GENÈVE: MEDEA von Luigi Cherubini; Premiere am 9.4.15 im Grand Théâtre de Genève
Foto: Wilfried Hösl im Auftrag des Grand Théâtre
Es ist eine traurige und dramatische Geschichte, die erzählt wird. Es geht um die Kindsmörderin Medea. Das Drama um die Tochter König Aietes von Kolchos hatte Premiere und bestach durch eine hervorragende Sängerleistung. Als Medea war ursprünglich Jennifer Larmore vorgesehen, welche aber wegen Erkrankung zehn Tage vor der Premiere absagen musste. Eine Medea-Sängerin kurz vor der Premiere zu verlieren bedeutet eine mittlere Katastrophe, meinte der Intendant Tobias Richter als er vor den Vorhang trat. Ein Glücksfall sei es, dass Alexandra Deshorties sich bereit erklärte, die Premiere in letzter Minute zu übernehmen, immerhin für ein selten gespieltes Werk und mit einer Besetzung, die man noch seltener finden kann – man kann gar von Rettung in letzter Minute sprechen. Die Aufführung hat stattgefunden, zum Glück darf man getrost sagen, denn was hier an sängerischer Leistung und musikalischem Einsatz geboten wurde, war beeindruckend.
Die Musik- und Opernfreunde können der Oper Genf nicht dankbar genug sein für diese Ausgrabung eines zu Unrecht viel zu selten gespielten Werkes. Das Orchestre de la Suisse Romande unter der souveränen Leitung von Marko Letonja gestaltete diese Musik wunderbar plastisch, mit grossem Atem und wo nötig mit zupackender Dramatik, es wurde sowohl die Eigenständigkeit des Orchestersatzes betont als auch der herausragende Chor des Grand Théâtre und das exzellente Sängerensemble. Und diese Sängerinnen und Sänger haben es wahrlich in sich: Alexandra Deshorties (sie hat bereits am Festival von Glimmerglass vor drei Jahren in derselben Partie für Furore gesorgt) war eine berührende Titelfigur. Sie durchschritt, darstellerisch gekonnt, die Emotionsebenen dieser enttäuschten, verstossenen und an den Rand gedrängten Frau, die erst allmählich zur rasenden, dem Wahnsinn anheim fallenden Rächerin wurde. Ihrer Stimme verfügte über triumphale Sicherheit in der Höhe und Geläufigkeit in den Kadenzen. Mit sanft weichem Ansatz und dunklem, sauberem Alt stattete Sara Mingardo die einfühlsame Gefährtin Neris aus. Auch bei den männlichen Kollegen wartete die Oper Genf mit einer phänomenalen Besetzung auf: Creonte wurde von Daniel Okulitch restlos überzeugend dargestellt und gesungen.
Mit dem Giasone, dem Gatten Medeas, hatte dank des brillanten Andrea Carè, der Technik und stimmlichen Wohlklang beherschte, einen Erfolg.
Bleibt die Regie von Christof Loy in der Ausstattung von Herbert Murauer (Bühne und Kostüme) zu besprechen. Sie haben das Geschehen in die heutige Zeit versetzt. Das kann man machen und Loy selber sagt dazu: “Ich habe die griechischen Elemente der Geschichte in den Klassizismus der Partitur von Cherubini übertragen, mit dessen Leidenschaft für die italienische Musik und mit meiner Sichtweise von 2015″. Gesittet und puritanisch ging es da zu und unterdrückte damit das eigentliche Seelendrama und die Qualen der Protagonisten. Einige Passagen wirkten sehr gelungen, so die Begegnungen von Medea und Neris, welche psychologisch sehr intensiv und emotional durchgestaltet war. Schön ist Glauces weisses Hochzeitskostüm, welches sie zur Trauung mit Giasone trug ohne zu wissen, dass Medea das Kleid vergiftet hatte und sie konsequenterweise später blutüberströmt dem Tode geweiht war. Grazia Doronzio ist eine zierliche Person und eine gesangsschöne Glauce, welche mit hohem Sopran und sicherer Stimmführung überzeugte.
Das Premierenpublikum war begeistert und feierte die Sängerdarsteller, das gut vorbereite Orchester und den auf Hochform vorbereitete Chor durch Alan Woodbridge. Ein Abend der rundum gefiel.
Marcel Paolino