Frankfurt: „HR S.O. – ANDRÈS OROZCO-ESTRADA
PATRICIA KOPATCHINSKAJA“ 11.12.2014
Zum erfreulichen Wiedersehen mit Patricia Kopatchinskaja der „Artist in Residence“ beim HR-Sinfonieorchester präsentierte die kapriziöse Ausnahme-Geigerin das seltener gespielte „Violinkonzert“ von Igor Strawinsky in der AOF. Diese expressive Komposition aus dem Jahre 1931 voll suggestiver Harmonien, differenzierten Variationstechniken interpretierte Kopatchinskaja in bestechender Akkuratesse. Den neoklassizistischen, rhythmischen Intervallen begegnete die exzellente Solistin mit atemberaubenden Kadenzen und subtiler Auslotung. Vortrefflich begleitete das hessische Spitzenorchester unter der umsichtigen Leitung von Andrés Orozco-Estrada das tonale Klangbild mit den Bach´schen Bezeichnungen Toccata, Aria, Capriccio mit gelegentlichen, frei polytonalen Abweichungen.
Für die Bravostürme bedankte sich die exzentrische Künstlerin nach Ansage mit selbst variierten Kadenzen des zuvor gespielten Konzerts versehen mit Capricen von Bach.
Davor erklang in hinreißendem Orchestersound, impressionistischen Couleurs „Prélude á l´aprés-midi d´un faune“ (Claude Debussy) sinnlich, flüssig, flimmernd wie schwüle Sommerluft, wurde das Spiel des liebestollen Fauns mit den schönen Nymphen illustriert.
Magische Klangwelten präsentierte der neue Chefdirigent mit dem traumhaft musizierenden Klangkörper zur „Symphonie fantastique“ (Hector Berlioz). Dieses tonale Selbstbekenntnis, um den jungen Komponisten in seiner Liebe zur Schauspielerin Smithson, enthält sehr biographische Züge. Das einleitende Réveries-Passions schildert den jungen Mann, der sich in Einsamkeit melancholischen Träumereien hingibt sowie die erste Begegnung mit der Geliebten, dem keuschen Idealbild, des Erwachens der Leidenschaft, den Schmerzen der Liebe und der Eifersucht.
Orozco-Estrada lässt in schroffen Konturen ein opulentes Klangbild erstehen. Farbliche Tupfer, herrliche Streicherklänge im Dreivierteltakt dominieren bei Un bal, zur Begegnung des Anti-Helden mit dem Objekt seiner Begierden im Ballsaal. Scéne aux champs wird versüßt vom stimmungsvollen Hirtenlied der Oboe und des Englischhorns. Ruhig, im Einklang mit der Natur, genießt unser Schwärmer das schöne Lied der Schalmeien und der Hörer die wunderbaren Orchestrierungen, das herrliche Wechselspiel der Instrumente.
Vorahnende Stimmungen überfallen unseren Helden, die Sonne scheidet, ferner Donner kündet sich an, nahendes Unheil. Satt mächtig, voluminös formierten sich die Elemente der magischen Celli zur atemberaubenden Brillanz der Blechsegmente.
Alle Register virtuosen und instrumentatorischen Könnens zieht der versierte Dirigent mit dem transparent musizierenden Orchester zu den Klängen Marche au supplice sowie der Exekution.
Der finale Klangrausch zu Songe d´une nuit du sabbat übersteigt an Phanstastik und orgiastischen Eruptionen alles bisher Gehörte. Gellendes Gelächter der Klarinetten, ein Hexensabbat der Bratschen, Hohngeschrei der Bläser bilden die Versammlung von Gespenstern, als schauerliches Echo, des eigenen Begräbnis unseres „Helden“. In wildem Tanz entfesselt Orozco-Estrada nochmals die orchestralen Elemente, in Form einer grausig-verzerrten Groteske. Bisher zigmal live gehört, erlebte ich diese Symphonie derart aufwühlend und brillant interpretiert nie zuvor. Bravo!
Das Publikum schien meine Empfindungen zu teilen und feierte alle Beteiligten mit überschäumender Begeisterung.
Gerhard Hoffmann