DÜSSELDORF: Zurück zur Hausmannskost. „AIDA“ am 30.11.2014 (Premiere am 28.11.2014)
Kaum ist der Rheinoper mit der „Ariadne“ ein großer Wurf gelungen, folgt schon der Rückfall in biedere Hausmannskost. Das liegt nicht an GMD Axel Kober. Zwar mag man bemängeln, daß er die Akzente allzu sehr auf orchestrale Wucht und weniger auf feine leise Töne setzt. Das lag auch nicht an Gerhard Michalski, der mit der Einstudierung des Chores eine Mammut-Aufgabe zu bewältigen hatte. Angesichts der fast ständig überfüllten Bühne hatte man den Eindruck, als wären noch der letzte Extra-Chorist und die gesamte verfügbare Statisterie mobilisiert worden. Nein, der entscheidende Negativfaktor war die sängerische Besetzung. Unter Intendant Christoph Meyer spielt die Rheinoper zu oft langweiliges Ensemble-Theater. Immer dieselben Sänger werden fachübergreifend durchs Repertoire gescheucht, scheinbar ungeachtet der Frage, wo ihre besonderen Stärken oder Schwächen liegen.
In der neuen Produktion sind alle vier Protagonisten älteren Jahrgangs, sind auf der Zielgeraden ihrer Karriere oder eilen sogar dem Pensionsalter entgegen. Ihre Rollendebüts liegen dreißig Jahre plus/minus x zurück. Man kann sich schon gar nicht mehr daran erinnern. Für ein kleines Haus mag das angehen. Die Rheinoper gehört aber zu den Maßstäbe setzenden Opernhäusern Deutschlands. Warum werden nicht z.B. zwei interessante und bekannte Gäste durch zwei der zahlreichen jungen Talente aus dem Ensemble ergänzt? Gute junge Sänger hat die DOR dank ihrer unermüdlichen Talentsuche wahrlich genug.
Die relativ Jüngste ist mit einundfünfzig Jahren Morenike Fadayomi (Aida), die sich seit einigen Jahren ins schwere Fach vorgearbeitet hat, das aber nicht ganz ohne stimmliche Einbußen. Während ihr Sopran im Piano und Mezzoforte noch zu klangvollen Bögen in der Lage ist, wird er in den Ausbrüchen oder im Fortissimo brüchig. Radamès war Sergej Khomov, der seine Rolle wie immer solide beherrschte und über die Rampe brachte. Es fehlte jedoch einfach am mitreißenden tenoralen Schmelz. Susan Maclean hat zwar in Bayreuth schon die Kundry gesungen, im italienischen Fach wirkt sie vokal dagegen wenig geschmeidig und ist zudem tremologefährdet. Der vermutlich Älteste war Boris Statsenko, dem als Amonasro zwar nicht die Kraft fehlte, dem aber nicht mehr die belkanteske Linienführung wie früher zur Verfügung steht.
Thorsten Grümbel (König), Adrian Sampetrean (Ramfis) und Hubert Walawski (Bote) vervollkommneten das Ensemble, ohne besondere stimmliche Akzente zu setzen. Bleibt Eva Bodorová in der kleinen Partie der Sacerdotessa. Man muß leider feststellen, dass sie die Einzige war, deren jugendliche vokale Frische aufhorchen ließ. Zudem war ihr von der Regie wegen des Verzichts auf das Corps de ballet sozusagen eine Ein-Frau-Ballettszene „auferlegt“ worden, die sie elegant mit wehenden langen Haaren bis hin zu einer (überflüssigen) Masturbations-Szene umzusetzen verstand.
Die Inszenierung stammt von Philipp Himmelmann, einem eigentlich recht einfallsreichen Regisseur. Gleichwohl scheint ihm seine Konzeption in dieser Produktion irgendwie entglitten zu sein. Er hat zunächst die Handlung ins Jahr 1871 verlegt, sodass man in erster Linie europäisch geprägte großbürgerliche Strukturen im Kairo jener Zeit sieht. Dazu haben ihm Johannes Leiacker und Gesine Völlm ein zum Teil recht sehenswertes Bühnenbild bzw. liebevoll ins Detail gehende Kostüme nach Vorlagen aus der damaligen Zeit bereitgestellt. Dennoch fragt man sich, was das eigentlich soll. Wenn im Libretto von „Faraoni“ gesungen wird, hat das nichts mit dem Ägypten vor 150 Jahren zu tun. Da gab es schon seit rund 2000 Jahren keine Pharaonen mehr. Irgendwie bleibt deshalb auch der militärische Konflikt völlig im Unklaren. Seltsam sind zudem die persönlichen Beziehungen. Aida ist ein Dienstmädchen im Haushalt der Amneris, möchte sich aber gleichwohl ungeachtet aller Standesunterschiede an Radamès heranmachen. Das sieht Amneris nicht gern. Sie malträtiert deshalb ihr Dienstmädchen sogar körperlich. Wie man Radamès einschätzen soll, bleibt wiederum unklar. Ist er nun ein Emporkömmling ohne Stil oder eine bestimmende soziale Figur mit gutem finanziellem Hintergrund? Jedenfalls wirkt er so ältlich, dass die Begeisterung beider Damen für ihn kaum nachvollziehbar ist. Wer also beispielsweise die Veroneser „Aida“ von 1913, welche mittlerweile schon 101 Jahre lang erfolgreich auf dem Spielplan steht, zum Maßstab nimmt, wird restlos enttäuscht. Das galt wohl für den Großteil des Publikums. Das Werk war eigentlich nur noch musikalisch wiederzuerkennen. Der Rezensent vermag sich hingegen durchaus mit sogenannten modernen Regiekonzeptionen anzufreunden. Diese müssen aber wenigstens schlüssig sein. Wenn man zudem bedenkt, dass unsäglich viele Särge auf der Bühne herumstehen, ohne dass deren Notwendigkeit oder auch nur deren Sinn deutlich wird, hat auch das nichts mit dem ursprünglichen Werk zu tun. Falls der Regisseur damit Kriegsgreuel anprangern wollte, hätte es weit bessere Stilmittel gegeben.
Klaus Ulrich Groth