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LUXEMBURG/ Grand Theatre: ORFEO

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Luxemburg Grand Théatre ”ORFEO” 7.12.2014

02_Orfeo © Monika Rittershaus
Orfeo. Copyright: Monika Rittershaus

 An diesem trüben Sonntagnachmittag sorgte das Grand Théatre für die Imagination einer heilen, herrlichen, harmonischen Welt. Unwirklich schön, durch und durch ästhetisch, märchen- und mythenhaft, an- und berührend setzte Sasha Waltz die Geschichte des griechischen Musikers um. Man kann von einem Gesamtkunstwerk sprechen: Alle Künste, auch die modernen, spielen zusammen, ergänzen sich und  bilden so ein perfektes Ganzes.

Ein hohes und breites Konstrukt aus hellem Holz, zentral vor der Rückwand postiert, beherrscht die Bühne. Je nach Szene werden die einzelnen Bauteile verändert und somit schnell und effektiv der passende Rahmen geschaffen.  Die Bühne von Alexander Schwarz,    Architekt und Geschäftspartner von David Chipperfield, besticht durch eine klare Stringenz. Passend dazu die Kostüme von Beate Borrmann: hauptsächlich schlichte, einfarbige, lange Kleider für die Damen, schwarze Anzüge mit weißem Hemd für die Herren, in angedeutet historischen Kostümen erscheinen die Pastores und Spiritos. Das Orchester verteilt sich auf beide Seiten der Bühne, alle Akteure treten barfüßig auf, was eine unglaubliche “Leichtigkeit des Seins” vermittelt. Nach der pompösen Ouvertüre erzählen La Musica Anna Lucia Richter und Johanna Seitz an der Harfe in zarter, feiner Manier von der Person, um die es fortan geht. Den folgenden ersten Akt könnte man als Huldigung an die Musen und Ode an die Liebe bezeichnen. Das allgegenwärtige Glück, Harmonie und Einigkeit werden jedoch durch den bewegten, spannungsreichen Gesang der Botin, Charlotte Hellekant, mit dem sie vom Tod Euridices erzählt, abrupt beendet. Ihre Diktion und das Timbre ihres Mezzosoprans, Lautstärke und Nuancierung verleihen der Nachricht die adäquate Ausdrucksweise. Zurück bleibt ein gebrochener Orpheus, der sich von der Welt verabschiedet und dem Trauerzug verloren hinterher sieht. Sein Ziel, die Befreiung seiner Geliebten aus dem Reich der Schatten, fest im Blick, tritt er jedoch Caronte, dem Fährmann, sehr bestimmt gegenüber und pariert  ihn. Die Rolle des Caronte gestaltet Douglas Williams ausgesprochen sympathisch: Sich seiner Macht bewusst, zeigt er schließlich ganz menschliche Züge, was sich in der Tongebung und   -färbung widerspiegelt. Ausgezeichnet gelingen ihm auch die sehr tiefen Abschnitte. Orfeo verschafft sich Zutritt zur Unterwelt, man hat es auch nicht anders von ihm erwartet. Der Wiener Bariton Georg Nigl verfügt über eine unglaubliche Bühnenpräsenz. Ob unbekümmert verliebt, tieftraurig oder fest entschlossen – alles ist echt und authentisch. Ebenso wandlungsfähig ist seine Stimme, die Nigl mit Umsicht und Vorsicht einsetzt, die ihm aber auch kultiviert eruptive Ausbrüche gestattet.  Hinzu kommen ausgeprägte Fertigkeiten im tänzerischen Bereich. Wenn er sich in Gemeinschaft mit der Tanzcompagnie bewegt, vergisst man fast, dass er eigentlich Sänger  bzw. kein Tänzer ist. Das ist Hochleistung und der Protagonist der herausragende unter den vielen Stars des Abends. Selbstredend becirct er Proserpina, um die Rückgabe Euridices zu erreichen. Mit weiblicher Verführungskunst und klarem, reinem Gesang gleichermaßen erreicht Luciana Mancini dies bei ihrem Mann Plutone (Konstantin Wolff), der mit seinem ausgewogenem Bass-Bariton seiner Rolle die ehrwürdige, sonore Note verleiht und trotz seines Nachgebens seine Autorität wahrt. Apollo (Julián Millán) rundet das Geschehen ab, indem er seinen Sohn mit seinem warmen und vollen Bariton mit in den Himmel nimmt und so für ein glückliches Ende sorgt. Hochmotiviert und zu Bestleistungen entschlossen sind alle Künstler. Tänzer, Sänger und Orchestermusiker bilden eine Einheit, auch optisch, da auf derselben Höhe agierend. Nicht nur sängerisch, ebenfalls darstellerisch und als Tänzer agierend beeindruckt das Vocalconsort Berlin, das Sängerensemble ergänzen der Counter-Tenor Kaspar Kröner, Sopranistin Cécile Kempenaers und der kanadische Tenor Kevin Skelton kongenial. Das Freiburger BarockConsort, die Kammerformation des renommierten Freiburger Barockorchesters, entlockt den historischen Instrumenten fröhliche, klagende, laute und leise, teils ungewohnte Töne und ist Teil der Inszenierung, die Musiker wechseln immer wieder Positionen und mischen sich auch unter Tänzer und Sänger. Die musikalische Leitung hat Torsten Johann, der mit ruhiger Hand durch den Nachmittag führt. Sasha Waltz’ Raumkonzept ist abwechslungsreich und schlüssig. Gleiches gilt für ihre Regiearbeit und ihre Choreographie. Letztere erfüllt nicht die Funktion, den Inhalt der Oper zu illustrieren oder, da relativ gering, aufzupeppen, sondern ergänzt die Handlung durch ihre eigene Interpretation. Die Choreographie braucht die Oper nicht, und die Oper nicht die Choreographie. Sie stehen zueinander wie zwei eigenständige “Personen”, die ein starkes Team ergeben. Elf hervorragende Tänzerinnen und Tänzer aus aller Welt bilden Sasha Waltz & Guests. Sie faszinieren mit Elementen zeitgenössischen Tanztheaters sowie Figuren des klassischen Balletts. Alles fließt harmonisch, ohne Brüche, nichts erscheint überflüssig, Gesang und Tanz bilden eine so homogene Einheit, dass die Unterscheidung zwischen Tänzern und Sängern kaum mehr möglich ist. Martin Hauk (Licht) sorgt mit raffinierter Beleuchtung und Ausleuchtung der Körper für zusätzliche Effekte. Beeindruckend, was mit Licht machbar ist. Für Atmosphäre, stimmungsvolle Bilder und viel Licht und Weite sorgen auch die Videoprojektionen des finnischen Filmemachers, Künstlers und Architekts Tapio Snellmann. Ein heller, grüner Wald bietet den Hintergrund für das fröhliche, ausgelassene Geschehen zu Beginn, Orfeo mit dem Stab in der Hand vor der Projektion des Styx stehend, scheint direkt einem Bild von Caspar David Friedrich entsprungen. Alle Effekte sind frei von Kitsch und verstärken und verdichten Atmosphäre und Eindrücke. Sie tragen bei zum Gesamtkunstwerk, das eine Welt zeigt, die einfach zu schön ist, um wahr zu sein.

Musiktheater auf Weltniveau ist diese Produktion von Sasha Waltz & Guests in Koproduktion mit der Dutch National Opera Amsterdam, Les Théatres de la Ville de Luxembourg, Bergen International und dem Festival und Opéra de Lille. Das Publikum weiß es zu schätzen und goutiert die Leistungen mit stürmischem, lang anhaltendem Applaus.

Marianne Binzen

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