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DRESDEN / Semperoper: 6. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STATSKAPELLE / Thelemann / Znaider

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Dresden / Semperoper: 6. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT CHRISTIAN THIELEMANN UND NIKOLAJ ZNAIDER – 8.2.2015

 

Ähnlich wie beim 5. Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden standen auch im 6. Symphoniekonzert 2 Werke der beiden russischen Komponistenpersönlichkeiten Dmitri Schostakowitsch und Pjotr I. Tschaikowsky auf dem Programm.

 Das Publikum war an diesem Sonntagvormittag nicht gerade sehr konzentriert. Da klingelte ein Handy, da “ist etwas zu Boden gefallen” – ziemlich geräuschvoll -, aber umso konzentrierter waren Dirigent, Solist und Orchester. Sie vertieften sich ganz in die beiden aufzuführenden Werke, zwei sehr persönliche symphonische Bekenntnisse dieser beiden Komponisten zwischen Leben und Tod.

 Zwischen Temperament und Sensibilität, Bedrängnis und Hoffnung, Ernst und Klangschönheit bewegte sich Dmitri Schostakowitschs “Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a‑Moll“ (op. 77) in der meisterhaften Interpretation von Nikolaj Znaider und der Sächsischen Staatskapelle unter der intensiv gestaltenden Leitung von Christian Thielemann.

 Znaider vertiefte sich voll und ganz in die Geisteswelt dieses, in den für Schostakowitsch schwierigen Jahren 1947-48 (nicht den einzigen dieser Art) entstandenen, Violinkonzertes, und die Kapelle „ergänzte“ in idealer Weise den Solopart zu einem einheitlichen Ganzen. Mit männlich-herzhaftem Strich, aber auch großer Sensibilität brachte Znaider die schmerzlichen Gegensätze in diesem Werk zum Ausdruck, in dem Schostakowitsch den Nachwirkungen der Schrecken des 2. Weltkrieges und dem beginnenden “Bannstrahl der sowjetischen Kulturideologie” seinen Überlebenswillen durch “Tanzen und Spielen gegen den Tod” entgegenzusetzen sucht, oder ist es nur ein “die Botschaft“ (eines normalen Lebens) „hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube” vergleichbar Goethes “Faust”?

Angesichts der technischen Perfektion Znaiders erschien der damalige Vorwurf, Schostakowitschs Musik sei “übermäßig kompliziert”, absurd. Hier war trotz der ungeheuer  dichten, konzentrierten Musiksprache keine Spur von Schwierigkeiten zu hören. Hier war die technische Seite das Fundament, auf dem Znaider die geistige Problematik und seelischen Empfindungen des Komponisten erstehen ließ und die Zuhörer mit hineinnahm in diese Welt voller Widersprüche, Schmerz und Trauer, in der ein menschliches Individuum unter schwierigsten Bedingungen um sein Überleben kämpft. Allein die wenigen, mehr zweifelnd, als “verspielten”, Takte am Ende des 1. Satzes stimmten sehr nachdenklich.

 In dieser “Symphonie mit obligater Violine” behielt die Solovioline im genau richtigen Verhältnis ihre dominierende Rolle und gab, in besonderer Harmonie mit dem Orchester die geistige Richtung vor, ergänzt und „untermauert“ durch eine mit sehr viel Feingefühl mitgestaltende Pauke, deren Schläge im genau richtigen Maß einsetzten. Znaider steigerte sich in seinem Solopart bis zur souveränen Kadenz, bei der „viele Stimmen mitschwangen“. Das danach wieder mächtig einsetzende Orchester bestach durch seine ausgewogene Harmonie zwischen den exzellenten Bläsern und Streichern. Diese feinen Abstimmungen und das immer wieder begeisternde Zusammenwirken der einzelnen Instrumente und Instrumentengruppen untereinander und mit dem Solisten, bei dem die Orchestermusiker mit ihrem großen Können dem Solisten immer den Vorrang ließen und ihn im richtigen Maß ergänzten und unterstützten, ließen die besonderen Merkmale der Kapelle, das Einmalige und ihre Unverwechselbarkeit erneut bewusst werden.

 Als Zugabe ganz anderer Art überraschte Znaider mit “mal etwas Neuem” für ihn, wie er betonte, dem polyphonen “Largo” aus Sonate III für Violine solo von J. S. Bach, das er ausgeglichen in „echt“ Bachscher Harmonie bot, ein kleiner musikalischer Extragenuss.

 Ganz anders als bei Schostakowitsch, aber ebenfalls zwischen Leben und Tod bewegt sich P. I. Tschaikowskys “Symphonie Nr. 6 “Pathétique” (op. 74), seine letzte Symphonie, sein “Schwanengesang” und sein “eigenes Requiem”. Während Schostakowitsch trotz lebensbedrohlicher Schwierigkeiten mit vager Hoffnung um sein, auch geistiges, Überleben kämpft, schien der Tod für Tschaikowsky unausweichlich. Trotzdem lag bei dieser Aufführung unter Thielemann so viel Schönheit in diesem Abschied vom Leben, dass dieser umso schmerzlicher erschien. Es war ein Nachempfinden der Nähe des Todes mitten im Leben.

 Die Tragik schwang in der geistigen Durchdringung des Werkes vor allem unterschwellig mit, innerlich aufgeregt, aufgewühlt im “Sturm der Gefühle” einer russischen Seele. Hier schlug auch die Pauke stärkere Töne an, die hier angebracht waren und die dramatische Zuspitzung unterstrichen. Thielemann legte seine Interpretation “großräumig” an, in gewaltigen Dimensionen, die das Ausmaß dieses inneren Kampfes in der Auseinandersetzung von Leben und Tod sehr deutlich werden ließen. Hier fielen die sprichwörtlich sehr guten Bläser der Kapelle auf. Die äußerst zuverlässigen, immer akribisch mitgestaltenden Streicher der Kapelle sind schon zur Selbstverständlichkeit geworden. Diese bis ins Detail abgestimmte, ausgewogene Aufführung machte trotz der Betonung der Schönheit in dieser Symphonie auch betroffen, was in dem ungewöhnlichen Ausklingen im Finale, nach dem Thielemann leise, sehr langsam seinen Dirigentenstab sinken ließ, einen sehr eindrucksvollen, adäquaten Ausdruck fand.

 Ingrid Gerk

 

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