehin starken Beifall noch durch begeistertes Gekreische wie im Popkonzert an. Die auf der Bühne wirken etwas erstaunt, lächeln aber erfreut. Verdient haben sie den Applaus allemal.
Ursula Wiegand