Bonn: Les Pêcheurs de Perles (Die Perlenfischer) Konzertante Aufführung 28. Februar
Um die „Perlenfischer“ ist es aufführungsstatistisch gar nicht so schlecht bestellt; szenische Aufführungen fanden und finden aber durchgehend im Ausland statt (2014: Albuquerque/USA, Parma, Nancy, Salt Lake City). Die Diskografie von Gesamtaufnahmen (beginnend mit einer Bolschoi-Produktion von 1950) ist durchaus stattlich zu nennen, wurde zuletzt durch zwei Livemitschnitte von 2004 aufgefüllt. Schlagzeilen machte im vergangenen November die Inszenierung im Theater an der Wien, u.a. wegen Diana Damraus Leila, aber auch wegen der Inszenierung von Lotte de Beer. Sie machte – orientalischen Romantizismen zu Recht misstrauend – aus der Ceylon-Story eine moderne Reality-Show. In ihrer Premierenkritik befand Renate Wagner an dieser Stelle: „Natürlich muss eine solche ‚Übersetzung‘ nicht jedermann überzeugen, aber sie funktioniert zumindest auf weite Strecken durch klare, intelligente Durchführung.“ Ob man dieses differenzierte Lob auch anderen Aufführungen nachsagen darf?
Vielfach wird bei schwierigen Werken das Wagnis einer szenischen Interpretation erst gar nicht eingegangen und lieber die Form einer Konzertaufführung gewählt. Das ist durchaus gut zu heißen, doch unterstreicht eine solche Entscheidung zwangsläufig den teil-musealen Charakter des Genres Oper. Aber mit dem gilt es nun einmal bei allen Ringen um Innovatives zu leben. Und wenn der Verzicht auf Optik einen Gewinn an musikalischen Eindrücken bedeutet, kann das sogar als Vorteil angesehen werden, bis irgendwann ein teurer Held zu neuen Bühnen-Taten aufbricht. Die Oper Bonn entschloss sich zu einer szenelosen Aufführung (freilich garniert mit einigen historischen Landschaftsprojektionen), Neustrelitz folgt diesem Beispiel in wenigen Tagen. Der durchgehende Monatsabstand der Konzerte in Bonn (bis 4.4.) führte dazu, dass vom Rezensenten erst das dritte am 28. Februar besucht werden konnte. Der Abend versammelte – wie Unterhaltungen im Publikum zu entnehmen war – etliche Fans der Interpreten, aber wohl auch des Werkes.
Bizet ist in der Gunst der musikalischen Öffentlichkeit schon lange nicht mehr ausschließlich auf „Carmen“ festgelegt, auch wenn die extreme Popularität dieses Reißers natürlich unschlagbar bleibt. Aber es gibt ja noch „L’Arlésienne“, die wunderhübschen „Jeux d’enfants“ oder auch die erst spät entdeckte C-Dur-Sinfonie, welche mittlerweile Kultstatus besitzt. Aber auch die „Pêcheurs“ stehen – wie bereits angemerkt – durchaus günstig in der Gunst des Publikums.
Sieht man von der etwas schmonzettigen Handlung und Sentimentalitäten in der Dramaturgie ab, wie sie – so Winton Dean, Herausgeber des bis heute verbindlichen Bizet-Werkverzeichnisses – „nur in einem billigen Hollywood-Film erträglich wäre – geht einem die Dreiecksgeschichte mit ihrem Lavieren zwischen Liebesleidenschaft und Freundestreue durchaus nahe. Zudem ist die Oper nachgerade verschwenderisch ausgefüllt mit melodischen Kostbarkeiten und eingehüllt in ein oft richtiggehend benebelndes Klangparfüm. Damit soll übrigens keineswegs nur das Freundschafts-Duett und die Nadir-Romanze angesprochen sein. Das Duett nota bene wich in Bonn am deutlichsten von der vertrauten Version ab. Wie nahe sich die Aufführung insgesamt am (nur per Klavierauszug überlieferten) Bizet-Original bewegte, war nicht zweifelsfrei auszumachen. Immerhin wurde auch das von Benjamin Godard nachkomponierte Schlussterzett (auf Basis des Duetts „O lumière saint“) eliminiert. Über eine szenische Lösung für die sich zuletzt überstürzenden Schicksale (die Aufführungsgeschichtet bietet alles Mögliche zwischen Scheiterhaufen für Zurga und Freitod von Leila) war freilich günstigerweise nicht zu entscheiden.
Der junge österreichische Kapellmeister JOHANNES PRELL warf sich mit vollem Körpereinsatz auf die Musik, so dass vor allem die dramatischen Impulse der Oper bestechend zur Geltung kamen. Bei den delikateren Passagen gab es beim BEETHOVEN ORCHESTER hier und da Abstriche zu machen, und die Chor-Soprane hatten einige Mühe in der hohen Grenzlage. Sympathisch übrigens, dass die beiden führenden Geiger nach der Pause (mitten im 2. Akt, gleichwohl eine tolerable Entscheidung) ihre Konzertmeisterplätze tauschten.
In der erst kurzen Zugehörigkeit zum Bonner Opernensemble hat sich die Koreanerin SUMI HWANG offenkundig zu einem Publikumsliebling gemausert. Dass man ihr Ende März einen Liederabend mit Helmut Deutsch am Klavier einräumt, kennzeichnet eine besondere Wertschätzung auch seitens der Theaterleitung. Bereits in Händels „Rinaldo“ erfreute die Sopranistin durch Gesang und reizende Bühnenerscheinung. Ihre Leila erinnert ein wenig an die von Janine Micheau (Aufnahmen 1959 unter Manuel Rosenthal, 1960 unter Pierre Dervaux). Will sagen: beweglicher und bewegender Gesang, freilich (noch) nicht mit letzter Koloraturfinesse und ein hohes D gerade mal erreicht. Doch die lyrische Qualität der Interpretation war schon enorm, die charmante Ausstrahlung (unterstützt vom orientalisierenden Kostüm) tat ein Übriges.
TAMÁS TARJÁNYI sang seine Partie, den Nadir, über weite Strecken auswendig. Bei ihm frappierten Kondition und sichere Höhe, auch belcanteske Sensibilität. Aber noch scheint diese Partie für den jungen Ungarn eine Nummer zu groß. Natürlich ist es unbillig, die Leistungen eines Léopold Simoneau, Nicolai Gedda, Alain Vanzo oder Alfredo Krauss vergleichend heran zu ziehen. Aber was ist zu tun, wenn man diese im Ohr hat? Das Timbre von Tamás Tarjányi wirkt auch noch etwas zu jünglings- oder gar bubenhaft, so dass Almaviva oder Jacquino (eine weitere aktuelle Partie) seinem Stimmcharakter derzeit stärker entsprechen. Vor allem als Scarpia profilierte sich in jüngster Zeit EVEZ ABDULLA. Etwas von dieser berserkerhaften Figur prägte auch seinen Zurga. Als Kontrastfarbe zu dem hellen Tarjányi-Tenor war das wirkungsvoll, als Charakterfarbe etwas weniger. . Allerdings zeigte der aus Aserbeidschan stammende Bariton in der Arie „O Nadir“, wie eine von Natur aus explosive Stimme dem Ausdruck tief empfundener Trauer dienen kann. Den wenigen Tönen des Nourabad lieh Priit Volmer seinen festen Bass.
Der Beifall nach der Aufführung war richtiggehend enthusiastisch. Fraglos galt er den Sängern, aber wohl auch dem wundervollen Werk Georges Bizets.
Christoph Zimmermann