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WIEN / Staatsoper: WERTHER

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WIEN / Staatsoper:
WERTHER von Jules Massenet
5. März 2015
48. Aufführung in dieser Inszenierung

Seit einiger Zeit wies die Wiener Staatsoper auf ihrer Website auf eine kleine, aber für Opernfreunde doch wahrnehmbare Sensation hin. Noch nie habe, konnte man lesen, Angela Gheorghiu die Rolle der Charlotte auf der Bühne gesungen, es gäbe von ihr nur eine „Werther“-CD von 1999. Nun würde man sie erstmals „szenisch“ in dieser Rolle erleben.

Und seit dieser Zeit oder länger grübelte der Opernfreund, ob er das auch wirklich stattfinden würde, denn bekanntlich wünscht Frau Gheorghiu ja nur die striktest konventionellen, historisierenden Inszenierungen, und ob sie in Andrei Serbans Fünfziger Jahre-Interpretation einsteigen würde, wo sie als bürgerliche Monroe mit blonder Kurzhaarfrisur, im wippenden Rock von anno dazumal herumstaksen müsste, schien zumindest fraglich.

Dann kam auch schon, am Vorstellungstag, das Interview, in dem sie – wenn man zwischen den Zeilen liest – die Wiener Inszenierung für Holler erklärt (was man ihr nachfühlen kann), besonders der dominierende Baum ärgert sie (auch begreiflich, wenn man denkt, wie oft man da auf und ab rennen muss), und sie sich fragt, warum sie sich das Ganze überhaupt antut. Nun, auch der Opernfreund fragt sich das, denn an sich ist die Charlotte eine Mezzo-Partie, in der man in dieser Inszenierung schon Elīna Garanča, Vesselina Kasarova und Sophie Koch (früher waren es Agnes Baltsa, Frederica von Stade, Ann Murray) gehört hat, alles verbriefte Mezzosopranistinnen. Zur Sicherheit Anruf in der Staatsoper: Gibt es eine Sopranfassung? Antwort: Nein, im Gegensatz zum Titelhelden Werther, für den auch eine Bariton-Fassung existiert, ist Charlotte eben Charlotte, und so wird sie von Frau Gheorghiu auch gesungen. Man war gespannt.

Was man hörte, war einen Abend lang der Kampf einer Stimme mit einer für sie falschen, ja fatalen Partie. Ja, die Netrebko so, wie sie im Salzburger „Troubadour“ klang, mit dieser üppigen, für einen Sopran fast zu dunkel timbrierten Mittellage, könnte die Charlotte mühelos singen. Angela Gheorghiu hat üblicherweise diese wunderbar helle, leichte Stimme, die sich hier mit den Tiefen regelrecht quälte, spröde und trocken nicht zum Klingen kam, aber offenbar so irritiert war, dass sie auch die hohen Passagen nicht wirklich überzeugend bewältigte. Da brachte auch der offenbar entschlossene Einsatz einer stimmlichen Rollengestaltung nicht viel. Nach der wahrlich nicht überzeugenden Briefszene im dritten Akt versuchte ein einsamer Fan mit einem „Bravo“ den Beifall anzuheizen, in der richtigen Angst, dass die Szene sonst gänzlich unakklamiert vorbeigehen könnte – aber war es nicht peinlicher, wie zögerlich das Publikum in den Applaus einfiel, der sich nicht wirklich zu überzeugter Zustimmung steigern wollte? Vor allem, wenn der Tenor später für  „Pourquoi me reveiller…“ doch weit stärker beklatscht wurde… Nein, dieses Abenteuer von Angela Gheorghiu, so mutig es sein mochte, konnte wohl niemanden überzeugen.

Dabei muss man ehrlich sagen, dass sie viel getan hat, um sich der Charlotte anzunähern. Man hat die Dame ja schon in allerlei Laune erlebt – grenzenlos affektiert (als Mimi) oder fast provokant unbeteiligt (als Marguerite), so dass ihr Einsatz fast erstaunte. Natürlich ohne die alberne blonde Perücke, sie blieb bei ihrem Schwarzhaar und der gewohnten Frisur, sie machte sich auch im weißen Spitzenkleidchen zu Beginn nicht lächerlich und wirkte sehr sexy in Schwarz am Ende – nur das scheußliche graue Kostüm mit dem roten Hütchen dazwischen, das konnte nicht einmal sie chic machen. Und sie versuchte auch – allerdings offensichtlich ohne wirkliche Hilfe von irgendeinem Spielleiter – jugendliche Koketterie, eheliche Öde und am Ende die große Verzweiflung wenigstens anzudeuten. Sie hat einiges in das Abenteuer „Charlotte“ investiert. Es ist dennoch nicht gut ausgegangen.

Auf den Tenor hatte man sich fast gefreut. Als zu Saisonbeginn ein Ensemblemitglied klüger war als die Direktion, die ihn in eine falsche Rolle zwingen wollte, worauf er „krank“ wurde, kam Jean-Francois Borras, um an der Seite von Patricia Petibons Manon einen hervorragenden Des Grieux zu singen. Als Werther (mit langen, tief über den Nacken wallenden Locken) überzeugte er nicht ganz so sehr. Aber trotz dieser oder jener gelegentlicher Unsauberkeit in der Gesangslinie sang er wahrscheinlich den besten Werther seit langem, viele Kollegen mit ganz berühmten Namen durch die Selbstverständlichkeit seines Gesangs ausstechend (nicht der Rolleninterpretation, die war nicht sonderlich auffallend). Und natürlich prunkt dieser stilistisch so wunderbar „französisch“ fließende Tenor immer wieder mit seinen strahlenden, leicht metalllegierten Spitzentönen.

Ludovic Tézier, den die Staatsoper wie erinnerlich vor drei Jahren ein paar Mal als „Bariton-Werther“ eingesetzt hat, ist nun wieder bei seinem genuinen Rollenfach, war aber in der Rolle des Gatten Albert ziemlich einförmig schnarrend und wenig interessant unterwegs – da ist man die herrliche Studie des Spießbürgers gewöhnt, die Adrian Eröd oft so brillant lieferte. Aber darstellerisch war an diesem Abend überhaupt nicht viel los.

Und bestens bei Stimme waren auch nicht alle – die vier Herrschaften des Ensembles, die noch eingesetzt waren, ließen es entweder an Stilsicherheit oder an Klangschönheit, manche auch an beidem fehlen.

Frédéric Chaslin dirigierte einen soliden Repertoireabend, der an Intensität gewann, wenn er die melodramatische Trauer in Massenets Musik ausreizte. Das Interesse des Publikums war überraschend gering, ausverkauft sah es wahrlich nicht aus, und der Galeriestehplatz war wieder einmal dürftig besetzt. Freundlicher Applaus am Ende, ein paar beharrliche Buh-Rufe waren nicht ungerechtfertigt, aber natürlich sehr unfreundlich.

Renate Wagner

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