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BERLIN/ Staatsoper: „PARSIFAL“, großartig gesungen, heutig inszeniert

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Berlin/ Staatsoper: „PARSIFAL“, großartig gesungen, heutig inszeniert. 03.04.2015

In allen Facetten zelebriert Daniel Barenboim mit der in Bestform musizierenden Staatskapelle Berlin das Orchestervorspiel, ruft nachhaltig die Leitmotive Gral, Glaube und Liebe von Richard Wagners Bühnenweihfestspiel weit schwingend ab. Ein erster Höhepunkt.

Doch der neue Berliner Parsifal (Andreas Schager!) in persona kommt im Kapuzenpulli. Von zu Hause ist er abgehauen, weg von der Mutter, die nicht loslassen und ihn vor dem Leben und der ersten Liebe bewahren wollte. Ein Bildungsferner, der noch nicht einmal seinen richtigen Namen weiß. Den erhält er erst später durch eine Frau. Durch Kundry.


Anja Kampe (Kundry), René Pape (Gurnemanz), Andreas Schager (Parsifal), Foto Ruth Walz

Als Backpacker streift er umher, und hat damit offenkundig eigene Erfahrungen. Per Zufall gelangt er zur abgelegenen Behausung der Gralsritter, einer hier heruntergekommenen Schar von Aussteigern in dicken Klamotten mit Wollmützen und Kappen (Kostüme: Elena Zaytseva).

Kalt muss es dort sein, hungrig sind sie außerdem, fehlt ihnen doch seit geraumer Zeit das stärkende Hl. Abendmahl. Freundlich wird der Ankömmling von Gurnemanz begrüßt, aber sogleich auch getadelt, weil er in diesem Reich des Friedens einen Schwan vom Himmel geschossen hat. Eine, dem Naturburschen unverständliche Rüge. René Papes profunder, wunderbar klangreicher Bass ist das nächste Pfund in dieser Inszenierung.

Aber was ist denn dieser mythisch-mystische Gral? Diese Frage kursiert seit Jahrhunderten, wird im Programmheft beleuchtet und augenscheinlich auch von den jungen, noch unerfahrenen Mitgliedern dieses Männerbundes gestellt. Regisseur Dmitri Tcherniakov, ein internationaler Star, stellt das gesamte Werk mit kritischem Blick in die Gegenwart und gibt die Antwort mit einer Dia-Show.

Eine Leinwand wird aufgehängt. Mit dem Zeigestock weist Gurnemanz auf den abgebildeten Kelch, aus dem Jesus beim letzten Abendmahl getrunken und einen Speer, der seine Seite durchbohrt habe. Die Jungs feixen und glauben sichtlich kein Wort.

Der wenig später auftauchende (Nochnicht-)Parsifal wird bekanntlich Zeuge eines drastischen Geschehens. Rüde schleppen die Männer König Amfortas, an einer unheilbaren Wunde leidend, herbei.


Wolfgang Koch (Amfortas), Anja Kampe (Kundry),Ensemble, Foto Ruth Walz

Ganz großartig wie Wolfgang Koch seine Schmerzen aussingt und verdeutlicht, dass ihn die Reue über eine Liebesnacht mit der verführerischen Kundry noch weit stärker quält als die ständig blutende Verletzung, beigebracht durch den hl. Speer, den ihm der Zauberer Klingsor entwendet hatte.

Ein Sündiger darf die Hl. Handlung, zu der ihn auch sein Vater Titurel drängt (Matthias Hölle mit akkuratem Bass), nicht vollziehen. Doch die Aussteiger wollen ihre „Droge“, zapfen ihm süchtig das Blut aus der Wunde ab, verteilen es löffelweise in die empor gestreckten Plastikbecher und vermischen es mit Wasser. (Aus Jesu Seitenwunde rannen ebenfalls Blut und Wasser).

Das ist „starker Tobak“, für manche womöglich blasphemisch. Ist Wagners Variante bibelfester? Tcherniakov jedoch zu unterstellen, er habe die Gralsgeschichte nicht verstanden, geht fehl. Der weiß sehr wohl Bescheid, reagiert aber als heutiger Skeptiker. Der Gral wird nie gezeigt. Doch die Darsteller folgen ihm willig, nichts wirkt aufgesetzt. Alle bewegen sich überzeugend natürlich, selbst der sonst oft recht steif agierende René Pape.

Und die Kundry? Die ist hier nicht nur die böse Hexe, wie so oft zu erleben (ist sie bei Wagner ja auch nicht). Tcherniakov sieht sie als liebesbedürftige und Liebe gebende Frau mit Vergangenheit. Die hat genug vom Unheil bringenden Sex, zu dem sie der „Zuhälter“ Klingsor zwingt. Der nun, ein ständig herumwieselnder, Bonbons an seine Blumenmädchenschar verteilender und auf dem Drehstuhl rotierender Alter ist mit Tómas Tómasson passend besetzt.

In dieser dritten Vorstellung gibt die bei der Premiere noch indisponierte Sopranistin Anja Kampe die Kundry. Als junge Frau im hellen Kurz-Trenchcoat vollbringt sie eine gesangliche und schauspielerische Glanzleistung, hat auch in dem jungenfrischen Andreas Schager den idealen Partner, einen mit hell strahlendem Tenor, Ausdruckskraft und darstellerischen Meriten. Beide zwei glaubhaft junge Leute, schön anzusehen, schön anzuhören.


Anja Kampe (Kundry), Andreas Schager (Parsifal), Foto Ruth Walz

Den ersten Kuss verweigert Parsifal der Kundry auch in dieser Inszenierung, auch ihr, nun im weißen Hemd, blutet jetzt sichtlich das Herz. Er tut es jedoch ohne herablassende Härte, nur aufgeschreckt durch die Erinnerung an den leidenden Amfortas, dem er unbedingt helfen will. Dem Klingsor entreißt er den hl. Speer und tötet ihn. Als er nach vielen Mühen den Gralsort erreicht, sitzt dort zunächst nur noch der gealterte Gurnemanz, der gerade die Kundry aus dem Winterschlaf erweckt hat.

Wie liebevoll wärmt nun Parsifal ihre eiskalten Hände, schaut sie lächelnd an. Hier gibt’s keine Zwangstaufe mit Untertauchen im Bach (die Stölzl-Variante an der Deutschen Oper). Parsifal drückt sie an sich, streichelt ihr Gesicht und erlöst sie durch seinen Kuss. Eine menschliche, sehr berührende Heilsfindung. Das ist Tcherniakovs Karfreitagszauber, den Gurnemanz dem Parsifal zuvor anhand der blühenden Natur erklärt hatte.

Ganz anders die Wald-Einsiedler, die angeblich Heilige werden wollen. Die kennen weder Liebe noch Mitleid. Von der Wurzel- und Beerensuche zurück schleppen sie erneut den verwundeten Amfortas zum Vollzug der Riten herbei.

Der widersetzt sich, will nur noch sterben. Parsifal überreicht ihm den hl. Speer, ernennt sich – plötzlich ein Schlaukopf – selbst zum neuen König. Amfortas ist alle Last los. Kundry tritt auf ihn zu, umarmt ihn strahlend, beide küssen sich leidenschaftlich, und Parsifal guckt fast eifersüchtig.

Hat die Liebe am Tag von Jesu Kreuzestod gesiegt? Leider nein. Gurnemanz eilt herbei, ersticht Kundry hinterrücks. Der will keine Frau in diesem Männerbund, der sich bereits mit erhobenen Armen in Trance wiegt. Der Sittenwächter, der Parsifal einst wegen des erschossenen Schwanes getadelt hatte, begeht den Karfreitagsmord.

Eine Tötung nach Fanatikerart. Höchst aktuell, was Tcherniakov hier schlussendlich bietet und anprangert. Doch welch ein brausender Beifall gleich danach. Standing ovations für alle, insbesondere für Barenboim und die Staatskapelle, für die fabelhaften Chöre, einstudiert von Martin Wright, aufschäumend beim Erscheinen von Anja Kampe. Ein „Parsifal“ der musikalischen Sonderklasse in einer nachdenkenswerten, nie langweiligen Inszenierung. Ein Glanzpunkt dieser Staatsoper-FESTTAGE.

Ursula Wiegand

Weitere Aufführungen am 06., 12. und 18. April

 

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