Eine weitere Deutsche Erstaufführung in Magdeburg:
„Der Prozess“ von Philip Glass (Vorstellung: 11. 4. 2015)
Szenenbild der Magdeburger Inszenierung der Glass-Oper „Der Prozess“ (Foto: Andreas Lander)
Im Schauspielhaus Magdeburg fand kürzlich die Deutsche Erstaufführung der Oper „Der Prozess“ von Philip Glass statt, deren Uraufführung 2014 in London war. Das Theater Magdeburg hatte das neueste Werk des amerikanischen Komponisten gemeinsam mit dem Music Theatre Wales und dem Royal Opera House Covent Garden London in Auftrag gegeben.
Die Handlung der zweiaktigen Kammeroper, deren Libretto von Christopher Hampton nach dem Romanfragment von Franz Kafka stammt, in Kurzfassung: Bankprokurist Josef K. wird am Morgen seines 30. Geburtstags verhaftet. Da er sich keiner Schuld bewusst ist, versucht er herauszufinden, weshalb er angeklagt wird und wie er sich rechtfertigen könnte. Dabei stößt er auf ein ebenso wenig greifbares Gericht und gerät immer weiter in das albtraumhafte Labyrinth einer surrealen Bürokratie.
Der britische Regisseur Michael McCarthy inszenierte das Werk, das in Magdeburg in englischer Sprache mit deutschen Übertitel aufgeführt wird, sehr realistisch und mit exzellenter Personenführung, wobei er für Josef K. eine erotische Facette herausarbeitete. Das nüchterne Einheitsbühnenbild – kahle Wände und ein Bett sowie ein Tisch mit Stühlen, die je nach Bedarf hin und her geschoben wurden – und die englisch anmutenden Kostüme wurden von Simon Banham entworfen. Das Lichtkonzept stammt von Ace McCarron.
In der Rolle des Josef K. brillierte der britische Bariton Johnny Herford (Foto: Andreas Lander)
Das Sängerensemble wurde vom britischen Bariton Johnny Herford angeführt, der bereits bei der Uraufführung in London die Rolle des Josef K. spielte. Er verkörperte den ratlosen Bankbeamten sowohl stimmlich wie darstellerisch ausgezeichnet, wobei seine erotischen Begierden für Abwechslung im skurrilen Handlungsablauf sorgten und das Publikum zum Schmunzeln verleiteten.
Die weiteren Rollen waren auf zwei Sängerinnen und fünf Sänger aufgeteilt, die alle mehrere Rollen zu singen hatten. Die Schweizer Sopranistin Julie Martin du Theil spielte Fräulein Bürstner, die Nachbarin von Josef K., ebenso wie Leni, das Hausmädchen vom Advokaten Huld, den K. engagiert hat, mit reizvoller erotischer Ausstrahlung.
Zwei Rollen verkörperte auch die Mezzosopranistin Sylvia Rena Ziegler: sie gab sowohl die
Zimmerwirtin Grubach wie auch die Frau des Gerichtsdieners, beide sehr ausdrucksstark. Der amerikanische Tenor Michael J. Scott hatte drei Rollen übernommen, einen Studenten, einen Prügler und den Maler Titorelli, den er mit köstlichem Humor ausstattete. Als kafkaeske Karikatur zeichnete der Tenor Markus Liske den Kaufmann Block, der in seiner Hilflosigkeit nicht weniger als sechs Anwälte engagiert hat. Eine schauspielerisch eindrucksvolle Leistung. Einer seiner Advokaten war Huld, der vom Bariton Roland Fenes als kranker Mann im Bett gespielt wurde.
Neben Josef K. hatte die Kammeroper noch zwei Hauptrollen, nämlich die beiden Wächter, die ihn zu Beginn an seinem 30. Geburtstag verhafteten und ihn am Schluss am Vorabend seines 31. Geburtstags neuerlich abführten. Sie wurden vom kanadischen Bass Paul Sketris, der zusätzlich den Onkel von K. eindrucksvoll verkörperte, und vom deutschen Bariton Thomas Florio dargestellt, der auch den Gefängniskaplan mimte. Diese Begegnung im Dom zählte zu den besonders skurrilen Szenen der Oper, da der Kaplan Josef K. eröffnet, dass es um seinen Prozess schlecht stehe und K. erkennen muss, dass sein Prozess überhaupt nicht der Wahrheitsfindung dienen soll.
Philip Glass (1937 in Baltimore geboren) wird zu den führenden Vertretern der Minimal Music gezählt, die durch die repetitive Reihung von Klängen mit nur minimalen Änderungen in Tonfolge und Rhythmus einen starken meditativen, mitunter fast hypnotischen Effekt erreicht. Im informativ gestalteten Programmheft schreibt Fabian R. Lovisa in seinem Beitrag über den Komponisten: „Glass behauptet von sich, kein reiner Minimalist zu sein. Vielmehr nimmt er für sich und seine (Opern-)Werke in Anspruch, durch die Kombination künstlerischer Ausdrucksformen ein Ende des Minimalismus und den Neubeginn einer musikalischen Kunstrichtung erreicht zu haben.“
In seiner Kammeroper Der Prozess hört man, dass Philip Glass dramatischere Tonfolgen mit härteren Rhythmen komponierte, wodurch allerdings der hypnotische Effekt zu leiden schien. Unter der Leitung von Hermann Dukek gelang es der Magdeburgischen Philharmonie dennoch, dem Publikum die faszinierende Sogwirkung der Partitur zu vermitteln.
Das Publikum belohnte alle Mitwirkenden mit starkem Beifall und den Hauptdarsteller Johnny Herford mit Bravorufen.
Udo Pacolt