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LINZ/ Musiktheater: L’AMOUR DE LOIN von Kaija Saariaho. Premiere

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LINZ/ Musiktheater: “L’Amour de Loin” von Kaija Saariaho. Premiere am 28.3. 2015

Oper in fünf Akten; Libretto von Amin Maalouf, unter Benutzung des Gedichtes „La vida breve“ von Jaufré Rudel, Prinz von Blaye, Musik von Kaija Saariaho

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

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Foto: Ursula Kaufmann für das Landestheater Linz

 Nach dem Jahr 1100 war (in okzitanischer Schreibweise) Jaufre Rudel „Princes“ von „Blaya“, einem Ort in Aquitanien, der am Ostufer der Gironde liegt, gegenüber dem Médoc, aus dem einige der größten Bordeaux-Weine stammen (auch das Blayais bringt übrigens einige ansehnliche Tropfen hervor). Jaufré war aber auch Troubadour, und auf ihn dürfte die literarische Idee des „amor de lonh“ (Neufranzösisch amour de loin), also der „Liebe aus der Ferne“, zurückgehen, als Vorstellung der idealen Bindung an eine unerreichbare, vielleicht gar nicht existierende Person – ein Bild, das viele Werke der späteren fahrenden Sänger durchzieht, Dichter des 18. und 19. Jahrhunderts beschäftigte und in Zeiten des Internet neue Aktualität gewonnen hat, wie mir ein von dem Werk durchaus beunruhigter Kollege sagte. Nicht zu verwechseln ist dieses romantische, idealistische, auch illusionäre Bild mit dem psychopathologischen Phänomen der „Liebe par distance“, die der Psychiater H. G. Zapotoczky 2013 so beschrieb: „Der Patient glaubt, von einer fernstehenden Person, nicht selten eine aus den Medien bekannten Persönlichkeit, geliebt zu werden, wobei der Patient vermeint, in Zeitungen, Radio verschlüsselte Botschaften der betreffenden Person zu entziffern in der Gewißheit einer bestehenden Liebesbeziehung, zu deren Realisierung aber keine konkreten Schritte unternommen werden.“ Aber, so legt der Text nahe, sind die Übergänge wohl fließend.

Zunächst sehen wir eine geordnete Welt, in der Jaufré allerdings seines bisherigen ausschweifenden Lebens überdrüssig ist und sich mehr den geistigen, idealisierten Dingen zuwenden will – seine Feder kreist (alleine) in der Luft (!) über dem Schreibpult. Er wird überhaupt erst durch die Erzählungen eines Pilgers darauf aufmerksam gemacht, daß ein Idealbild einer Frau, das ihn doch noch interessieren könnte (aber eben: als Ideal), im fernen Libanon in Fleisch und Blut existiere. Diese Clémence, Gräfin zu Tripoli, stammt aus Toulouse, wurde aber im Zuge der Kreuzzüge in den Nahen Osten verpflanzt. Sie fürchtet, daß man sich zu Hause nicht mehr an sie erinnert; nicht einmal ihr Kater, mit dem sie früher spielte, denke wohl an sie. Und überhaupt: ein Troubadour, der sie so inbrünstig besinge, macht das doch wohl nur, solange er nicht ihr wahres Ich aus der Nähe kennt. Nun fungiert der Pilger auch in umgekehrter Richtung als Bote. Jedoch verletzt er dabei das künstlerische Selbstverständnis des Troubadours gröblichst, indem er erzählt, er würde seine Verse der fernen Verehrten „so ungefähr nach Erinnerung vortragen und die Melodie beiläufig summen“. Und das, wo doch Jaufré um jedes einzelne Wort, um jeden einzelnen Ton, oft Tage kämpft! Der Poet beschließt, auch unter Inkaufnahme des Risikos der Enttäuschung, zu der Verehrten zu reisen, auch wenn er seinen Schritt bald bereut: er habe, ein zweiter Adam, sein irdisches Paradies verlassen. Auf der Reise erkrankt er (an seinen Ängsten?) und stirbt beim Eintreffen im Libanon in der Armen von Clémence. Diese rechtet mit Gott, wird jedoch von den Pilgern/Kreuzrittern auf recht bedrohliche und grobe Art zum Schweigen gebracht. Sie resigniert und wendet sich Gott wieder zu, wobei dieser nun in Hinkunft ihre „Liebe in der Ferne“ sein soll.

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Foto: Ursula Kaufmann für das Landestheater Linz

Die finnische, seit 1982 in Paris beheimatete Komponistin, u. a. 1989 Preisträgerin beim hiesigen Ars-electronica-Wettbewerb, hatte lange nicht daran gedacht, sich mit Oper zu befassen. Der Idee trat sie jedoch näher, als sie 1992 Peter Sellars‘ Salzburger Inszenierung von Messiaen’s „Saint-François d’Assise“ erlebt und im mittelalterlichen Gedicht Jaufré Rudels eine mögliche Vorlage gefunden hatte („vida“ = Okzitanisch für „Leben“ im Sinne der Biographie). Vorerst führte diese Beschäftigung zu einer Liedkomposition („Lonh“, 1996). Nachdem sie Amin Maalouf kennengelernt hatte, einen französischen, ursprünglich libanesischen Schriftsteller, 1993 Träger des Prix Goncourt, den der Stoff ebenso faszinierte, kam es zu konkreteren Plänen. Schließlich bestellte Gerard Mortier für die Salzburger Festspiele bei dem team eine Oper über Jaufré Rudel. Die Uraufführung fand am 15. August 2000 statt; inszeniert wurde damals von Peter Sellars, die musikalische Leitung hatte Kent Nagano. Seither hat die Oper fast 10 Produktionen gesehen, von Bern bis Beirut und von London bis Toronto.

Frau Saariaho brachte dieser Schritt zur Oper unter anderem den Grawemeyer-Preis für Komposition ein, der seit 1985 von der Universität von Louisville vergeben wird, und der sie in eine Reihe mit Persönlichkeiten wie Lutoslawski, Ligeti, Birtwistle, Boulez und zuletzt Wolfgang Rihm stellt.

Hier in Linz liegen Inszenierung, Choreografie, Bühnen- und Kostümbild in den Händen von Daniela Kurz, unterstützt bezüglich der Bühne von Frank Albert, der Choreografie von Katharina Bader und dramaturgisch durch Thomas Barthol. Man hat ein Nachtstück vor Augen, mit grellen, aber trotzdem gemessenen Akzenten in Weiß (die heile Welt Jaufrès in der Heimat) und Rot (die Pilger/Kreuzfahrer), Clémence erscheint anfänglich in Schwarz, wechselt aber im finalen Akt zu Rot, denn nun ist auch sie Pilgerin – zunächst für ihren Geliebten, nach dessen Verlust gegen und für Gott.

Es entstehen großflächige Bilder großer Suggestivkraft, wobei die Möglichkeiten der durchtechnisierten Bühne bis an deren Grenzen ausgelotet wurden: beispielsweise sieht man im Hintergrund einen Pilger über einen ca. 6 m hohen Berg ziehen, lediglich eine dünne Wand dient ihm als Pfad – und er ist an einem computergesteuerten Seil angehängt, das in seiner Länge exakt seinem Weg auf der geschwungenen Kontur der Kulisse folgt. Noch aufregender (und physikalisch verblüffender!) der Blick auf den Pilger während des Vorspiels. Die Seeszenen finden auf einer Bühnenauflage statt, deren Größe etwa der alten Landestheaterbühne an der Promenade entspricht, und die teilweise durch Seilzüge geschaukelt wird, daß einem schon vom Zusehen übel werden könnte…

Lediglich die Todesszene erschien uns musikalisch und inszenatorisch etwas überdehnt – wobei einem (nicht nur diesbezüglich) Ähnlichkeiten zum „Tristan“ in den Sinn kommen könnten.

Den Jaufré Rudel, Troubadour und Prinz von Blaye singt und spielt, auch mit beachtlichem körperlich-sportlichen Einsatz, Martin Achrainer mit leuchtendem Bariton, Le Pélerin ist der samtige Mezzo Martha Hirschmann, und Clémence, Gräfin von Tripoli Gotho Griesmeier – auch sie, wenn auch mit diskretem Metall in der Stimme, bestens disponiert. Allen drei wurde eine Art von lyrischer Sprechgesang abverlangt, welcher wohl nur nach sehr aufwendigem Training so hervorragend klappt; auch die differenziert gefärbten Vokale der französischen Sprache wurden perfekt reproduziert. Auf der wandlungsfähigen Bühne mußten alle zudem Trittsicherheit und Schwindelfreiheit beweisen.

Emotionelle Kommentare zum Innenleben der Protagonisten wurden mittels Tanz gegeben: Bonnie Paskas und Samuel Delvaux legen alle ihre Emotionen in die Bewegungen. Ein „Bewegungsensemble“ (Katharina Bader, Bozhidara Boyadzhieva, Łukasz Czapski, Dieter Kölbl, Susanne Kuffner, Eszter Petrány, Bogdan Savchenko, Bartlomiej Sawicki, Thomas Schütz, Ulrike Strauss, Ralph Thalguter, Doris Tröbinger, Alessa Wolfram) gibt Pilger und andere Nebenpersonen, auch diese mit größter Präzision. Rätselhaft blieb nur eine kurz auftauchende, äh, Wanderartischocke…

Das Bruckner Orchester war recht schlagwerklastig (u. a. 5 Pauken, große Trommel, japanische Taiko, Marimba und Vibraphon, Glockenspiele…) aufgestellt, jedoch wurden diese Instrumente mit der gebotenen Delikatesse und Diskretion eingesetzt und machten sich meist nur durch zarte Färbungen der oft sphärenhaften Musik (stilistische Anklänge an Ligeti? dann und wann indonesische Gamelang?) bemerkbar. Natürlich verwendet die Komposition auch Tonfolgen wie Rhythmen aus der Zeit der Troubadoure, bei den Schiffsszenen können entfernte Ähnlichkeiten zu Britten bemerkt werden. Immer wieder werden faszinierende, manche im Publikum hypnotisierende, manche beunruhigende, Klangflächen eingesetzt, vom rheingoldartigen Aufsteigen des Vorspiels aus der Nachtschwärze (freilich nicht in Es sondern „in cluster“) bis zu einem unendlich (und in sauberster Intonation!) ins ppppp verhauchenden Schluß.

Das Orchester musizierte unter der Leitung des weithin renommierten Spezialisten für neue Musik, Kasper de Roo, mit äußerster Konzentration und Präzision; man könnte sich gut vorstellen, daß Saariahos hochkomplex und vielschichtig gesponnenes Netz bei Ungenauigkeiten sofort seinen Halt verlieren würde – jedoch, man kann hier Dirigent wie Orchester und Stimmen nur höchstes Lob zollen, samt all den Helfern beim Einstudieren: die großen wie kleinen Spannungsbögen hielten perfekt, die rhythmische und dynamische Koordination aller Beteiligten war makellos.

Der „pilgerartig“ (zwischen Orchestergraben und Proberaum, in letzterem Fall mit Übertragung) herumziehende Chor trug mit seinen präzisen Sphärenklängen (Einstudierung Georg Leopold) zum perfekten Gesamteindruck wesentlich bei.

Obwohl leider etliche Sitze im Parterre leer blieben (obwohl verkauft?) und dann noch einige mehr nach der Pause: kräftiger bis begeisterter Applaus, keinerlei Mißfallenkundgebungen, auch nicht für das Produktionsteam – und dann noch der Auftritt der Komponistin, der natürlich ebenfalls gebührend vom Publikum gewürdigt wurde. Die letzte Opernpremiere dieser Saison war trotz der vermutlichen Vorbehalte (wohl nicht nur „osterferienbedingt“…) von Teilen des Publikums künstlerisch ein voller Erfolg!

Applaus wurde in der nachfolgenden Premierenfeier noch einmal kräftig nachgelegt – natürlich nicht zuletzt, als Frau Saariaho sagte, sie hätte vom neuen Musiktheater in Linz wenig Vorstellung gehabt, aber vor zwei Tagen, nach ihrer Anreise, mit größter Freude festgestellt, auf wie hohem Niveau hier gearbeitet würde…

 H & P Huber

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