20-jähriges Jubiläum der Erfurter Domstufen-Festspiele: Giacomo Puccinis Oper “Turandot”. Premiere am 4.7.2013
Vazgen Ghazaryan, Marsica Mulder, Sergej Nayda. Foto: Domstufenfestival Erfurt
Gastregisseur Marc Adam, Intendant am Theater in Nizza, überrascht zum Auftakt. Statt dissonanter Klänge, die leitmotivisch die Grausamkeit der männermordenden Prinzessin Turandot andeuten, tritt der Chor auf und es erklingt aus kleinen Spieluhren in der Zuschauermenge leise die bekannte Arie des Prinzen Calaf, nachdem er die drei Rätsel gelöst hat. Eine Einstimmung, die neugierig macht. Auf der Bühne eine riesige grüne Drachenschlange, im Wind wehende Tücher mit chinesischen Schriftzeichen, das ist der obere Teil der Bühne. Der Drache blickt zwischen den beiden katholischen Kirchen, dem Dom St. Marien und der Severikirche, auf ein staunend erwartungsvolles Publikum. Großen Anteil daran hat das von der Chinesin Hsiu Chin Tsai entworfene Bühnenbild. Es gibt authentisch die Symbolik und die legendäre Pracht der alten Kaiserreiche wieder, vor allem der Tang-Dynastie. Die “karierten” Domstufen stehen für Macht und Glück, aber auch Gut und Böse, das Rot für Glück, das Schwarz für Böses. Die Gegensätze liegen der Inszenierung schon auf den Treppenstufen zugrunde. Und gegensätzlich wirkt auch die Inszenierung. Zu Beginn vermischen sich noch Commedia dell’ Arte und vielleicht “Regietheater”. Die Figuren der Commedia dell’ Arte zeigen archetypischen Seiten der Menschen und theatralisieren sie. Arlequin, Polichinelle, Colombine, Pantalon sind Namen, die wir alle schon gehört haben, aber vielleicht wenig kennen. Und doch finden sich Seiten dieser Figuren in jedem von uns! Carlo Gozzi wollte in seinen szenischen Märchen den Beweis erbringen, dass selbst absurde Zauberstücke und Verwandlungsszenen Lebenswahrheit vermitteln und dramatische Überzeugungskraft haben können. Gozzis Turandot erlangte durch Karl Gustav Vollmoellers Arbeit von 1911, zu der Ferruccio Busoni die Bühnenmusik komponierte, wieder eine solche Popularität, dass Busoni eine eigene Opernfassung textete und komponierte.
Auch Giacomo Puccinis nicht ganz vollendete Oper Turandot basiert eben auf Gozzis Stück. Daran knüpft der Regiesseur Marc Adam an. Zu Beginn gelingt das auch, da ist Bewegung. Der Henker kommt und schleift sein Schwert für den hinzurichtenden Prinzen, der wird auf den schwarz-roten Stufen nach oben geführt, verschwindet hinter den Kulissen und dann wird, blutiges Spektakel wie bei der französischen Revolution präsentiert. So weit so spannend! Doch warum ist der Chor dann plötzlich verschwunden, singt verteilt am Fuße der Stufen und die Bühne bleibt unbespielt? Die Frage kann wohl als das vierte Rätsel bezeichnet werden, denn die Schlüssigkeit der Inszenierung leidet darunter enorm. Der Spannungsbogen bricht jäh ab, schade! Aus dem ersten Akt geht man etwas ratlos in die Pause.
Der 2. und 3. Akt versprechen mehr, aus dem Chor ist eine Terrakotta-Armee geworden, so wie man sie im Mausoleum des Qin-Kaisers sehen kann. Die jahrtausendealte kaiserliche Terrakotta-Armee erwacht für wenige Minuten auf den Domstufen zu neuem Leben in den Kostümen von Pierre Albert. Das schafft einen spannenden Eindruck, denn schließlich lebt Turandot von den Chorszenen. Trotzdem wirkt alles immer sehr statisch und die Kunst der Regie hätte darin bestanden, gerade den Chorszenen mehr Dynamik zu geben. Patrice Chéreau und Walter Felsenstein sind da gute Lehrmeister.
Carter Scott in der Titelrolle. Foto: Domstufenfestival Erfurt
In den Rollen singen zur Premiere: Turandot, Carter Scott als „Turandot“ – im Rahmen der DomStufen-Festspiele 2013 erstmals zu Gast am Theater Erfurt, Calaf Sergey Nayda, Altoum Robert Wörle, Timur Vazgen Ghazaryan und Liu Marisca Mulder. Die Minister: Pang Jörg Rathmann, Ping Máté Sólyom-Nagy und Pong Benedikt Nawrath - sowie als Mandarin, Sebastian Pilgrim.
Carter Scott verkörperte anschaulich eine herrische Turandot und wirkt stimmlich sehr souverän. Besonders emotional beeindruckt Marisca Mulder als Liu. Vazgen Ghazaryan als Timur ist stimmlich glaubwürdiger enttrohnter König. Sergey Nayda als Calaf klingt etwas metallisch. Die von allen herbeigesehnte Arie „Nessun dorma“ glückt ihm aber dennoch stark. Die drei Minister: Ping, Máté Sólyom-Nagy, Pang, Jörg Rathmann, und Pong, Bendikt Nawrath nehmen ja den roten Faden der Geschichte auf und das machen sie auch gesanglich bravorös. Auch der chinesische Kaiser Altoum, gesungen von Robert Wörle, ist überzeugend. Für die Hauptrollen gibt es Mehrfachbesetzungen: Turandot, Irina Rindzuner, am Theater Erfurt gab sie in der Saison 2011/12 ihr Debüt als „Abigaille“ in Verdis Nabucco. Ilia Papandreou und Daniela Gerstenmeyer werden noch die Liu singen, beide gehören zum Erfurter Ensemble. Für die drei Minister treten Florian Götz, Thomas Stückemann und Marwan Shamiyeh noch auf. Beim Mandarin kommt auch noch Juri Batukov ins Spiel.
Die Ausstattung ist üppig, insgesamt 200 Kostüme hat Gewandmeisterin Susanne Ahrens mit 17 Schneidern, Hut- und Schuhmachern und sieben Ankleidern hergestellt. Aus den zahlreichen Garderoben der Solisten und Chöre funkeln grüne, rote und violette Seiden- und Organzastoffe. Das Kostümbild ist eine Kaleidoskop aus klassischen Schnitten des asiatischen Raums mit märchenhafter Mode. Die Kostüme und Masken lehnen sich auch an die Commedia dell’arte an, erinnern aber gerade bei den Ministern an „Fluch der Karibik“.
Solide, wie ein Schweizer Uhrwerk, wird das Philharmonische Orchester unter Leitung von Samuel Bächli geführt. Der Chor mit sicherer Hand von Andreas Ketelhut geführt, ist musikalisch wieder ausgezeichnet und hätte sicher an mehr Spielmöglichkeiten Freude gehabt. Das Lichtdesign ist anspruchsvoll und wird von Thomas C.Hase illuminiert.
Zum 20-jährigen Jubiläum der Erfurter Domstufen-Festspiele ist der Publikumsraum neu gestaltet, fast 2000 Zuschauer finden auf der neuen Tribüne mit Rückenlehnen Platz.
Puccini hatte es mit seinem letzten Bühnenwerk schwer, das Märchen vom eiskalten Todesengel Turandot zu einer plötzlich liebenden Frau überzeugend darzustellen. Vier Jahre arbeitet er an der Musik und stirbt darüber 1924. Danach versuchten mehrere Komponisten nach den Skizzen Puccinis das Werk zu vollenden.
Die Erfurter Aufführung orientiert sich an der Uraufführung 1926 in der Mailänder Scala. Damals hatte sich der Dirigent Arturo Toscanini nach dem Opfertod der Sklavin Liùs zum Publikum mit den Worten umgedreht: “Hier endet die vom Maestro unvollendet gelassene Oper, weil der Maestro an dieser Stelle gestorben ist.” Auf den Erfurter Domstufen bleibt der Ausgang vage: Turandot sinkt bezwungen auf die Knie, Prinz Calaf verharrt auf halben Weg zu ihr. Bis zum 21. Juli ist die Oper noch 14 Mal zu erleben.
Das Theater Erfurt hat sich im Jubiläumsjahr für die unvollendete Puccini-Oper entschieden. Der langanhaltende Applaus von 2000 Premierenbesuchern zeigt, dass die Kulisse von Mariendom und Severikirche in Verbindung mit einem interessanten ,von der Chinesin Hsiu Chin Tsai entworfene Bühnenbild schon lockt. Generalintendant Guy Montavon und sein internationales Team können auch zufrieden sein.
Thomas Janda