HAGEN / BALL IM SAVOY
am 19.3. 2015 (Werner Häußner)
Es geht um Revanche. Aug um Aug, Kuss um Kuss. Die Frauen lassen sich die Doppelmoral der Männer nicht mehr länger gefallen. „Von uns nur verlangt man die Treue“, stellt Madeleine de Faublas bitter fest. Und was hat sie von der Treue? Nichts – das legen die Vorgänge in Paul Abrahams Operette „Ball im Savoy“ nahe. Die Männer nehmen sich alles heraus, die Frauen haben das Nachsehen. Aber nicht mehr mit Madeleine, nicht mehr mit ihrer Freundin Daisy. Sie zahlen zurück, in gleicher Münze: Betrug. Und das auch noch öffentlich.
Kein Wunder, dass eine Operette dieses Zuschnitts nicht in das Programm der sauberen deutschen Unterhaltung passte, das den Nazis vorschwebte. Paul Abraham, den Franz Lehár seinen „Kronprinzen“ nannte und der in den drei Jahren zwischen der Uraufführung von „Viktoria und ihr Husar“ 1930 und dem „Ball im Savoy“ der Operettenkönig Berlins gewesen ist, floh zurück nach Budapest. Die noch im Dezember 1932 bejubelte Operette verschwand schon im Frühjahr 1933: Die jüdischen Theaterunternehmer Gebrüder Rotter waren pleite, das freche, weltläufige Werk Abrahams nicht mehr genehm.
Nach dem Krieg genossen die Operetten von Paul Abraham ebenfalls keinen guten Ruf mehr. Am ehesten tauchte noch „Viktoria und ihr Husar“ auf den Spielplänen auf, weil sie mit dem Schlager „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“ gut zu sentimentalisieren war. Aber „Die Blume von Hawaii“ hielt man spätestens in den siebziger Jahren für grenzwertig bis unspielbar, und „Ball im Savoy“ war seit dieser Zeit so gut wie völlig verschwunden – trotz eines prominent besetzten Films von 1955 mit Nadja Tiller, Caterina Valente, Bully Buhlan und Bibi Jones und einer TV-Produktion von 1971 mit Gritt Boettcher, Christiane Schröder, Klaus Löwitsch und Theo Lingen.
Das scheint sich seit einigen Jahren zu ändern: Den Kolonial-Exotismus der „Blume von Hawaii“ sieht man heute aus einer anderen Perspektive. Die rekonstruierte Partitur, wie sie an der Wiener Volksoper 2010 erklang, erwies die genialen Fähigkeiten Abrahams als Instrumentator. „Viktoria und ihr Husar“ wurde durch Florian Ziemen in Gießen gründlich entstaubt. Und „Ball im Savoy“, dem noch Operetten-Spezialist Volker Klotz nicht viel gute Worte schenkte, weckte der WDR 2010 mit einer konzertanten Aufführung – ebenfalls in rekonstruierter Form – aus dem Dornröschenschlaf.
Die phänomenale, opulente Premiere an der Berliner Komischen Oper im Juni 2013 markierte nicht nur die Rückkehr von Paul Abrahams Musik an den Ort ihrer Entstehung, sondern offenbar auch eine Trendwende in der Rezeption. „Ball im Savoy“ erschien in den letzten beiden Jahren in Plauen-Zwickau und Gera-Altenburg und kommt am 9. Mai 2015 in Halle/Saale heraus. In Hagen führen Regisseur Roland Hüve und Ausstatter Siegfried E. Mayer einen Kampf gegen die Armut des Theaters, den sie nur zum Teil gewinnen. Das Bühnenbild mit seinen von Ulrich Schneiders Licht gnädig geschönten Vorhängen kann das mondäne Flair nicht beschwören, ist aber klug konzipiert. Denn es lässt Raum für die Choreografien und wirkt als unauffälliger Horizont für Mayers atemberaubende Kostüme. Sie lassen die verschwenderische Revue ahnen, die im Dezember 1932 die Berliner Theaterunternehmer Rotter im Großen Schauspielhaus (in DDR-Zeiten der alte Friedrichstadtpalast) ausstatteten, um den dringend benötigten finanziellen Erfolg zu erzielen.
Mayer lässt es glitzern und funkeln, in Weiß und Rot, Gold und Violett. Ronald Bomius und seine Mitarbeiter in der Maske verwandeln das Ballett, den Chor und die Statisterie in bubiköpfige Damen und pomadig gescheitelte Herren – die ganze demí-monde des Berlin der zusammenbrechenden Weimarer Republik gibt sich tanzend und swingend ein Stelldichein. Den Damen bleibt er nichts schuldig: Madeleine (Veronika Haller), die so gerne treu und häuslich wäre, hat in Weiß und Goldblond einen rauschenden Auftritt und taucht in silberglitzerndem Nachtblau auf dem titelgebenden Edel-Ball im Hotel Savoy als Verwandte der „ungarischen Gräfin“ aus der „Fledermaus“ auf. Eine Affäre aus den Dandy-Zeiten ihres Ehemanns Aristide (Johannes Wollrab), die schöne Tangolita (Marilyn Bennett), tritt als rauchig-rote Versuchung in die Arena der Verwicklungen, an deren Ende die Unschuld der beinahe betrogenen Betrügerin Madeleine feststeht.
Den Trick zum Beweis hat sich Daisy Darlington alias Kristine Larissa Funkhauser ausgedacht. Diese Frau sprengt so ziemlich jede zeitgenössische Heimchen-am-Herd-Ideologie: Eine amerikanische Komponistin (!) von Jazz (!), die sich ein männlichen Pseudonym zulegt, um ihrem Vater zu beweisen, dass sie das Zeug zum Erfolg hat, um sich ihre Unabhängigkeit (!) zu sichern und der Heirat mit dem unterbelichteten Sohn eines Schokoladenfabrikanten zu entgehen. Dass die Nazis – und nach ihnen die spießige Gesellschaft der jungen Bundesrepublik – mit diesem Prototyp einer selbstsicheren Frau nichts anfangen konnten, liegt auf der Hand.
Regisseur Roland Hüve – er hat unter anderem in Bielefeld Cole Porters „Anything goes“ in Szene gesetzt – kennt die Herausforderung der großen Szene, des präzisen Timing und des hohen Tempos auf personenreicher Bühne. Da spielen das Ballett und vor allem der in der Aktion engagierte Opernchor (musikalisch einstudiert von Wolfgang Müller-Salow) wacker mit. So ganz können sie die bräsigen Bewegungsmuster der üblichen Operettenroutine nicht überwinden; schuld daran sind auch Andrea Danae Kingstons mäßig originelle Choreografien. Der Augenweide fehlt manchmal das Augenzwinkern: Ironie ist eben schwer …
Auf der anderen Seite arbeitet Hüve mit den Solisten sorgfältig bis ins Detail, lässt ihnen Raum, sich zu entfalten: „Ich hab einen Mann, der mich liebt“ wird so zur ganz großen Nummer Veronika Hallers; „Was hat die Frau von der Treue“ zu einer intimen, klaviergestützten Reflexion. Bernhard Hirtreiter darf als ganz im Nachtclub-Milieu assimilierter türkischer Attaché Mustafa Bei mit Esprit erzählen, wie es ist, wenn „wir Türken küssen“. Richard van Gemert muss nicht auf überlebte Chargen-Späßchen zurückgreifen, um den Butler Archibald auf den Punkt genau zur witzigen Würze der Szene zu machen. Und Johannes Rosenzweig ist als schüchterner Célestin mit präziser Aktion auf der Suche nach dem ganz großen Abenteuer.
Dass in Hagen mit Microport gesungen werden muss, ist nicht recht einzusehen, zumal die Stimmen durch die Verstärkung entstellt werden: Veronika Haller hat auf einmal ein grelles Vibrato; ihre flach angesetzten Töne werden unangenehm schrill. Und Marilyn Bennett klingt ältlich verzerrt. Mag sein, dass ihnen David Marlow nicht vertraute, über das Abraham-Orchester zu kommen. Die üppige Instrumentierung ist von Matthias Grimminger und Henning Hagedorn rekonstruiert. Das Dortmunder Duo verwendete viel Sorgfalt bei der Sichtung der Quellen, geht aber – wie auch bei der Aufführung an der Komischen Oper Berlin zu registrieren – am Sound der frühen dreißiger Jahre vorbei. Mir scheint der Schlagzeugeinsatz zu aufdringlich, und die harte, grelle Intonation der Blechbläser erinnert eher an amerikanischen Bigband-Sound als an die schmeichelnd-lasziven Klänge der Tanzkapellen dieser Zeit, wie sie uns von Schellack-Platten entgegentönen.
Das Hagener Orchester macht sich den Tonfall, den Witz im Rhythmus, die Tanztempi und die instrumentalen Farben schnell zu eigen, lässt es aber zunächst an der Intonation, später an flexibler Dynamik in den Tutti fehlen. In dem kleinen Haus hätte Zurückhaltung bei der Lautstärke der Finesse der Musik gut getan. Doch Dirigent Marlow bringt das Gefühl für das richtige Timing, die treffende Agogik und den lockeren Swing der Musik Abrahams mit.
Mit „Ball im Savoy“ hat Hagen zweierlei bewiesen: Entgegen allen Unkenrufen lebt die Operette, wenn sie mit Sorgfalt und Liebe reanimiert wird. Und wieder einmal ist eine Hagener Produktion ein erfolgreicher Nachweis, wie unverzichtbar die Stadttheater auf der kulturellen Landkarte sind. Auch wenn das Theater Hagen nach Jahren des Bangens und der harten Kürzungen vorerst gesichert ist, gibt der unsäglichen Abbau der Theaterförderung in anderen Bundesländern wie Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern Anlass zu dem besorgten Appell: Hände weg von diesem Erbe!
Werner Häußner