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STUTTGART/ Schauspielhaus: DAS PARADIES DER DAMEN von Emile Zola. Premiere

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“Das Paradies der Damen” von Emile Zola im Schauspiel Nord Stuttgart: HERAUSFORDERUNG DURCH DAS WARENHAUS

Premiere von “Das Paradies der Damen” nach Emile Zola am 12. Dezember 2014 im Schauspiel Nord/STUTTGART

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Copyright: Bettina Stoess

Bemächtigen Sie sich der Frauen und Sie können die ganze Welt verkaufen”, lautet die Devise in Emile Zolas Roman “Das Paradies der Damen”, der jetzt als abwechslungsreich-ironisches Theaterstück in der Bearbeitung von Mareike Mikat zu sehen ist, die auch Regie führt (Bühne: Simone Manthey; Kostüme: Katharina Müller). Sandra Gerling mimt hier sehr einfühlsam und auch emotional Denise Baudu, die mit ihren beiden Brüdern Jean und Pepe (facettenreich: Christian Schneeweiß und Christian Czeremnych) im riesigen Paris des 19. Jahrhunderts erschöpft ankommt. Der von Horst Kotterba wandlungsfähig verkörperte Onkel Baudu steckt in der Krise seines Lebens, denn das gegenüberliegende “Paradies der Damen” macht dem armen Onkel (dessen kleiner Laden einem “Kellerloch” gleicht) starke Konkurrenz. Mareike Mikat macht diese Situation schnell zum alles beherrschenden Bühnenmoment, zumal Denise von diesem magischen Kaufhaus total fasziniert ist. Auf einer drehbaren Bühne wird dieser unheimliche Kaufpalast im Miniformat sichtbar, ist von innen her erleuchtet. Die Verkäuferinnen treten zu Beginn mit Mäuseköpfen auf. Das hinterlässt zuweilen sogar einen märchenhaften Eindruck, dessen Intensität sich ins Gespenstische steigert, wenn plötzlich das Licht ausgeht und Denise nur mit einer Kerze in der Hand auf der Bühne steht. Der plötzlich ins Leben von Denise tretende und von Matti Krause ebenso ausdrucksstark wie wandlungsfähig verkörperte Octave Mouret ist allerdings ein Frauenheld, der vor keiner Schürze Halt macht. Mit Hilfe seines Konsumtempels “Das Paradies der Damen” verdreht er der Damenwelt und natürlich auch Denise immer wieder gehörig den Kopf und bringt wirklich alles durcheinander: “Dieses Geschäft hier, das so plötzlich vor ihnen aufgetaucht war, dieses für ihre Begriffe ungeheuer große Haus, verursachte ihr Beklemmungen, hielt sie im Bann, aufgeregt, voller Interesse, alles Übrige vergessend.” Mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit setzt sich Mouret allerdings durch, seine Ideen verändern Stadt und Stadtbild. Die kleinen Läden und Verkaufsstände sterben – nur das schillernde Verkaufsmonstrum wächst und wächst. Eine entscheidende dramaturgische Wende kommt ins Stück, deren Situationskomik Mareike Mikat extrem ausreizt. Trotz des drohenden Bankrotts weiß Onkel Baudu zu kämpfen – und hat gegen Octave Mourets “Paradies der Damen” trotzdem keine Chance, weil man dort alles billiger bekommt. Denise beobachtet dies mit gemischten Gefühlen: “War es also wahr, dass der Tod notwendig war, um die Welt fett zu machen…” Octave Mouret, der sich an keine Frau binden will, ist von dieser Denise aber “bis aufs Blut gepickt” worden. Er hat sie in seinem “Paradies” eingestellt, sie wird aber aufgrund eines Missverständnisses wieder entlassen. Und sie entwischt ihm auf raffinierte Weise, doch er will sie wieder zurückgewinnen. Er holt Denise zurück ins “Paradies”, wo sie ihm als exzellente Arbeitskraft zur Verfügung steht und sich außerdem gegen ihre äusserst hartnäckigen Konkurrentinnen Madame Desforges (auch als Clara hervorragend: Abak Safaei-Rad) sowie Genevieve Baudu (ebenso ausgezeichnet als Madame Aurelie und Madame de Boves: Birgit Unterweger) durchsetzen kann. Dadurch entsteht bei der Inszenierung trotz mancher szenischer Durchhänger und Schwächen eine enorme Spannungskraft, die zum Gelingen der Aufführung entscheidend beiträgt. Es ist Mareike Mikat insgesamt gut geglückt, den Roman passend zu bearbeiten und seine Aussagekraft packend auf die Bühne zu zaubern. Man merkt, wie Denise heimlich selbst zum Teil dieses Systems wird, sich gar nicht mehr dagegen wehren kann. Mouret erwidert ihr nur kurz und bündig: “Ich kann Ihnen nur eine Rehabilitierung anbieten, Fräulein…” Und er verzweifelt an dieser “heiligen” Gestalt. So ist er gezwungen, eine neue Strategie anzuwenden, um sie wieder für sich zurückzugewinnen. Dies wird im zweiten Teil überhaupt zur stärksten Szene des ganzen Stücks, nachdem in Video-Einblendungen sogar das “Milaneo” in Stuttgart zu sehen ist. Bunte Tücher werden in riesigen Formaten über die gesamte Bühne gezogen – man beschwört eine regelrechte Kleiderorgie. Und die Damen geraten völlig außer Rand und Band. Schließlich gibt es doch noch ein Happy End: “Mouret war auf seinen Schreibtisch gesunken und saß mitten in der Million, die er nicht mehr sah. Er ließ Denise nicht los, er drückte sie fest an seine Brust und sagte zu ihr, nun dürfe sie abreisen, sie solle einen Monat in Valognes verbringen, was allen Leuten den Mund stopfen werde, und dann wolle er selber kommen und sie abholen, um sie an seinem Arm heimzuführen, sie, die Allmächtige.” Zuvor hat Sandra Gerling als Denise ihr Herz geöffnet, was glaubwürdig über die Rampe kommt: “Oh, Herr Mouret, Sie sind es doch, den ich liebe.” Mouret fällt vor Denise tatsächlich auf die Knie. Da gewinnt die Inszenierung intime Momente, die den vorherigen Lärm vergessen lassen. Auch die ironische Musik von Moritz Krämer passt sich dem Geschehen suggestiv an. Die Verschmelzung mit der neuen Welt und der anziehende Widerstand zwischen den handelnden Personen gehören zu den stärksten Momenten dieser Inszenierung. Dazu trägt der ausdrucksstarke und wandlungsfähige Darsteller Horst Kotterba zudem als Baron Hartmann und Madame Marty in fast schon satirischer Weise bei. Die französische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts wird hier bissig aufs Korn genommen, man echauffiert sich über “Kokotten”. Baron Hartmann erscheint als raffinierter und verschlagener Kreditgeber und Immobilienhändler in Frack und Zylinder, seine Auftritte werden immer wieder von kurzen Erzählmomenten unterbrochen. Überhaupt wird der krasse Gegensatz zwischen Onkel Baudu und dem Lebemann Octave Mouret als schillerndem Direktor des “Paradieses der Damen” grell herausgearbeitet. Birgit Unterweger kann als Madame Aurelie (Leiterin der Konfektionsabteilung) das Publikum aufgrund ihrer darstellerischen Präsenz immer mehr in ihren Bann ziehen: “Es gibt kein an der Reihe sein, hier habe nur ich zu befehlen. Warten Sie, bis Sie hinreichend Bescheid wissen, um bekannte Kundinnen zu bedienen.” Als Zuschauer spürt man bei dieser lebendigen Inszenierung immer mehr, wie das “Paradies” wächst. Auch die Demütigungen von Denise durch die rücksichtslosen Geschäftsfrauen werden von der Regisseurin Mareike Mikat turbulent herausgestellt. Da gewinnt Emile Zola als Schriftsteller eine geradezu groteske Komik, die man ihm gar nicht zugetraut hätte (Dramaturgie: Katrin Spira). Gelegentlich schimmert auch die frivole Welt der Lebedame “Nana” durch, ein Werk, mit dem Zola berühmt wurde. Fazit: Eine sehenswerte Inszenierung, weil man Zola hier von einer eher unbekannteren Seite zeigt.

 Alexander Walther
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