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STUTTGART/ Schauspiel Nord: MORD von Hanoch Levin –“im Brennpunkt der Konflikte”

Mord” von Hanoch Levin im Schauspiel Nord Stuttgart. IM BRENNPUNKT DER KONFLIKTE

Premiere von Hanoch Levins Stück “Mord” im Schauspiel Nord am 6. März 2015/STUTTGART

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Boris Burgstaller, Florian Rummel, Nathalia Thiede, Sebastian Klein, Katharina Knap. Foto-Copyright: Conny Mirbach

Der israelische Dramatiker und Regisseur Hanoch Levin, der 1999 starb, hat den israelisch-palästinensischen Konflikt zum Anlass seines bedrückenden Schauspiels “Mord” genommen. Es ist ein schlimmer Konflikt, unter dem so viele Menschen zu leiden haben. Der Regisseur Wojtek Klemm (Choreografie: Efrat Stempler; Bühne: Magdalena Gut; Kostüme: Julia Kornacka; Musik: Micha Kaplan) hat auf der Bühne eine große Mauer mit einer israelischen und vielleicht auch palästinensischen Landschaft errichtet. Türen können hier geöffnet werden, auf der Empore stehen sogar zwei Stühle. “Da gibt es kein Warten, das verstehst du doch”, lautet das Motto. Der schreckliche Mord von israelischen Grenzsoldaten an einem palästinensischen Jungen setzt eine erschütternde Explosion der Rache und Gewalt frei. Die Schauspielerinnen und Schauspieler agieren hier wie unter Schockstarre, kämpfen mit Schüttelfrost und Nervenfieber. Michael Stiller spielt virtuos den Vater und erschöpften Arbeiter, der nur noch die geschändete Leiche seines Sohnes betrauern kann. Ein Bote verkündet Frieden – doch er kommt bereits zu spät. Die Inszenierung wartet mit schroffen, aber auch revuehaften Szenen auf. Sebastian Klein und Brit Rodemund sowie Berit Jentzsch mimen “Orangene Huren” und Jugendliche, die laszive Lieder singen und die Menge vollends in Aufruhr bringen, der schließlich nicht mehr abebbt. Da hangeln sich die Protagonisten verzweifelt an der Mauer entlang, um doch immer wieder abzustürzen. Das ist schmerzhaft anzusehen. Vor allem Katharina Knap als erröteter Soldat, Mädchen und Nachbar lässt den ungeheuren Emotionen freien Lauf: “Wer bist du, dass du unser Leben zerstörst?!” Die Leute sind außer sich: “Man hat alle unsere Autos in die Luft gesprengt!” Frieden ist dabei nur ein Übergang zum nächsten Krieg. Er beherrscht erbarmungslos den Alltag. In einem Zeitraum von zehn Jahren wird der Vater vom Trauernden zum Täter und schließlich selbst zum Opfer. Das vermag Michael Stiller ausgezeichnet darzustellen. Niemand kann sich diesem Geschehen entziehen, das macht die subtile Inszenierung trotz aller lärmenden Sequenzen drastisch deutlich. Die Menschen leiden furchtbar: “Man hat meine Kinder ermordet…” Und an anderer Stelle schreit der Nachbar (Katharina Knap): “Kinder sind eingeschlossen in dem brennenden Haus!” Das Inferno ist so nicht mehr aufzuhalten. Levin geht immer wieder über die politischen Dimensionen des palästinensisch-israelischen Konflikts hinaus: “Hast du gesehen, wer ihn getötet hat?” Und der Regisseur Wojtek Klemm folgt ihm darin. Diese zerstörerische Gewalt beherrscht hierbei den Alltag so stark, dass kein normales Leben mehr möglich ist. Auffallend ist bei dieser atemlosen Inszenierung, dass von den Schauspielern ein hohes Maß an körperlichem Einsatz verlangt wird. Das Spielen ist so extrem anstrengend, da sie auch pantomimische Passagen bewältigen müssen. Dabei übezeugen sowohl Boris Burgstaller als Offizier, Mutter der Braut, Vater des Bräutigams, ausgelaugter Arbeiter, Nachbar, Passant als auch Nathalie Thiede als Bote, Braut und Rosa Hure. Ferner fesselt Florian Rummel als blasser Soldat, Bräutigam, Rosa Hure, Lila Hure und Passant ebenso wie Sebastian Klemm als braungebrannter Soldat, Junge, Gast, Orangene Hure, Rosa Hure und Passant. Sie alle wachsen dabei zu einem überaus schlagkräftigen Ensemble zusammen, das nicht zur Ruhe kommt: “Wir werden keine Demonstrationen genehmigen!”

Der Tschechow-Experte Hanoch Levin erforscht in seinen Stücken die israelische Gesellschaft und deren komplizierte Psyche. Der Tod und die grausamen Spielarten von Macht und Gewalt bestimmen seine Stücke. Selbsttäuschungen sollen so bewusst aufgedeckt werden. Dementsprechend verwandeln sich einzelnen Darsteller in Bräute und “Lämmchen”, die immer wieder zur Schlachtbank geführt werden. Der Regisseur Wojtek Klemm führt Levins Gedankenwelt in Stuttgart jedenfalls konsequent weiter. Hinter allen komischen Situationen lauert das Verhängnis. Als Fanal wird verkündet: “Diese ganze lumpige Welt wurde nur erschaffen, um dich zusammenzuquetschen…” Und dann geht er wieder los – der nächste Krieg.

 Alexander Walther

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