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WIEN/ Theater an der Wien: AMERICAN LULU

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TadW Olga Neuwirth AMERICAN LULU9.12.2014 (Premiere am 7.12.2014) –

American Lulu_Pressefoto2(c)Iko Freese
Claudio Otelli, Marisol Montalvo. Foto: Iko Freese/drama berlin.de

Nach der Uraufführung an der Komischen Oper Berlin 2012 wurde die Oper in einer anderen Inszenierung bei den Bregenzer Festspielen 2013 aufgeführt. Die Produktion der Uraufführung wird nun im Theater an der Wien als Gastspiel für drei Vorstellungen gezeigt.

Olga Neuwirth rollt ihre American Lulu vor dem Hintergrund der gewalttätigen Rassenunruhen des „civilrightmovements“, der „counterculture“ und der unterschiedlichen „liberationmovements“ in den USA der 50er und 70er Jahre des 20. Jhds. auf. Angeregt von Otto Premingers Film „Carmen Jones“ (1954) verlegte die Komponistin die Handlung ihrer American Lulu nach New Orleans und New York City.

Die Musik der beiden ersten Akte bearbeitete die Komponistin und instrumentierte sie neu. Den von Alban Berg unvollendet gebliebenen dritten Akt unterzog sie aber einer feministischen Revision, textete und vertonte ihn neu. Im Mittelpunkt soll offenbar die Nobelhure Lulu und ihr unentwegt auf- und absteigender Wert in einer notgeilen und gelangweilten Society sein. Als Antipodin wirkt da etwas aufgesetzt die Gräfin Geschwitz, die bei Olga Neuwirth zur Bluessängerin Eleanor mutiert. Lulu ist nun nicht mehr die Lolita-gleiche Kindsfrau, Spielball maskuliner Launen und Fantasien, sie wird das Opfer eines unaufgeklärten Mordfalles, ähnlich jenem der Rosemarie Nitribitt im Nachkriegsdeutschland des Jahres 1957. Wir werden aber nicht Zeugen dieses Mordes, sondern sehen lediglich eine Videoeinspielung ihres  blutgetränkten Leichnams.

American Lulu_Pressefoto4(c)Iko Freese
Marisol Montalvo. Foto: Iko Freese/drama berlin.de

Musikalisch gesehen hat Neuwirth die ersten beiden Akte von Alban Berg stark gekürzt, viele Jazzelemente eingefügt (Vater: Jazzpianist Harald Neuwirth, Onkel: Komponist und Musikwissenschaftler Gösta Neuwirth), die Streicher eher kurz gehalten und dafür die Blechbläser stark aufgewertet. Interessant an ihrer Neuinstrumentation ist die Verwendung der „Morton Wonder Organ“, einer Kinoorgel, um damit die in Alban Bergs Lulu Partitur bezeichnete Filmmusik authentisch erklingen zu lassen. Und eine Reminiszenz an das New Orleans von 1950, das Olga Neuwirth vorschwebte, ist auch die Zuspielung einer „Calliope“, einer Dampforgel, wie sie auf den Mississippi Dampfschiffen während der Fahrt gespielt wurde.

Etwas irritierend empfand ich freilich die Einspielung von Martin Luther King-Reden und eines gekürzten Gedichtes der afroamerikanischen Lyrikerin June Jordan (Rapeis Not a Poem) während der Oper, mögen sie vom politischen Standpunkt aus betrachtet durchaus berechtigt gewesen sein. Lulu, Geschwitz (Eleanor) und Schigolch (Clarence) sind bei Olga Neuwirth im New Orleans der 1950er Jahre folgerichtig zwei Afroamerikanerinnen und ein Afroamerikaner.

In jenen Tagen aber existierte noch nicht jene politische Korrektheit im Ausdruck (diese ist erst ein Produkt der 1980er Jahre infolge der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung!) und so wird selbst in der Oper der heutzutage politisch völlig inkorrekte Ausdruck „Nigger“ verwendet!

Der dritte Akt spielt dann bei Olga Neuwirth im New York von 1970. Lulu ist eine Nobelhure und erinnert in ihrem Outfit dennoch an Josephine Baker im Paris von 1925 in ihrer legendären Show „La Revue Nègre“(wieder politisch völlig inkorrekt, aber die Show trug damals eben diesen Namen!)!

 Und die Geschwitz/Eleanor bei Olga Neuwirth erinnert nicht nur durch ihre Frisur mit typischer afroamerikanischer Haarkrause (dieses Mal hoffentlich politisch korrekt formuliert?) frappant an Diana Ross, sie agiert auch als Bluessängerin, und damit hat es sich auch.Die Figur wird leider nicht weiter entwickelt. Nach Neuwirths Sicht wären beide Frauen in ihrer Kindheit von abgrundtief bösen Männern missbraucht worden, was aber in der Oper nicht weiter reflektiert, geschweige denn erwähnt wird. Nach einem kurzen zärtlichen und zugleich leidenschaftlichem Kuss, wie er ja zwischen Frauen schon einmal vorkommen kann, gehen sie wieder getrennte Wege…
Letztlich mag man in Schigolch (Clarence), wenn man will, rein äußerlich auch Ähnlichkeiten mit Jimi Hendrix sehen.

 Das Manko der Umdeutung der Wedekind/Berg-Lulu durch Olga Neuwirth besteht meines Erachtens darin, dass trotz englischem Text die beabsichtigte Bezugnahme auf die amerikanische Bürgerrechtsbewegung zu wenig greifbar wird. Sie wirkt daher wie ein aufgepfropfter Fremdkörper und ist dramaturgisch gesehen eigentlich entbehrlich. Diese amerikanische Lulu bleibt darüber hinaus in stereotypen Klischees (Straußenfedern, Glitzerslip) stecken und die sie umgebende Männerwelt weist zu wenig Eigenleben auf, um in dieser radikal gekürzten Fassung der Komponistin zu relevantem Eigenleben zu erwachen. Selbst der  Versuch eines feministischen Zugangs kann durch die Beziehung der beiden Frauen zueinander nicht wirklich spannungsreich beleuchtet werden und auch das große Thema des Antirassismus jener Zeit spart die Komponistin, von den eingestreuten und wenig zur Handlung beitragenden Texten von Martin Luther King und June Jordan (Rapeis Not a Poem) abgesehen, gänzlich aus. 

Dem russischen Theater- und Filmregisseur Kirill Serebrennikovgelang es ebenso wenig, den von der Komponistin beabsichtigten historischen Kontext plausibel in seine Inszenierung einzubauen. Sein Bühnenbild und seine Kostüme spiegeln die 1950er und 1970er Jahre einigermaßen wider und mit dem verglasten Restaurant und herumlungernden zwielichtigen Gästen wird  Edward  Hoppers Ölgemälde „Nighthawks“ (1942) zitiert.

DieVideoeinspielungen von Gonduras Jitomirsky verleihen dieser American Lulu zusätzlich nocheinen Film noir-touch.

Dirigent Johannes Kalitzke kann als „Neuwirth“-Spezialist angesehen werden, denn er hat bereits 1999 deren Oper „Bählamms Fest“ im Rahmen der Wiener Festwochen, 2003 „Lost Highway“ beim Steirischen Herbst und 2012 am Nationaltheater Mannheim Neuwirths Oper „The Outcast“ musikalisch aus der Taufe gehoben.

Marisol Montalvo hat bereits die Berg’sche Lulu in Paris gesungen und lieferte auch in der englischen Fassung eine sensible Charakterstudie der Nobelhure. Della Miles gefiel als Bluessängerin in Glitzerlook. Der aus dem Kamerun stammende Bassist Jacques-Greg Belobo ergänzte rollengerecht als Clarence.

Rolf Romei in der Doppelrolle als Jimmy (Alwa) und Junger Mann sowie Dimitry Golovnin als Painter unterlegten ihre jeweiligen Rollen mit ausdrucksstarkem Tenor. Bariton Claudio Otelliwar ein sonorer Dr. Bloom (Dr. Schön). Tadellos die beiden Bassbaritone Horst Lamnek als Athlet und Hans-Peter Scheidegger in der Doppelrolle als Professor / Banker. Frank Baer wirkte noch in der Minirolle des Commissioners mit.

Als tanzendes Lulu-Double konnte man schließlich noch Jane-Lynn Steinbrunn bewundern. Höflicher Applaus bedachte nach knapp 100 Minuten alle Mitwirkenden.                                                         

Harald Lacina

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