WIEN / Staatsoper:
LA TRAVIATA von Giuseppe Verdi
22. Aufführung in dieser Inszenierung
3. September 2013
Saisonbeginn an der Wiener Staatsoper. Kontrolle vor Betreten der Oper gegen halb 7 Uhr: So gut wie alle Sitzplätze am Herbert-von-Karajan-Platz waren bereits besetzt. Die „Oper am Platz“ wird angenommen. Die Stehplätze im Haus voll bis zum letzten Käfig auf der Galerie. „La traviata“ zieht immer – und am Ende gab es stürmischen Beifall. Da können doch die Kritiker sagen, was sie wollen.
Es war ein durchwachsener Abend was die drei Hauptdarsteller betrifft, von denen zwei ihre Rollen erstmals an der Wiener Staatsoper sangen (und Keenlyside hat den Giorgio Germont bisher einmal gewissermaßen unbemerkt interpretiert – war das nicht, als Holender den schrecklich „Macbeth“ kurzerhand absagte und durch eine „Traviata“ ersetzte?). Also – alles neu für Opernfreunde, die einfach immer neue Besetzungen sehen wollen.
Aleksandra Kurzak hat nach ihrer Marie in der „Regimentstochter“ einen großen Stein im Brett, als sie wie ein Wirbelwind an Können und Humor über die Bühne fegte. Man soll keine Vorurteile hegen, wer für welche Rollen geeignet ist, aber die Befürchtung, dass sie von ihrer Persönlichkeit her keine überzeugende Violetta abgeben könnte, hat sich bewahrheitet: Auch in dieser Inszenierung, die keines weiteren Wortes würdig ist, gibt eine junge, kraftvolle, durch und durch strahlend gesund wirkende Frau kein kränkelnde, zarte, filigrane Kurtisane ab. Und so erfreulich es ist, dass sich die meisten Sänger von heute lobenswert in die darstellerische Ausformung ihrer Rollen stürzten – es ist dennoch nicht unwichtig, wie man sie singt. Aleksandra Kurzak lässt, wenn sie sie durchhält, schöne Piani hören, kann die Koloraturen – und bietet den Rest der Rolle offensiv mit flackernder Stimme und einem gänzlichen Mangel an Feingefühl und Raffinesse an. Wenn eine Violetta ihren letzten Spitzenton im ersten Akt schwänzt, weiß sie, was sie tut – es sind auch andere Töne nicht völlig gut geraten.
Massimo Giordano passte zu seiner Partnerin – einige gelungene Höhen, nicht alle, ebenso offensiv mit flackernder Stimme, die innerhalb einer Phrase oft den Charakter und das Timbre wechselt. Natürlich sieht er – groß, schlank, im weißen Anzug – gut aus. Auch sie ist besonders ansehnlich. Der optische Eindruck übertraf bei beiden immer wieder einmal den akustischen.
Simon Keenlyside ist genau der Mann, die „Herumsteh-Partie“ des Vaters Germont interessant zu machen. Wenn er zu Violetta kommt, ist der gute Mann schlechtweg wütend, dass er sich da mit der Freundin (um nicht zu sagen: Nutte) des Sohnes herumstreiten muss, und er behandelt sie wirklich unschön. Als sie von ihm zum Dank für ihren Verzicht „als Tochter“ umarmt werden will und ihn ihrerseits umarmt, windet er sich vor Verlegenheit. Keenlyside schafft es, seiner Stimme in diesem Teil der Szene teilweise eine Art raues Bellen zu unterlegen, das besonders stark zu dem kontrastiert, was man dann hört: Denn der Mann ist nicht nur im Benehmen, sondern auch stimmlich wie verwandelt, wenn er mit seinem Sohn spricht, den er unbedingt wieder in den Schoß der Familie führen will. Da klingt das leierkastenartige „Di Provenza il mar il suol“ dann so sentimental-richtig, wie Verdi es als Beschwörung des Vaters angelegt hat.
Im übrigen wiederholt sich nach dem Rigoletto doch der Eindruck, dass Keenlysides Stimme einerseits für Mozart, andererseits für die Moderne geschaffen ist. Das Strömen der Verdi-Kantilene hat er nicht, er muss es „machen“, was ihm durchaus gelingt, wenn dabei auch manches Forcieren unvermeidbar ist. Aber ein Sänger muss sich entscheiden, und wer will ihm vorwerfen, dass er sich nicht in ein viel zu kleines Fach einsperren lassen möchte? Zumal er als Persönlichkeit ohnedies alles und alle in die Tasche steckt.
In den Nebenrollen sind Zoryana Kushpler, Donna Ellen und Dan Paul Dumitrescu von Anfang an in dieser Inszenierung dabei, und vor allem Zoryana Kushpler nützte die Möglichkeit, im Ballbild mit den Zigeunern (die hier natürlich keine sind) mitzutanzen, ihre Beine zu zeigen und aus ihrer undankbaren Rolle wenigstens ein paar Funken zu schlagen. Gabriel Bermúdez debutierte als Baron Douphol, da ist noch nicht viel zu sagen, weiters standen Jinxu Xiahou und Hans Peter Kammerer geringfügig erkennbar auf der Bühne.
Marco Armiliato, wie immer ohne Partitur, hatte einen rabiaten Abend, in dieser „Traviata“ ging es auch vom Orchester her heftig zu. Aber warum sollte es aus dem Orchestergraben „delizioso“ erklingen, wenn die Sänger nicht so singen? Eben. So heftig wie alles Gehörte fiel auch der Applaus aus, der nach ehrlicher Begeisterung klang.
Renate Wagner