Zürich Opernhaus: „JULIETTE“ von Bohuslav Martinu. Premiere am 14.2.2015 – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit…
Annette Dasch, Joseph Kaiser. Foto: Monika Rittershaus
Wenn zum Schluss des langen Opernabends sich wieder dieselbe Situation ergibt, indem Michel, die Hauptfigur, sich wiederum in der Bibliothek einfindet, wo Leute in Büchern lesen und sich an nichts mehr erinnern können, dann kann die „trauma“-tische Geschichte wieder von Neuem beginnen. Ein Ausweg aus diesem Traum ist nicht möglich. Wir bleiben in unseren Träumen gefangen. Und das thematisierte Vergesssen: ja, ohne eine Erinnerung an seine Vergangenheit ist man ein Nichts. Und deshsl sind alle „auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ – fast wie Marcel Proust. So geschieht es, dass die an und sich für netten Bewohner und Bewohnerinnen des kleinen Städtchens Michel bedrängen, ihnen ein Stückchen Erinnerung abzuringen. Da Michel, der sein Gedächtnis noch nicht verloren hat, siuch an eine Spielzeug-Ente, also an eine Begebenheit aus seiner Kindheit, erinnern kann, wird er gleich zum Kapitän dieses merkwürdig schlaftrunkenen Städtchens gekürt. Er ist ja zurückgekommen, weil er sich an ein wunderschönes Mädchen erinnern kann, ihre Stimme immer wieder hört, und die er auch wieder findet, die sich aber – Sie haben’s erraten – an nichts erinnern kann. So ist das grosse Liebesduett ein Hin und Her über Erinnerungen und wem sie eigentlich gehören. Immer wieder ergeben sich witzige Situationen, so wenn Michel zum Kapitän erkoren wird, weil er sich eben an seine Spielzeug-Ente erinnern kann. Der Chor stimmt sodann eine Fuge über „quing – quing“ an, kann sie aber nicht „durchführen“, da sie sich nicht mehr an den Anfang erinnern kann: sehr witzig! Das ergibt aber auf die Dauer keine Handlung, keinen dramaturgischen Faden. Und im 3. Akt zieht sich das erstmalig in Zürich aufgeführte Werk von Bohuslav Martinu leider sehr in die Länge. Eigentlich ist ja „Juliette ou la clé des songes“, also“ Juliette oder der Schlüssel zu den Träumen“, gar keine Oper, sondern eine Unmöglichkeit des französischen Surrealismus, wo Breton einst die strikte Trennung der Künste eingefordert hatte – dies eben im Gegensatz zum Wagnerschen Gesamtkunstwerk, wo sich ja alle Künste zu einem Ganzen vereinen sollten (auch ein Irrtum?…).
Intendant Andreas Homoki und GMD Fabio Luisi haben sich die Aufführung dieses Werks zur „Chefsache“ gemacht. Bei Bühne und Kostümen (Christian Schmidt) wurden wahrlich keine Kosten gescheut: eine Lokomotive taucht auf und fährt durch die Bibliothek und der Schiffsbug eines Ozeandampfers bricht durch die Tür herein. Und Fellinis Film „E la nave va“ lässt grüssen…
Im Hauptdarsteller des Michel hatte man im Kanadier Joseph Kaiser einen idealen Darsteller gefunden. Er erinnert manchmal in seiner Körpersprache an einen der psychisch komplizierten Film-Figuren eines Woody Allen. Joseph Kaiser wird den enormen Ansprüchen der Gesangspartie mehr als gerecht und vermag am Schluss noch mit sicheren Stentortönen zu beeindrucken. Leider aber vermag diese Martinu’sche Figur letztlich nicht zu fesseln; ihre Probleme sind einfach nicht die unsern und eine Empathie kann man eigentlich zu ihr nicht entwickeln. Er nervt sogar in seiner Unentschlossenheit, aber das mag gerade der „Witz“ dieser Traumfigur zu ein. Annette Dasch verkörpert sein „Objekt der Begierde“ und sie tut das auf sehr schöne Weise. In Anlehnung an die schöne Ingrid Bergman gestylt, singt sie mit schönen Spitzentönen und in gutem Französisch, wie das überhaupt das ganze Ensemble erfolgreich tut. Herausragend ist der junge Airam Hernandez in vier Episoden-Rollen, denen er mit Leben und Witz und dazu einer schönen Stimme Bühnenpersönlichkeit verleihen kann. In weiteren Rollen waren alle gut bis hervorragend besetzt: Li Shi als junger Matrose, Pavel Daniluk als Schwert fuchtelnder alter Matrose, Rebeca Olvera als Vogel- und Judit Kutasi als Fisch-Verkäuferinnen. In weiteren Rollen seien lobend erwähnt Alex Lawrence, Alexei Botnarciuc, Irène Friedli, Reinhard Mayr und Dara Savinova, wobei insbesondere Martin Zysset als skurriler Beamter an eine Figur aus der Traumwelt Kafkas erinnerte. Der Chor war hervorragend geführt und einstudiert (Ernst Raffelsberger). Die Philharmonia Zürich unter ihrem Chef Fabio Luisi spielte auf höchstem Niveau und wirklich hinreissend gut. Alle Klang-Raffinesse wurde aus dieser Partitur herausgeholt. Luisi führte sein Ensemble „sicher und fest“ durch die schwierige Partitur. Ein interessante Begegnung mit einem Rand-Werk des Opern-Repertoires: bei aller Hingabe wird es das wohl auch so bleiben…Leider.
John H. Mueller