MÜNCHEN / Bayerisches Staatsballett: „PAQUITA“ Premiere 13.12.14
Nach „Le Corsaire“ im Jahr 2007 beschäftigt sich das Bayerische Staatsballett nun erneut mit der Rekonstruktion eines Ballettklassikers der Ära von Marius Petipa. Anders als bei „Le Corsaire“ war es jetzt bei „Paquita“ möglich, anhand der an der Harvard Universität vorhandenen Notationen nahezu die gesamte Petipa-Choreographie von 1881 zu rekonstruieren, so dass das Publikum unverfälschten klassischen Tanz, wie er zur Zarenzeit in St. Petersburg üblich war, zu sehen bekommt. Für die Inszenierung der Originalchoreographie konnte Alexei Ratmansky, ehemaliger künstlerischer Leiter des Bolshoi-Balletts und weltweit gefragter Choreograph gewonnen werden. Er widmete sich der Aufgabe mit großer Hingabe, einem immensen Wissensschatz und Liebe zum klassischen Ballett. Unterstützt wurde er von Balletthistoriker Doug Fullington, der durch seine Kenntnisse der Stepanov-Notation, in der die Dokumente aus Harvard geschrieben sind, auch schon die „Corsaire“-Einstudierung in München mit ermöglicht hatte. Das Ergebnis der Arbeit Ratmanskys, Fullingtons und ihres Teams (Bühne/Kostüme: Jérôme Kaplan, musikalische Einrichtung: Maria Babanina) ist ein Stück, das für Ballettexperten wie für gelegentliche Besucher gleichermaßen interessant ist. Für die einen ist es gelebte Ballettgeschichte, für die anderen ein farbenfroher Abend mit einer heiteren Geschichte und funkelndem klassischen Tanz. Ein besonderes Merkmal der Handlungsballette Ende des 19. Jahrhunderts sind die ausgeprägten Pantomime-Szenen.
Die Tänzer des Bayerischen Staatsballetts, allen voran natürlich die Protagonisten Daria Sukhorukova als Paquita, Tigran Mikayelyan als Lucien und Cyril Pierre als Bösewicht Inigo hatten sichtlich Spaß daran, die Geschichte der Zigeunerin Paquita, die sich am Ende als Edelfräulein entpuppt und nach einigen Wirren ihren Geliebten Lucien heiraten kann, mimisch zu erzählen. Dabei gelang es ihnen, ihrem Spiel Witz, Temperament und Wärme zu geben, so dass ihre Gesten niemals antiquiert oder gar lächerlich wirkten. Natürlich gab es neben den großen Pantomime-Szenen auch virtuosen Tanz. Die Originalchoreographien Petipas wirken auf den heutigen Zuschauer doch manchmal etwas ungewohnt, liegt die Betonung doch weniger auf großen, raumgreifenden Bewegungen, als vielmehr auf kleinen, flink auszuführenden Schrittfolgen mit vielen Battérie-Verzierungen. Daria Sukhorukova meisterte diese hohen technischen Anforderungen mit Bravour, so dass ihre Variationen blitzten und funkelten. Auch Katharina Markowskaja und Mai Kono konnten im bekannten Pas de trois ihre Fähigkeiten als anmutige, technisch versierte Ballerinen voll ausspielen. Die Tänzerinnen der Variationen im Grand Pas waren ebenfalls gut, fühlten sich mit dem Original-Stil aber vielleicht noch nicht hundertprozentig vertraut, so dass hier noch etwas Verbesserungspotential für weitere Vorstellungen ist. Da im Ballett der Zarenzeit die Ballerina absoluter Mittelpunkt des Interesses von Choreograph und Publikum war, gibt es in Paquita für männliche Tänzer nicht viel zu tun, aber wenn, dann mit hohen technischen Anforderungen. Javier Amo meisterte seine Variation im Pas de Trois sehr gut. Tigran Mikayelyan tanzte die Variation des Lucien im Grand Pas mit Leichtigkeit, Eleganz und Brillanz, wie man dies von ihm gewohnt ist. Dirigent Myron Romanul, der auch für die Revision der Orchestrierung und Neuinstrumentierung der Musik von Edouard Delvedez, Ludwig Minkus u.a. verantwortlich ist, und das Bayerische Staatsorchester spielten die schwungvolle Musik mit Temperament, aber auch Finesse. Am Ende lang anhaltender Applaus für alle Beteiligten zum Dank für die gelungene Rekonstruktion einer verloren geglaubten Choreographie, aber auch mit einem unausgesprochenen Dank an Menschen wie Agrippina Waganova und Konstantin Sergeev, die das klassische Ballett der Zarenzeit weiterentwickelt haben, indem sie es schnörkelloser und damit eleganter gemacht haben, und auch an Rudolf Nurejew der dem männlichen Tänzer zu mehr Bedeutung verholfen hat.
Gisela Schmöger
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Foto 1 – Sukhorukova/Mikayelyan
Foto 2 – Ensemble
© Charles Tandy
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