Heinz Karl „Nali“ Gruber: Geschichten aus dem Wiener Wald – 18.3.2015
Ilse Eerens, Jörg Schneider. Foto: Werner Kmetitsch
Mit großem Erfolg wurde HK Grubers Oper „Geschichten aus dem Wiener Wald“ bei den Bregenzer Festspielen am 23. Juli 2014 uraufgeführt. Freilich, so neu ist die Sache nicht, denn der österreichische Komponist und Dirigent mit kroatischer Abstammung, Miro Belamarić (9.2.1935*), hat, als Auftragswerk des Baden Württembergischen Ministeriums für Kunst, Ödön von Horváths Drama ebenfalls vertont und diese, seine dritte Oper, wurde am 4. April 1993 am Badischen Staatstheater Karlsruhe mit großem Erfolg uraufgeführt.
Genau vier Jahr später fand dann unter der musikalischen Leitung und Regie des Komponisten die kroatische Erstaufführung dieser Oper in Zagreb unter dem Titel „Priče iz Bečke Šume“ statt.
Librettist Michael Sturminger hat für „Nali“ Gruber das Libretto der Geschichten aus dem Wiener Wald erstellt und einige Szenen rigoros gestrichen. Horváths subtile Kunstsprache muss dabei folgerichtig auf der Strecke bleiben und würde eigentlich mehr nach einer kammermusikalischen Einbettung verlangen. Gruber entschied sich aber – anders als Belamarić – für ein großes Orchester, verstärkt noch von dem aus den Proszeniumslogen spielenden Jazzorchester Vorarlberg.
Wenn Gruber „ironisierend“ einen Sänger die Händchen-Arie aus Puccinis „Bohème“ durch einen Trichter singen lässt, dann hat bereits Belamarić dieses Puccini-Zitat für seine Oper verwendet. Und reichliche Donauwalzer-Zitate zieren beide Werke.
Das bissige, zynische Volksstück Horváths muss nun für die Oper umgedeutet werden, gleichsam aus dem einengenden Korsett des Kammerspiels entledigt und mit den Mitteln der „großen Oper“ ausstaffiert werden. Und so trägt auch Oskar seine endlich gewonnene Marianne am Schluss der Oper nach einem „Liebesduett“ unterschiedlicher Standpunkte wie ein wehrloses Schlachtopfer in den Armen von der Bühne ab.
Während in der Oper des Kroaten die Szenen von Alfred in der Wachau bei seiner Mutter und die jene beim „Zauberkönig“, in der der Fleischer Oskar seine Marianne beim „Busserl“ beißt, nicht fehlen, lässt Librettist Sturminger Marianne in einer Art Prolog das „Lied von der Wachau“ singen. Danach setzt die Handlung der Oper mit der dritten Szene, dem Sonntagsausflug, ein, an dem der Großteil der übrigen Personen des Schauspiels teilnimmt.
Die fast dreistündigen Oper hätte eine Straffung und Kürzung vertragen und auch eine Reduktion des Personals. Allerdings muss eingeräumt werden, dass auch Belamarić in seiner Fassung nicht auf die Szene zwischen Oskar und Havlitschek verzichten wollte. Dennoch dauert seine Oper nur knappe zwei Stunden und zehn Minuten.
Man kann natürlich in Horváths Marianne eine Seelenverwandte von Jenůfa und von Wozzecks Marie sehen. Für Gruber wurde aber, meiner Meinung nach, die Figur der lebenslustigen Trafikantin Valerie viel stärker in den Vordergrund gestellt. Fleischhauer Oskar wird bei Sturminger/Gruber auch seiner dämonischen Häme beraubt und Mariannes Vater, der „Zauberkönig“ nur mehr als sich selbst bemitleidender, innerlich verhärteter Vater vorgeführt.
Angelika Kirchschlager war eine resolute Trafikantin Valerie, die die Männer durchschaut und sich nicht so leicht um den Finger wickeln lässt. Kokett und selbstbewusst weiß sie sowohl den naseweisen Studenten Erich zu gängeln als auch ihren Filou Alfred zu bändigen. Mit ihrem satten Mezzo verleiht sie der Figur auch so etwas wie Bodenständigkeit. Der Oskar von Tenor Jörg Schneider hätte noch einen schärferen Biss vertragen.
Anja Silja, Daniel Schmutzhard. Foto: Werner Kmetitsch
Die Marianne der belgischen Sopranistin Ilse Eerens geht vollends in der ihr von der Regie auferlegten Opferrolle auf. Dazu passend auch ihr glockenheller, tragfähiger Sopran. Opernlegende Anja Siljas gestaltete eine erschreckend grausame Großmutter, zu der die krächzende Stimme schon passte, vor allem erreichte sie mit ihr auch alle von Gruber für ihre Partie komponierten Noten.
Daniel Schmutzhard wirkte mit seinem soliden Bariton als Alfred etwas zu bieder, sodass man ihm das Wiener Halbweltleben im Pratermilieu nicht so Recht abnehmen wollte. Auch der Zauberkönig von Bassist Albert Pesendorfer hätte eine Spur mehr Härte und Starrsinn vertragen. Tenor Michael Laurenz gab einen bramarbasierenden, schießwütigen Studenten Erich ab, dem zum letzten Schliff noch ein kräftigerer „Piefkeakzent“ gefehlt hat.
Mezzosopran Anke Vondung gefiel als schlichte Mutter, die am Ende doch zaghaft gegen die übermächtige, alles beherrschende Großmutter rebelliert. Bariton Markus Butter hatte seine Sternstunde in der Doppelrolle als Rittmeister und als Beichtvater. Robert Maszl konnte als Fleischergehilfe Havlitschek nicht nur seinen sattsam trainierten Körper mit floralem Tattoo am Oberarm zur Schau stellen, sondern auch seine tenoralen Qualitäten mit einem Ausflug ins Falsett krönen.
Der schmierige amerikanische Mister im Maxim wurde von Bass-Bariton David Pittman-Jennings köstlich interpretiert. Tenor Alexander Kaimbacher gestaltete die drei so unterschiedlichen Figuren des Hierlinger Ferdinands, des Grammophon-Sängers mit einem Trichter und des Conférenciers mit nachhaltiger Wirkung. Sopran Ursula Langmayr und Mezzosopran Johanna von der Deken ergänzten noch rollengerecht als erste und zweite Tante.
Unter der Choreographie von Christine Hefel führten Natalie Fend, Carmen Maria Pratzner, Silvia Salzmann und Fabiola Varga leichtbekleidet akrobatischen Poledance vor.
Die Wiener Symphoniker spielten unter der Leitung des Komponisten, was natürlich Authentizität garantiert. Musikalisch schöpfte Gruber ja aus dem Vollen, fügte in jazziger Laune Zitate von Strawinsky, Johann Strauß-Walzerseligkeit, Rosenkavalier-Motive und Reminiszenzen an Alban Berg und Kurt Weill kongenial ein und verwob das Ganze zu einem nicht unbedingt typischen „Gruber-Sound“, aber doch zu einem beeindruckenden rhythmischen, flirrenden Klangbild.
Librettist Michael Sturminger hat die Oper in den schlichten, praktikablen Bühnenbildern und den vor- wie nachkriegszeitlichen Kostümen von Andreas Donhauser von Renate Martin sparsam in Szene gesetzt. Er hält sich dabei größtenteils an die Vorlage von Horváth, wenngleich einige Figuren weniger scharf gezeichnet sind.
Großer Applaus für alle Mitwirkenden, Dirigent Gruber bedankte sich mit einem Kniefall vor den fulminant aufspielenden Wiener Symphonikern. Bravo!
Harald Lacina