IM DIALOG MIT DER KLASSISCHEN TECHNIK
Grupo Corpo im Forum am Schlosspark am 10. Dezember 2014/LUDWIGSBURG
Copyright: José Luiz Pederneiras
Das fulminante Ensemble Grupo Corpo hat die Tänze Brasiliens auch in Ludwigsburg brillant auf die Bühne geholt. Bei “Sem Mim” (“Ohne Mich”) in der aufregenden Choreografie von Rodrigo Pederneiras rückten galicisch-portugiesische Frauenlieder aus dem 13. Jahrhundert in den bewegungstechnischen Mittelpunkt. Ihr Thema ist das Meer, dessen Wellen den Liebsten forttragen und wieder zurückbringen. Der Zyklus von Martin Codax beweint die Abwesenheit der Männer. Deren Ankunft wird herbeigewünscht, die Frauen werden zur Abkühlung ihrer Sehnsucht in die Fluten des Meeres geschickt. Das alles setzten die Tänzerinnen und Tänzer im Forum mit geradezu feuriger Eleganz um. So entstand ein rasanter Wechsel von Ruhe und Sturm, von Männern und Frauen, von Ebbe und Flut. Mittelalterliche Ornamente wirkten auf den grell beleuchteten Körpern wie archaische Tätowierungen. Stoffbahnen waren in einen riesigen Rahmen gespannt, sie senkten sich immer wieder in geheimnisvoller Weise. Große körperliche Vielfalt wurde hier sichtbar. Jeder Tänzer bewegte sich anders – aber die Idee der Gruppe ging nie verloren. Der subtile Dialog mit der klassischen Technik wurde so auf die künstlerische Spitze getrieben. Dafür sorgte auch die suggestive Musik von Carlos Nunes und Jose Miguel Wisnik nach Songs von Martin Codax. Die Kostüme von Freusa Zechmeister überraschten mit abwechslungsreichen Ideen. Und die Bühne von Paulo Pederneiras gefiel mit ausgeprägten Lichteffekten. In der Choreografie von Rodrigo Pederneiras überraschte auch das zweite Stück “Triz” mit der rhythmisch ausgesprägten Musik von Lenine und den Kostümen von Freusa Zechmeister aufgrund ihres schwarz-weiß gehaltenen Zuschnitts. Die Bühne wurde wieder von Paulo Pederneiras gestaltet (Licht: Paulo und Gabriel Pederneiras).
Copyright: José Luiz Pederneiras
“Triz” bedeutet im Portugiesischen eine Grenze. Im Klartext: Das Stück beschreibt die Gefahr einer Katastrophe, die dann glücklicherweise doch nicht eingetreten ist. Der Sound für “Triz” stammt von dem in Brasilien sehr populären Songwriter Lenine. Er hat ein Stück für Saiteninstrumente geschaffen, das ein Cello und den einsaitigen Musikbogen Berimba in raffinierter Weise verwendet. Die Kompanie reagierte auf diese Klänge höchst sensibel und präzis im Ausdruck. Von Grenzen handelt “Triz” auf mehreren Ebenen, was spannend anzusehen war. Lenine beschränkte sich in der Komposition auf ein Leitmoriv. Von der Balalaika bis hin zur Sitar werden alle spieltechnischen Möglichkeiten ausgereizt. Das Bühnenbild von Paulo Pederneiras macht diese Saiten in unheimlicher Weise sichtbar: Rund 15 Kilometer Stahlseil machen die Bühne zum Käfig, dem die Tänzerinnen und Tänzer zu entfliehen versuchen. Aus schwarzen und weißen Hälften setzen sich die Kostüme zusammen. Freusa Zechmeister brachte die Grenzen zwischen den einzelnen Körpern im Forum am Schlosspark zum Verschwinden. So spitzte sich die Situation bei der Vorstellung in Ludwigsburg immer mehr zu. Gleichzeitig wurde das Publikum Zeuge davon, wie man Grenzen überwindet. Dementsprechend enthusiastisch war dann der Schlussapplaus für dieses 1975 in Belo Horizonte im Südosten Brasiliens gegründete Spitzenensemble.
Alexander Walther