„Mein lieber Schwan“ Ausstellung im Rahmen des pèlerinages Kunstfest Weimar
26. August bis 24. November 2013
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ACC Galerie Weimar | Burgplatz 1+2, 99423 Weimar | kultur@acc-weimar.de | 03643/851261 | So bis Do 12 bis 18 Uhr | Fr und Sa 12 bis 20 Uhr
Eine wahrhaft köstliche Ausstellung “Mein lieber Schwan” hat Frank Motz in der ACC Galerie Weimar für das finale “Wagner-Idyll”-Kunstfest kuratiert. In gut 100 Positionen setzen sich 25 zeitgenössische Künstler von Beuys bis Whiting poetisch, kritisch, ironisch und teils auch makaber mit dem Schwanen-Mythos auseinander – so wie wir ihn mit Leda seit der Antike, vor allem aber aus Wagners romantischer Oper “Lohengrin” kennen. Und natürlich hat so mancher auch mit dem Leipziger Mythomanen ein sprichwörtliches Hühnchen zu rupfen.
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2013 wäre der „Dichterkomponist“ Richard Wagner 200 Jahre alt geworden. Seine populärste Oper, der „Lohengrin“, wurde am 28. August 1850 von Franz Liszt im Großherzoglichen Hoftheater Weimar uraufgeführt. Die ersten Worte seiner Ankunfts-Arie – weil sein Nachen von einem Schwan gezogen wird – sind sprichwörtlich geworden: „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan“. Als Ausruf von Bewunderung und Erstaunen hat sich die Kurzfassung als wahrhaft geflügeltes Wort bis heute in unserem alltäglichen Sprachgebrauch erhalten. Der Gründe gibt es viele, weswegen sich die ACC Galerie im Wagner-Jubiläumsjahr in Kooperation mit dem pèlerinages Kunstfest Weimar in einer internationalen Gruppenausstellung und vornehmlich aus der Perspektive der zeitgenössischen Künste, mit Seitensprüngen und Übertritten in andere Kulturdisziplinen, dem alten Meister nähern möchte. Unter dem Motto „Wagneridyll“ spannt sich der Bogen von seinen Opern zum Motiv des Schwanes in der Kunst, seiner Mythologie, unserer Liebe zum und dem Zusammenleben mit dem Tier, aber auch zu den düsteren Seiten des Lebens wie Verzweiflung, Verbrechen und Tod, die in der Symbolik des weißen und schwarzen Schwanes von jeher in unterschiedlichster Weise ihren Ausdruck fanden.
Seit Menschengedenken ist der Schwan ein mythologisches Tier, schwingen in seinem Bild und Begriff uralte Bedeutungen mit: Er ist ein Symbol des Lichts und des Stolzes, der Reinheit, Vollkommenheit, Heiligkeit, Würde, Reife und Anmut. Das Weiß seines Federkleids steht für das Absolute, Anfang wie Ende und deren Vereinigung und ist wie bei den Engeln, Heiligen, Bräuten, Erstkommunionskindern und Klosterkandidatinnen ein Symbol für Unschuld und Jungfräulichkeit. Zeus umarmte Leda in Schwanengestalt, weiße Schwäne ziehen den Wagen von Apoll, dem Lichtgott. Liebesgöttin Aphrodite und Jagdgöttin Artemis finden sich oft in Begleitung von Schwänen, die auch in der germanischen Mythologie eine enge Beziehung zu den Gottheiten pflegen. Dessen ungeachtet war das Wappentier zahlloser Fürstenhäuser in den Hungersnöten des Mittelalters gern gesehener Gast auf dem Speiseplan (aus den Carmina Burana ist ein Lied über einen am Spieß gebratenen Schwan bekannt), während am englischen und preußischen Königshof (sieht man mal von Henry III. ab, der für sein Weihnachtsbankett 125 Schwäne benötigte) die bis dahin selten gewordenen weißen Schwäne den Status eines unantastbaren, geschützten Wesens genossen, dessen Zucht ein Privileg des Hochadels war. Im Volksglauben ist der Schwan vor allem ein (Ver)Wandlungssymbol, Hans Christian Andersen kredenzte uns passenderweise das Märchen vom „hässlichen jungen Entlein“. Am Firmament wurde der Schwan – symbolischer Ausdruck der Begegnung von Himmelsgott Uranus und Meeresgott Neptun – als Sternbild verewigt und diente fortan den Seefahrern und Astrologen zur Orientierung. Kein anderer Vogel kann so tief ins Dunkel des Wassers tauchen und – je nach Kultur – vielleicht gerade deshalb auch Gegenteiliges zum bislang als vermeintlich charakteristisch Aufgezählten verkörpern: das Unheimliche, Dämonische, Kampf, Tragik und Tod. Der Schwan ist ein Sexualsymbol: neben dem weißen Schwan steht immer der schwarze, neben dem Guten das Böse. Dem Totenschiff, das die Seelen in eine andere Welt brachte, wies der Schwan den Weg, in permanentem Kontakt mit dem Reich der finsteren Hel, der Herrscherin der unterirdischen Totenwelt.
Tschaikowskis „Schwanensee“ gehört zu den erfolgreichsten Balletten überhaupt, den Titel „Schwanengesang“ hat eine – letzte – Liedersammlung Franz Schuberts erhalten. Immer wieder haben sich Dichter und Musiker von diesem Zaubertier inspirieren lassen, vor allem in der Kunst des Symbolismus. Nach griechischem Glauben besaß der Schwan die Fähigkeit wahrzusagen. „Es schwant mir“, ist heute noch im deutschen Sprachgebrauch zu finden, wenn unsere Intuition oder Weissagungskraft ins Leben dringt, leistet dem „lieben Schwan“ im Zitatenschatz Gesellschaft. Die Gestalt des „Schwanenritters“ Lohengrin verzauberte Generationen mit ihrer „blausilbernen“ Musik. Zur Zeit der Romantik entwickelte sich sogar ein bizarrer „Lohengrin“-Kult, der in den Anlagen von Schloss Neuschwanstein wohl seinen absoluten Höhepunkt fand. Im wilhelminischen Bürgertum schlug die Rezeption eher in eine spießig-pathetisch-politische um, wie sie nicht zuletzt Heinrich Manns „Untertan“ literarisch zum Ausdruck brachte.
Was haben (Wagners) Schwäne den Künstlern unserer Tage zu sagen? In welchen Koordinaten würden wir politische Hoffnungsgestalten – „Sendboten des Grals“ – heute wahrnehmen? Von welchen „Schwänen“ werden sie gezogen? Neben Künstlern, die angesichts ihres bereits bekannten Œuvres zur Ausstellungsteilnahme eingeladen werden (und deren vorläufige Liste als „subject to change“ vorliegt), sollen auch Aufträge an zeitgenössische Künstler ergehen, sich mit Bild und Idee des Schwanes auseinanderzusetzen. Dass dabei – neben anderen Kunstgattungen – weder die Klangkunst noch die Kunst der Performance (vorzugsweise im Weimarer Schwanseepark oder an bzw. auf der Ilm, wo Schwäne sich täglich die Ilm hinunter durch den Goethe-Park treiben lassen, gründeln und uns auf anmutigste Weise in andere Zeiten versetzen) außen vor bleiben, muss nicht betont werden.
Eine auf guten Erfahrungen basierende Zusammenarbeit mit unserem Freund und Nachbarn Prof. Dr. Hermann Mildenberger von der Abteilung Graphische Sammlungen der Klassik Stiftung Weimar zu erneuern ist darüber hinaus ebenso wünschenswert, wie eine wiederholte Kooperation mit dem Naturkundemuseum Erfurt zur Gestaltung eines Raumes mit Tier- und Naturpräparaten denkbar ist.
Richard Wagner selbst, der die Oper revolutionierte und das Gesamtkunstwerk initiierte, ist natürlich – nicht nur als Künstlerfigur – so beliebt wie umstritten. Der Kult des 19. Jahrhunderts um das „größte Genie der Musikgeschichte“ und dessen vornehmlich ideologische Interpretation im 20. Jahrhundert sind inzwischen einer eher menschlichen, unaufgeregten, teils humorvollen Annäherung an Wagners zeitlos valide Kunst gewichen. Auch diesem Umstand möchte die Ausstellung – beispielsweise mit einer flankierenden Rahmenveranstaltungsreihe – Rechnung tragen.
Als Schwanengesang bezeichnet man das letzte Werk eines Musikers oder eines Dichters, auch die letzte Rede eines Politikers. Dies geht auf einen alten griechischen Mythos zurück, der besagt, dass Schwäne vor ihrem Tode noch einmal mit trauriger, jedoch wunderschöner Stimme ein letztes Lied anstimmen. Das Kunstfest Weimar 2013 gestaltet zum Wagnerjahr ein umfangreiches „Lohengrin“-Projekt. Einen zentralen Bestandteil dieses Projektes bildet diese Ausstellung in der ACC Galerie Weimar, sicher weder das finale Werk der Nike Wagner, die 2013 zum letzten Mal das Weimarer Kunstfest leitet, noch des ACC als mittlerweile „stubenältestem“, keineswegs aber altersschwachem Gegenwartskunstvorzeigeort der Stadt, dennoch aber ein Ab(schieds)gesang – auch im Rückblick auf vier in den vergangenen sieben Jahren realisierte ACC-Kunstfestausstellungen mit der Urenkelin Richard Wagners und Ur-Urenkelin Franz Liszts: DIE IDEALE AUSSTELLUNG (2009), Unstern. Sinistre. Disastro. Visionen zeitgenössischer Künstler (2008), Le Souvenir. Kult Kitsch Kunst (2007) und polymorph pervers. Die Nachtseiten der Liebe (2005). Kein Sechserpack also wird’s, aber immerhin ein Quintett: Mein lieber Schwan!
Thomas Janda