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ERFURT: RIGOLETTO als Rassentrennungsdrama im Südstaatenmilieu. Premiere

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Theater Erfurt / Rigoletto von Giuseppe Verdi / Premiere Sa, 14. März 2015

 Rigoletto als Rassentrennungsdrama im Südstaatenmilieu

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Copyright: Theater Erfurt

 Der Vorhang hebt sich und von der Ouvertüre begleitet, die schon die Tragödie vorwegnimmt, sehen die Zuschauer ein brennendes Kreuz. Die versammelten Ku-Klux-Klan-Anhänger umstehen es. Immer wieder tauchen auch die Ku-Klux-Klan-Anhänger auf, nicht nur in Weiß, auch mal in Rosa. Wer sich fragt, was dieses amerikanische Rassistenmilieu mit Thüringen zu tun hat, dem sei gesagt, dass auch das NSU-Trio mal in Jena mit brennenden Kreuzen gefeiert hat.

 Vor dem grausigen Spektakel ist eine Gazewand gespannt und der farbige Rigoletto läuft hilflos und ohne Orientierung hin und her. Rupert Lummer, der Regisseur, weiß von Anfang an mit starken Bildern zu beeindrucken. Eigentlich ist er eingesprungen für Bernard Uzan. Eines macht er klar, hier ist ein energischer aber hilfloser Mensch, der zwar Taten vollbringen kann, aber nicht weiß, wo und wie er sie vollbringen soll. Ganz aus diesem Nukleus, diesem inneren Kern des Rigoletto, aus seinen Gefühlen entfaltet Rupert Lummer die dramatisch-tragödische Entwicklung. Siyabulela Ntlale, als Rigoletto, ist von Statur ein wuchtiger Kerl mit einem weichen Gemüt. Natürlich kann er auch mal glaubhaft gehässig sein, schließlich will er seine Rolle am Hof spielen, und er hat auch seinen Spaß daran. Denn immerhin, wenn er alle amüsiert und besonders den Chef, den Duca, dann kann er sich ja als Teil der höfischen Gesellschaft fühlen. Doch in diesem Südstaatenmilieu kommt alles anders. Die Kulisse ist mondän und gediegen. Ein herrschaftliches Haus mit Zuchthengsten an den Wänden und ein Hofstaat von Dandys, die ihren Tag vertrödeln. In dieser gehobenen Amüsierszene darf Rigoletto den Buttler im Stresemann-Anzug spielen. Von seiner anbiedernden Dienstbarkeit fühlt sich die höfische Dinnerparty-Gesellschaft belustigt. Die Rollen sind verteilt, aber unaufhebbar vergeben, und das begreift Rigoletto nicht wirklich. Siyabulela Ntlale, aus Südafrika stammend, kann sich vielleicht so eine Gesellschaft noch aus eigener Erfahrung gut vorstellen. Dabei singt er mit seinem warmen Bariton so hingebungsvoll.

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Copyright: Theater Erfurt

 Rupert Lummer, der Regisseur, verstand es schon mit seiner ersten Erfurter Arbeit 2002 „Cavalleria rusticana“, eine mitleidlose Gesellschaft für das Publikum auch emotional nachvollziehbar zu gestalten. Diesen Konflikt des einzeln Orientierungslosen mit einer kalten Gesellschaft setzt er auch hier sehr überzeugend um. Hilflos und nichts ahnend steht Siyabulela Ntlale (Rigoletto) vor seinem Haus, während seine Tochter geraubt wird. Solang er sie noch verzweifelt sucht, brennt ein Pfahl. Dann kommt er ins Herrenhaus und trifft die golfübenden Höflinge. Hier wirken die einförmigen Golf-Bewegungen besonders abweisend, bis Rigoletto von Golfschlägen getroffen, zu Boden geht. Da erscheint seine Tochter aus Schlafzimmer des Duca kommend. Und dieser Vorgang vollzieht die doppelte moralische Vernichtung. Faszinierend, wie Siyabulela Ntlale in solchen Momenten seine Rolle ausfüllt. Er verkörpert diesen liebenden und sorgsamen Vater ganz und gar und muss nun hinnehmen, dass er komplett gescheitert ist. Romy Petrick, als Gilda, bildet den perfekten Gegenpart zu Siyabulela Ntlale. Mit ihrem glockenhellen Sopran, der auch warme honiggoldene Nuancen enthält, spielt sie die liebende Tochter, aber auch diejenige, die die große Liebe sucht, sehr anschaulich. Beide Figuren enthalten ja innere Brechungen und negative Seiten und das setzen sie für das Publikum eindringlich um.

 Juri Batukov, als Graf von Monterone, ist ein ungestümer Aufbegehrer gegen seinen Fürsten. Mit seiner Baritonstimmer muss er diese Bassrolle singen und macht dabei auch gesanglich eine gute Figur. Er ist in seiner Darstellung wie ein hilfloser Elefant im Salon. Das bringt ihm eine blutige Nase und ein bespritztes Hemd ein. Wieder ist einer blamiert und die „gute“ Gesellschaft hat ihren Spaß.

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Siyabulela Ntlale (Rigoletto). Copyright: Theater Erfurt

 Jeogyung Jo, als Graf von Ceprano, wird das nächste Opfer seines Fürsten. Seine Frau, gespielt von Susanne Rath, soll ihm ausgespannt werden. Regisseur Lummer lässt sich für den Grafen von Ceprano ein ganz besonders entwürdigendes Spiel einfallen. Während der Duca seine Frau verführt, muss er angekettet und mit heruntergelassener Hose am Eingang stehen und sich bewitzeln lassen. Dafür hat der Teilnehmer des Thüringer Opernstudios aber eine gute Baritonstimme, die man hoffentlich noch öfter hören wird. Seine Gemahlin, die Gräfin von Ceprano, gesungen von Susanne Rath, glänzt mit solidem Sopran. Um bei den Höflingen zu bleiben, da wären noch Marullo gesungen von Nils Stäfe, der einen Kavalier mit einem sehr runden Bariton verkörpert und Borsa, dargestellt von KS Jörg Rathmann, der mit seinem Tenor zu den Stützen jeder Erfurter Aufführung zählt.

 Ein weiteres dramaturgisch ganz spannendes Paar sind Vazgen Ghazaryan (Sparafucile) und Stéphanie Müther (Maddalena). Dieses Bruder-Schwester-Paar führt diese Premiere gesanglich zum Höhepunkt. Vazgen Ghazaryan, als Sparafucile, der von Rigoletto angeheuerte Killer, wirkt mit seinem Bass extrem dämonisch. Mit seiner Stimme lotet er die Tiefendimension der Niedertracht und Kaltblütigkeit aus. Es schaudert einen im Zuschauersitz. Beim Anblick des heruntergekommenen Motels, räkelt sich Maddalena im Oberstübchen. Stéphanie Müther verkörpert überzeugend ein erotisches Vollweib auch stimmlich und spielerisch.

 Der dritte Akt ist der musikalische Höhepunkt der Oper, in dem die Gegensätze aufeinanderprallen und zur Katastrophe führen. Es folgt das Quartett: „Un dì, se ben rammentomi … Bella figlia dell’amore“. In diesem Quartett bringen die Sänger: Romy Petrick, Siyabulela Ntlale und Pedro Velázquez Díaz und auch Stéphanie Müther für jede Figur eine eigene musikalische Charakterisierung ein. Pedro Velázquez Díaz, der Herzog, der die Führung übernimmt und mit ausladenden lyrischen Melodiebögen versucht, Maddalena zu verführen. Maddalena, Stéphanie Müther, die mit Staccato-Achteln, in denen sie die Versprechungen des Duca verspottet, ihm antwortet. Im Fortgang der Szene scheint sie aber immer weniger abgeneigt.

 Gilda, Romy Petrick, und Rigoletto, Siyabulela Ntlale, die beobachtend außerhalb des Hauses bleiben, singen zunächst mit langen Pausen und nur gelegentlichen Einsprüchen. Gilda wirkt dann zunehmend verzweifelter. Rigoletto, der von Zeit zu Zeit seinen Zorn in langsam fortschreitenden Phrasen besingt und der gegen Schluss des Quartetts ungeduldig zum Aufbruch drängt, weil er begreift, dass dieses Lauschen keine so gute Idee war. Insgesamt gab es während der Premiere oft Szenenapplaus, aber hier war er brausend und angebracht sowieso. Pedro Velázquez Díaz war in diesem Quartett auch stimmlich sehr gut, sonst wirkte seine Tenorstimme ein wenig gepresst. Die Regie hatte danach, um es technisch zu sagen, eine Turbosteigerung geplant. Die auch ausgezeichnet gelang.

 Die zentrale Gewitterszene mit dem Opfermord setzt Lummer um wie einen Film. Die Lichteffekte und die summenden Chorstimmen direkt aus dem Orchestergraben, sie unterlegen die gesamte Szene mit einem spannungsgeladenen Grundrauschen. Anfänglich für den zynischen Dialog zwischen Sparafucile und Maddalena über das passende Mordopfer, der übergangslos in das Terzett mündet, in dem die verzweifelte Gilda den wahnsinnigen Entschluss fasst, den Geliebten, der sie längst vergessen hat, zu retten und sich umbringen zu lassen. Die Gegensätze werden scheinbar spielerisch aufgebaut: Da ist der Duca, der mit dem Trällerlied (La donna è mobile Qual piuma al vento…) auf den Lippen die Beständigkeit der Frauen anzweifelt. Da ist auch Maddalena, die von ihrem „schönen Apoll“ zu schwärmen beginnt. Und dann folgen die eigentlichen Terzettpassagen, wo Maddalena um das Leben des Angebeteten fleht. In Gilda reift in diesem Moment das Gefühl, sich für den Geliebten zu opfern. Das sind schon sehr beeindruckende Szenen der Aufführung. Doch die Steigerungen gehen weiter.  Vazgen Ghazaryan, als Sparafucile, fasst mit seinem düsteren Bass alles zusammen. Stimmlich schlägt er zu, wie das unerbittliche Hackebeil des Scharfrichters. Unglaublich, wie Verdi diese Szene musikalisch aufgebaut hat, umwerfend aber auch wie die Sänger diese Stelle umsetzen.

Dirigent Samuel Bächli hat hier alles gut im Griff: alle Tempi und aufsteigenden Dynamiken. Da bröselt nichts auseinander. Beim stärksten Gewitterschlag geschieht der Mord!

 Die Musik wechselt in dieser Szene immer wieder vom Rezitativischen ins fließend Arienhafte und Samuel Bächli unterstützt die Sänger so angemessen, dass sich alles wie aus einem Guss anhört.

 Den grauenhaften Fund (die tödlich verletzte Tochter) lässt Regisseur Rupert Lummer auf einem elenden amerikanischen Hinterhof stattfinden. Dieses Bühnen-Bild ist das hundertprozentige Gegenteil der saturierten großbürgerlichen Landhausidylle. An diesem Ort herrscht nur noch die Sinnentleerung. Hier landet der Müll. Auf diesem Müllplatz muss Siyabulela Ntlale (Rigoletto) seine sterbende Tochter finden.

 Gilda, Romy Petrick, und Rigoletto, Siyabulela Ntlale singen ihr verzweifeltes Schlussduett. Da sitzt jeder Ton mit dem richtigen Gefühl: Von der Wandlung des rachesüchtigen Rigoletto bis zur völligen Verzweiflung über sein eigenes Handeln und die Erfüllung des Monterone-Fluches. Auf so viel Tragik können nur gewaltige musikalische Schläge folgen und die holte Samuel Bächli aus dem Orchester präzis heraus.

 Bleibt noch anzumerken, dass die Choreinstudierung diesmal von Irene Berlin geleitet wurde. Das Bühnenbild von Hank Irwin Kittel gibt dieser amerikanischen Südstaatenatmosphäre die passende Ausstattung. Bei so viel Qualität konnte das Publikum nur restlos begeistert sein.

 Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

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