Megaro Mousikis, Athen: WIENER PHILHARMONIKER/ GATTI – Konzert vom 16. Februar 2015 . Nachstehendes Interview am 17.2.2015
Brahms als Klangwunder. Ein Konzert- und Lagebericht aus Athen
von Ingo Starz
Das Athener Musikzentrum Megaro Moussikis gehört zu den grossen Konzerthäusern Europas, obschon der Ort keine starke Tradition im Bereich der klassischen Musik aufweist. Highlight der Saison waren nun zwei Gastauftritte der Wiener Philharmoniker mit den vier Symphonien von Johannes Brahms. Sie bescherten dem Veranstalter ein volles Haus und dem Publikum ein betörendes Klangerlebnis in einem akustisch hervorragenden Saal.
Die Philharmoniker traten unter Leitung von Daniele Gatti auf und brachten am zweiten, besuchten Abend die Symphonien 2 und 4 von Johannes Brahms zur Aufführung. Schon nach kurzer Zeit war klar, worauf sich das Interesse des Dirigenten in erster Linie richtete: auf einen detailverliebten, puren Wohlklang. Dem hatte sich alles andere unterzuordnen. So geriet etwa der 1. Satz der zweiten Symphonie zu theatralisch und dabei wenig akzentuiert. Im zweiten Satz konnte man die Klangschönheit von Celli und Horn bewundern, wenn das Grundmotiv von den Streichern zum Soloinstrument wechselt. Das war in der Tat grossartig gespielt. Zum tänzerischen dritten Satz fiel Gatti wenig ein – die einzelnen Teile, die wie Ländler, Galopp und Walzer anmuten, blieben vage im Ausdruck. Der energische Ausdruck des Finales kam dem Dirigenten offenkundig mehr entgegen. So fand die zweite Symphonie zu einem eindrucksvollen Ende, bei dem die sauber intonierenden Blechbläser herausstachen.
Nach der Pause folgte die vierte Symphonie, die einen ähnlichen Eindruck hinterliess und doch insgesamt besser geriet. Wiederum konnte man die ausserordentlichen Qualitäten eines Spitzenorchesters bewundern, ohne eine gewichtige Interpretation zu vernehmen. Der von Gatti weichgezeichnete 1. Satz liess wenig von der Spannung zwischen lyrischem Haupt- und dramatischem Seitenthema spüren. Das folgende Andante moderato vermochte dank des wunderbaren Streicherklangs – etwa da, wo die Geigen eine Kantilene der Celli umspielen – Eindruck zu machen. Die trubelartige Stimmung des 3. Satzes setzte Gatti durchaus überzeugend um. Das Zusammenspiel von Piccoloflöte, Triangel und Klarinetten war packend, die Hörner spielten prächtig auf. Schliesslich gelang es dem Dirigenten im letzten Satz, wo Brahms ein Thema aus der Bachkantate „Nach dir, Herr, verlanget mich“ (BWV 150) aufgreift, in gelungener Weise Dramatik aufzubauen. Das Ende der Symphonie in e-moll hätte akzentuierter, schroffer ausfallen können, Eindruck machte es gleichwohl. Orchester und Dirigent wurden stürmisch gefeiert.
Als Zugabe gab es keinen musikalischen Gruß aus Wien, sondern das Vorspiel zum dritten Aufzug von Richard Wagners „Meistersingern“. Nicht anders als bei Brahms, sorgte Gatti wiederum für eine äusserst klangschöne Umsetzung. Und zugegeben: Die zart anmutenden Töne, die er den formidabel aufspielenden Philharmonikern entlockte, vermochten hier wirklich zu berühren. So klang das Gastspiel aus Wien leise und innig aus.
Am Folgetag hatte der Verfasser Gelegenheit, mit Thanasis Apostolopoulos, dem Assistenten des künstlerischen Direktors am Megaro Moussikis, zu sprechen. Apostolopoulos gab zunächst einen kurzen Abriss der Geschichte des Hauses, das sich der Initiative der Athener Freunde der Musik und namhafter privater Mittel verdankt. Nachdem das Gebäude ein paar Jahre unvollendet brach lag, wurde das Megaro Moussikis nach finanziellem Einspringen des Staats 1991 mit zwei Konzertsälen eröffnet: dem Christos Lambrakis-Saal (2000 Plätze) und dem Dimitri Mitropoulos-Saal (500 Plätze). Ein Erweiterungsbau fügte dem Ensemble 2004 ein Theater, das auch von der Griechischen Nationaloper genutzt wird, und einen multifunktionalen Raum hinzu. Die Idee dahinter war, nun auch Räumlichkeiten für Kongresse und andere Veranstaltungen zu haben. Die gewaltigen Ausmasse des Megaro Moussikis machen den Betrieb in Zeiten der Krise schwierig. Erhielt man vom Staat einst 11-12 Mio. Euro an Subvention, so sind es heute gerade noch 3 Mio. Euro. Ohne die zahlreichen Sponsoren und privaten Mäzene liesse sich der Betrieb des Hauses nicht aufrecht erhalten.
Ein Gastspiel wie das der Wiener Philharmoniker ist in jeder Hinsicht eine Ausnahme. Die hohen Kosten hierfür werden wesentlich durch Gelder reicher Auslandsgriechen gedeckt, gleichzeitig sind die Eintrittpreise deutlich höher als üblich (bis 80 Euro). Am Schluss ist der grosse Konzertsaal voll besetzt, was tatsächlich nur ein solches Spitzenorchester schafft. Wenn das hier ansässige Athener Staatsorchester auftritt, finden sich in der Regel 500-600 Zuschauer ein. Das dies ein Problem darstelle, räumt Apostolopoulos sofort ein. Im Grunde sei die ganze Anlage für Athen überdimensioniert und im Unterhalt kaum zu finanzieren. Dieser Sachverhalt hätte sich mit der Krise erheblich verschärft. Um nicht Besucher zu verlieren, hätte man die Eintrittspreise senken müssen. Gleichzeitig seien die Bemühungen verstärkt worden, neues Publikum zu gewinnen. Erste Erfolge würden sich zeigen, etwa bei Musiktheaterproduktionen für Kinder oder jüngst bei einem Barockkonzert, das mit einer Tanzparty gekoppelt worden sei. Wie andernorts auch, kreiert man also neue Angebote, um möglichst viele Publikumsschichten zu erreichen. In Athen geschieht dies jedoch mit geringen finanziellen Mitteln, was einem umso mehr Achtung vor der unterbesetzten Belegschaft des Konzerthauses abringt.
Thanasis Apostolopoulos schätzt das Potential für Symphoniekonzerte im Christos Lambrakis-Saal auf 1000 Zuschauer (dann wäre er immerhin halb voll). Bis eine solche Zahl erreicht wird, bedarf es wohl noch einiger Anstrengungen. Im Gespräch ist aber zu spüren, dass die Konzertmacher in Athen der Krise ideenreich und engagiert trotzen. Die Palette an Konzerten, die mir Apostolopoulos beispielhaft nennt, ist eindrücklich. So gibt es in den nächsten Wochen eine zweitägige, dem Klavierwerk gewidmete„Chopiniade“, ein Gastspiel des Nederlands Dans Theater, Auftritte des Athener Staatsorchesters oder Konzerte mit jungen, künftigen Stars. Man kann dem Megaro Moussikis angesichts solcher Programmpolitik nur eine erfolgreiche Zukunft und mehr internationales Publikum wünschen. Die Devise, die Apostolopoulos ausgibt, dass man Risiken eingehen müsse, um das Publikum der Zukunft zu erreichen, möchte man manchem Konzertveranstalter im westlichen Europa ins Stammbuch schreiben.
Ingo Starz